Der Bund will rund 400 Millionen Franken Bundesgelder für das Gebäudeprogramm streichen. Ihr Kommentar dazu?
Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Finanzen mit der Machete gekürzt werden. Das ist ein falsches Signal an die Bevölkerung. Der eine oder andere wird sich fragen, ob die Schweiz bisher in die falsche Richtung gelaufen ist und ob Energiesparen überhaupt nicht mehr wichtig.
Was sind die Konsequenzen?
Das Vertrauen der Bevölkerung wird leiden, so viel ist sicher. Der Bund reduziert die Mittel für das Gebäudeprogramm, setzt aber mit dem Impulsprogramm neue Anreize, insbesondere für den Ersatz fossiler Heizsysteme und die Verbesserung der Gebäudehülle. Dennoch bleibt fraglich, ob die neuen Fördermechanismen die bisherigen Massnahmen vollständig kompensieren können.
Was bedeutet für Sie nachhaltiges Bauen?
Das ist eine Definitionsfrage, die jeder für sich selbst beantwortet.
Wie lautet Ihre Antwort?
Nachhaltiges Bauen ist ein in den drei Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt austariertes Bauprojekt. Darin sind Zielkonflikte enthalten, beispielsweise Betriebsenergie sparen (Dämmen) versus graue Energie (in die Produktion des Materials, der Dämmstoffe investierte Energie). Es ist eine bewusste Auseinandersetzung mit diversen Fragestellungen. Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) bietet einen strukturierten Leitfaden.
An wen richtet sich dieser Leitfaden?
Manch einer ist überrascht, wie schlecht er seine Gebäude kennt, etwa die vorhandenen Flächen oder den Energieverbrauch. Mit unserem neuen Standard für Bestandesbauten und deren Betrieb schaffen wir ein neues Bewusstsein.
Zur Person
Ihr Verein setzt sich allgemein für Nachhaltigkeit beim Bauen ein. Wie gehen Sie beim NNBS (Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz) mit Zielkonflikten um – etwa zwischen Ökologie und Ökonomie?
Ziel ist, ein diskutiertes Gleichgewicht zu erreichen. Wir stellen lediglich die Fragen, diskutiert werden sie von Investoren, Bauherren und Experten.
Welche Rolle spielt der Standort eines Objekts in Bezug auf Nachhaltigkeit?
Er ist zentral prägend.
Weshalb?
Liegt ein Objekt etwa im Berggebiet, ist die Anbindung an den öffentlichen Verkehr schwierig. Dies kann dazu führen, dass man in einem Nachhaltigkeitslabel schlechter abschneidet, weil man möglicherweise auf das Auto angewiesen ist. Auch in Städten und Agglomerationen variiert die ÖV-Anbindung und beeinflusst die Bewertung. Diese Faktoren sind gegeben und fliessen in die Bewertung von Labels ein.
Die Politik fordert Klimaneutralität bis 2040. Gleichzeitig schafft es etwa rezyklierter Beton kaum auf Grossbaustellen. Dabei gäbe es so viele alte Gebäude, die abgerissen werden und deren zerbröselter Beton weiterverwendet werden könnte … Und zwar idealerweise dort, wo er zerbröselt wird, oder?
Ich denke schon … Bei grösseren Betonabbrüchen ist es ideal, den Beton vor Ort aufzubrechen, wiederzuverwerten und direkt wieder einzusetzen. Das wäre in diesem Fall die beste Vorgehensweise.
Aber?
Sobald Transporte ins Spiel kommen, wird das System instabil, und die Balance gerät aus dem Gleichgewicht. Ein Problem der letzten dreissig bis vierzig Jahre ist zudem, dass in älteren Gebäuden die Materialien oft stark miteinander verbunden sind. Stahl und Haustechnikleitungen sind zum Beispiel häufig im Beton vergossen und lassen sich kaum entfernen. Beim Aufbrechen des Betons entstehen daher oft Altlasten, die fachgerecht entsorgt werden müssen und nicht wiederverwendet werden können. Die Verwendung alter, nicht sortenreiner Materialien führt zu Qualitätsproblemen in Gebäuden.
Scheitert die Kreislaufwirtschaft an den verschärften Normen?
Die Kreislaufwirtschaft ist eine relativ junge Disziplin und noch nicht in Normen verpackt. Ich bezweifle jedoch, dass sie allein die Welt retten wird.
Weshalb?
Die grösste Herausforderung bei der Kreislaufwirtschaft ist die Verfügbarkeit von einem Bauteil zur richtigen Zeit in den korrekten Abmessungen und Qualitäten. Das Bauteil sollte ja am neuen Ort auch gewisse Leistungen wie Dichtheit, Stabilität, Schallschutz und so weiter erbringen. Da fehlt der Schweiz bislang die Erfahrung.
Was noch nicht ist, kann noch werden?
Genau. Die Kreislaufwirtschaft wird langsam wachsen und sich an zwei Stossrichtungen orientieren. Einerseits daran, wie wir heute mit dem eintreffenden Schutt und den Bauteilen umgehen und andererseits, wie wir die Gebäude planen und bauen, damit unsere Enkel sie problemlos demontieren und die Materialien wiederverwenden können.
Welche Massnahmen können hier konkret ergriffen werden?
Wer vorausschauend plant, vermeidet Verklebungen und Vergiessen und setzt stattdessen auf Verschraubungen. Im Kanton Bern gab es bereits vor dreissig Jahren Konzepte für sogenannte Systemtrennung im Gebäude. Die Idee war hier, einen Rohbau zu errichten und dann die Installationen einzufügen. Die gesamte Haustechnik wird sichtbar installiert, sodass sie zugänglich bleibt und nicht im Boden, in Decken oder Wänden vergossen ist. Dieses Trennsystem ermöglicht es, Bauteile wieder zu demontieren, abzubauen und besser wiederzuverwenden. Vor dreissig Jahren konnte dieser Ansatz nicht Fuss fassen, erlebt aber heute eine Renaissance.
Welche Unternehmen gehen heute schon mit gutem Beispiel voran?
Die SBB zeigen mit ihrer Bauteilbörse, wie Kreislaufwirtschaft in der Praxis umgesetzt werden kann. Auch beim Kantonsspital Winterthur wurden aus einem nicht mehr benötigten Personalhaus Geländer abgebaut. Da die benötigte Länge bekannt war, konnten die unbeschädigten und passmassigen Geländer direkt wieder eingesetzt werden. Bei Fenstern stellt sich die Situation indes anders dar.
Und zwar?
Auch wenn alte Fenster intakt sein mögen, ist ihr Wärmewiderstand oft über vierzig Jahre alt und entspricht nicht den neuesten Normen. Da hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr viel getan. Es ist daher wenig sinnvoll, ein altes Fenster komplett wiederzuverwenden und damit weitere vierzig Jahre lang eine mangelhafte Isolation in Kauf zu nehmen.
Das NNBS vereint vom Architekturbüro über Hochbauämter bis zur Ziegelei die verschiedensten Mitglieder. Wie verhindern Sie, dass hier Greenwashing-Betriebe mitsegeln?
Unsere Mitglieder sind bewusst sehr breit gefächert – von Bundesämtern bis zu Holzverarbeitern, von Sika bis zu Kantonalbanken. Wir verstehen uns als Netzwerk und nicht als Kontrollinstanz. Zielkonflikte sind Teil unserer Arbeit, da wir sowohl Hersteller von Baumaterialien als auch Entwickler und Organisationen für ökologisches Bauen vereinen.
Gab es schon Momente, in denen das NNBS dennoch aktiv werden musste?
Wir greifen wirklich nur dann ein, wenn es zu offensichtlichem Missbrauch kommt. Das ist aber selten der Fall. Bei problematischen Materialien beispielsweise suchen wir den Dialog mit den Herstellern.
Im September 2023 wurden die erneuerten und harmonisierten Schweizer Gebäudeund Arealstandards vorgestellt. Was für eine Rolle können Labels in der Schweizer Energie- und Klimapolitik bewirken?
Standards und Labels sind eine Hilfe für die Planer, Bauherren und auch für die Behörden. Sie erlauben ein strukturiertes Vorgehen und adressieren die wichtigen und richtigen Fragen. Sie helfen auch im Vollzug, da alles schriftlich niedergeschrieben ist und von unabhängigen Organisationen getragen wird.
Geak, Minergie-Standard, Minergie-Standard ECO, SNBS: Droht bald ein Labelsalat wie bei biologischen Nahrungsmitteln?
Nein, darum gibt es die Labelfamilie Gebäudelabels Schweiz. Da stimmen sich die Vereine und Betreiber der Labels Geak, Minergie und SNBS mit dem Bundesamt für Energie BFE ab. Die Vermarktung, Schulung und Zertifizierung der SNBS-Hochbau und SNBS-Areal haben wir dem Verein Minergie übergeben. Da sind Profis am Werk mit über zwanzig Jahren Erfahrung im Zertifizierungsgeschäft.
Wie beurteilen Sie die Zukunft des nachhaltigen Bauens in der Schweiz?
Ich bin seit vierzig Jahren in dieser Branche tätig und engagiere mich für nachhaltiges Bauen. Anfangs galten wir mit unseren «Wollsocken» als Exoten. Mittlerweile hat sich eine neue Normalität etabliert, in der nachhaltiges Bauen zum Standard wird. Das ist sowohl ein gesellschaftlicher Wunsch als auch eine praktische Möglichkeit. Es herrscht Klarheit darüber, was zu tun ist. So wird zum Beispiel die vorhandene Bausubstanz stärker in die Zukunft einbezogen und anders bewertet als noch vor fünf Jahren. Ein Abriss mit anschliessend sauberem Recycling und Neubau gilt zwar als gute Lösung, jedoch wird ein Abriss heutzutage sehr genau abgewogen. Der Gedanke, etwas noch Brauchbares zu entfernen, wird zunehmend kritisch gesehen. Das finde ich gut.