Sie engagieren sich für eine generationengerechte und lebensdienliche Wirtschaft und Gesellschaft. Was motiviert Sie?

Nachdem ich über zehn Jahre lang digitale Transformationen in Unternehmen vorangetrieben habe, stellte ich mir die Frage, was wir genau mit der ganzen Digitalisierung erreichen. Klar, Prozesse sind immer effizienter geworden, und den nächsten Schub erleben wir nun durch künstliche Intelligenz. Was die Digitalisierung aber nicht ändert, ist, dass viele Bereiche unserer Wirtschaft und unserer Wertschöpfung nach wie vor auf dem Prinzip der Externalisierung von Kosten und auf der Internalisierung von Commons, also von Gemeingütern – etwa sauberem Trinkwasser und anderen Ressourcen –, beruhen.

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Das bedeutet?

In unserem heutigen Marktkonstrukt erzielt man als Unternehmen den höchsten Profit, indem man günstig internalisieren kann – also nicht den Wert für etwas bezahlt, den es eigentlich hat – oder eben Externalitäten so über die Wertschöpfungskette verteilt, dass man sie nicht selbst zu tragen hat.

Was versteht man unter Externalitäten?

Das sind Kosten oder Nutzen, die sich nicht auf den Verursacher, sondern auf unbeteiligte Personen auswirken. In Deutschland zum Beispiel werden rund 309 Milliarden Euro der Kosten in der Lebensmittel- und der Agrarindustrie an die Gemeinschaft externalisiert.

Und wenn sie die Kosten selbst zu tragen hätten?

Dann wären sie mit ihrem heutigen Geschäftsmodell nicht existenzfähig.

Welches Wirtschaftsmodell wäre aus Ihrer Sicht gerechter?

Eines, das nicht negative externe Effekte monetarisiert, sondern positive. Hierzu müssen wir unsere Wirtschaft transformieren, damit sie dazu beiträgt, dass es uns und allen zusammenhängenden Ökosystemdienstleistungen – wie etwa der Biodiversität – schrittweise besser und nicht schlechter geht.

Wie bewerkstelligen wir das?

Mit Leitbildern, die uns Orientierung bieten, um in die richtige Richtung zu gehen – auch wenn es nur kleine Schritte sind.

Ist die regenerative Marktwirtschaft ein solches Leitbild?

Ja, genau. Momentan leben wir vielerorts in einem starken Sozialstaat, der die Externalitäten der Wirtschaft auf den sozialen Bereich abfängt. Der für Fairness sorgt, damit keine Menschen zurückgelassen werden und es uns gut geht. In einer regenerativen Marktwirtschaft werden auch die Externalitäten auf die Ökologie durch den ordnungspolitischen Rahmen berücksichtigt.

Klingt einleuchtend.

In gewissem Masse geschieht das bereits heute. Doch wir erleben hier einen inhärenten Konflikt, in dem die Frage laut wird, wie die Kosten verteilt werden. Das bietet Nährboden für Populismus.

Ökologie und Soziales sollten doch vereinbar sein.

Sind sie. Die Gesellschaft ist ein integrierter Bestandteil der Ökologie. Geht es der Natur besser, geht es auch uns besser. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass das extraktive Wirtschaften die Grundlage unseres heutigen Wohlstandes ist – mitsamt den zunehmenden negativen Effekten: Unser heutiger Wohlstand zerstört zukünftigen Wohlstand.

Hätte man anders gehandelt, wenn einem die negativen Konsequenzen bewusster gewesen wären?

Sehr wahrscheinlich. Aber das Rad der Zeit lässt sich nun mal nicht zurückdrehen.

Also schauen wir nach vorne.

Exakt. Und dafür brauchen wir wie gesagt ein neues Leitbild, das weg vom Extraktiven hin zum Regenerativen führt. Oberstes Ziel ist dabei, einen positiven Beitrag zu leisten – sowohl als Individuum, als Organisation, als Unternehmen und auch als Gesellschaft.

Wo liegen die Stolpersteine?

Wir leben heute in einer dysfunktionalen Marktwirtschaft, in der die Preissignale nicht diejenigen sind, die es braucht, um nachhaltig zu wirtschaften. Nehmen wir das Beispiel Milch. Irgendwo in Europa auf konventionelle Weise hergestellte Milch kostet heute rund 89 Cent. Regionale Milch, die nach allen Anforderungen einer regenerativen Landwirtschaft produziert wird, würde vielleicht über zwei Euro kosten. Der Clou dabei: Die konventionelle Milch müsste mit allen externalisierten Kosten eigentlich fünf Euro kosten.

Zur Person

Sebastian Fittko ist Mitbegründer der Initiative «Regenerative Marktwirtschaft (IRM)», Geschäftsführer der Global Impact Tech Alliance sowie Vorstand der Bundesinitiative «Impact Investing». Mit partizipativen Formaten trägt er zur Entwicklung und Verbreitung eines Leitbildes für eine regenerative und «enkelfähige» Wirtschaft und Gesellschaft bei. Er ist Moderator des Podcasts «Regenerative Gespräche» und des «Regenerativen Salons» des IRM. Ausserdem unterrichtet er an der privaten Wirtschaftshochschule ESCP verschiedene Kurse, u. a. zu digitalen Technologien und Nachhaltigkeit und berät und begleitet Unternehmerfamilien, Vorstände und Aufsichtsräte bei der Leitbild- und Strategieentwicklung für 
eine regenerative Unternehmensentwicklung.

Ein erheblicher Unterschied.

Genau. Kein Konsument würde sich dann noch für die konventionelle Milch entscheiden. Und mit dem Kaufverhalten würde sich auch das Innovationsverhalten der Unternehmer verändern.

Schafft man sich mit teuren Produkten nicht schnell einen Wettbewerbsnachteil?

Das ist so. In Berlin gibt es zum Beispiel eine Kaffeerösterei, die alle externen Kosten für ein Kilogramm Kaffee in den Preis einkalkuliert, die Kosten also internalisiert. Das Kilo Kaffee kostet deshalb 25 Euro. Das Geld investieren sie in nachhaltige Kaffee-Projekte, die eben keine Externalitäten haben.

Wie werden diese Externalitäten berechnet?

Beim CO₂ lässt sich das sehr gut messen. Gleiches gilt für das Bodenleben des Humus, in dem unsere Lebensmittel wachsen. Zeigen die Messungen, dass die Biodiversität und das Bodenleben abnehmen, nimmt die Fragilität des Ernährungssystems zu und wir werden anfälliger für Trockenheit, für Schädlinge und so weiter und so fort. Das Ganze nennt sich True-Cost-Accounting und wird von vielen grossen Wirtschaftsprüfungskanzleien angeboten.

Sie hatten eingangs erwähnt, dass viele Unternehmen nicht existenzfähig wären, wenn sie die externalisierten Kosten selbst zu tragen hätten. Wahre Kosten stellen also ein grosses Risiko für Unternehmen dar.

Das ist so. Stellen wir uns mal vor, ein Staat entscheidet irgendwann, dass er nicht mehr für all diese externen Kosten aufkommen möchte. Bereiten sich Unternehmen nicht auf diesen Fall vor respektive kennen die tatsächlichen Kosten nicht, ist das ein Risiko für ihr Geschäftsmodell, womit sie die Resilienz ihrer Wertschöpfungskette und damit ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit gefährden.

Sich schon heute mit der Thematik zu beschäftigen, lohnt sich also.

Definitiv. Für viele Unternehmen funktioniert ein extraktives System in der Zukunft nicht mehr, weil sie eben Fragilitäten in ihrer Wertschöpfungskette haben – Stichwort Klimawandel –, für die sie irgendwann zahlen müssen, weil die Beschaffung teurer wird. Durch ein aufbauendes Wirtschaften kann diese Externalisierung reduziert und die Resilienz einer Wertschöpfungskette erhöht werden.

Wer kann diesen nötigen Wandel in Unternehmen vorantreiben?

Das kann jedermann. In der Realität sind es aber meist Familienunternehmer, die in der Lage sind, über Generationen hinweg zu denken. Ist das Gedankengut der regenerativen Marktwirtschaft hier mal in der Identität des Familienunternehmens verankert, kann es in die Strategie überführt werden, und wenn es in der Strategie ist, kann es in Praktiken überführt werden, die dann im Unternehmen umgesetzt werden.

Was wäre dann der nächste Schritt?

Die Politik. Mit den Familienunternehmen im Rücken kann Druck ausgeübt werden, einen Rahmen zu schaffen, damit diese Unternehmen keinen Nachteil gegenüber anderen Unternehmen haben.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Impact-Investing?

Eine herausgehobene. Transformation erfordert Kapital. Es braucht Investoren, die bereit sind, über viele Jahre hinweg in die Entwicklung von neuen Technologien und Anlagen zu investieren. Dafür müssen wir privates Kapital aktivieren. Die Kosten können nicht vom Staat durch Subventionen getragen werden, sondern wir brauchen das Kapital, das durch Externalisierung privatisiert wurde.

Wie sieht Ihr persönlicher Beitrag zu einer nachhaltigen Wirtschaft aus?

Ich bin in Kenia mit dem Projekt Motherland aktiv. Da fördern wir lokale regenerative Wertschöpfungskreisläufe, indem wir Kleinbauern ermöglichen, Commodities für den Export anzubauen sowie vor Ort eigene Wertschöpfungsketten aufzubauen, um überhaupt an der Wirtschaft teilhaben zu können.

Und auf privater Ebene?

Ich kaufe wenn möglich das ganze Jahr bei regionalen Bauern Gemüse und Obst ein, die gerade Saison haben. Entsprechend gibt es bei uns im Winter keine Salatgurken. Die Wertschätzung ist dafür umso grösser, wenn sie dann im Sommer endlich erhältlich sind. Zudem versuchen wir als Familie, Dinge zu kaufen, die repariert werden und an die nächsten Generationen weitergegeben werden können – auch wenn das mit Kindern nicht immer leicht ist.

Genau für sie hat aufbauendes Wirtschaften den grössten Impact …

Die Frage, was für eine Welt wir unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen, beschäftigt mich oft. Und auch die Frage, was ich antworte, wenn sie mich fragen, welchen Beitrag ich geleistet habe. Ich war letztens mit meinem Sohn unterwegs, als er mich fragte, was genau ich beruflich mache. Ich erklärte es ihm. Er fand das toll und bedankte sich dafür. Für mich war das eine Bestätigung, dass ich da irgendwo auf einem guten Weg bin.