Das Ökosystem physischer KI-Agenten ist keine ferne Vision mehr, sondern ein Wachstumsmarkt mit klar identifizierbaren Playern, technologischen Differenzierungen und potenziellen Marktanteilen. «Für Anleger ist entscheidend, dass sich die Branche in einer Beschleunigungsphase befindet – vergleichbar mit der Mobilisierung der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert», sagt Audun Wickstrand Iversen, Portfoliomanager DNB Asset Management. «Und die heutige Mobilisierung besteht darin, dass Sprachmodelle und KI-Software in humanoide Plattformen integriert werden, die physisch in der Welt agieren.» Und von diesem rasanten Fortschritt können Anleger profitieren. So sind es natürlich die grossen bekannten Tech-Unternehmen, die mit ihren KI-Agenten überzeugen (wollen). Aber es gibt auch kleinere Mitbewerber, deren Produkte ebenfalls gute Chancen haben, auf Augenhöhe mitspielen zu können. Und manchmal vielleicht sogar die bessere Wahl sind.
Gross imponiert
An der Spitze des Ökosystems steht Nvidia. «Mit der Jetson-Plattform für Edge-Computing und der Simulationsumgebung Isaac Sim besetzt der Konzern eine Schlüsselposition», sagt Audun Wickstrand-Iversen. «Er liefert die Entwicklungs- und Trainingsumgebung, auf der viele andere Robotik-Player aufbauen.» Und Erster sein zahlt sich aus. Auch für Investoren. Denn wer den Standard im Simulationsbereich setzt, bindet Hardwarehersteller, Softwareanbieter und Integratoren langfristig an seine Plattform. «Mit steigenden Stückzahlen bei autonomen Systemen könnten Lizenz- und Serviceumsätze zur margenstärksten Komponente werden», sagt der Experte. «Wichtig ist, Trends zu erkennen, aber umsichtig zu handeln. Das gilt auch in diesem Fall.» Chancen erkennen, aber auch die Risiken sehen …
Gleiches gilt für eine Investition in Tesla. Aktuell verfolgt das Unternehmen eine Doppelstrategie. Zum einen nutzt der Konzern seine Erfahrung aus dem autonomen Fahren, um den humanoiden Roboter Optimus zu entwickeln. Zum anderen setzt Tesla diese Technologie zunächst in den eigenen Fabriken ein – ein strategischer Schritt, um Daten zu sammeln und Systeme unter realen Bedingungen zu testen. Gelingt es, die Technik auszurollen, dürfte Tesla nicht nur im Fahrzeugmarkt, sondern auch in der industriellen Automatisierung einen Fuss in der Tür haben. Dritter im Bunde der Big Five (auch wenn Tesla hier nicht offiziell dazugehört) ist Amazon. Nachdem das Unternehmen schon längst den Status «E-Commerce- und Cloud-Gigant» überschritten hat, stehen bei ihm heute Themen wie die Produktion von Lagerrobotern, autonomen Förderfahrzeugen und Drohnen im Fokus. In der Pilotphase hat Amazon eine vertikal integrierte Lieferkette aufgebaut, in der physische und digitale Agenten nahtlos zusammenarbeiten. «Die jüngste Ausweitung von Prime-Same-Day-Lieferungen auf über 4000 kleinere Städte und Gemeinden zeigt, wie effizient dieses System bereits arbeitet – und wie schwer es für die Mitbewerber sein wird, den Vorsprung einzuholen», schätzt Audun Wickstrand Iversen den aktuellen Stand ein.
Auch Klein kann gross
Einen anderen Ansatz verfolgt das amerikanische Start-up Figure, das universell einsetzbare humanoide Roboter entwickelt. Die neueste Generation Figure 02 kombiniert eigens entwickelte Hardware mit Sprachmodellen und Computer-Vision. Ziel ist ein Roboter, der nicht nur für eine spezialisierte Aufgabe, sondern für ein breites Spektrum an Tätigkeiten trainiert werden kann. Als Investoren fungieren unter anderem Microsoft und Jeff Bezos, der allein mit rund 2,4 Milliarden einstieg. Und man scheint sich seiner Sache sicher zu sein, denn erst Anfang 2025 löste Figure AI die Partnerschaft mit Open AI auf. Die KI-Modelle von Open AI seien nicht gut genug geeignet – man habe etwas Eigenes, sagt Figure AI. Nun gilt es aber zu liefern.
Und Boston Dynamics, lange als technologische Ikone der Robotik bekannt, bewegt sich von der reinen Forschung hin zu kommerziell einsetzbaren Systemen. Produkte wie der vierbeinige Spot oder der zweibeinige Atlas sind in Nischen wie Inspektion, Sicherheit und Spezialindustrie bereits im Einsatz. Die Herausforderung: hohe Produktionskosten und begrenzte Stückzahlen. Für Investoren ist Boston Dynamics weniger ein Volumenwachstumstitel, sondern eine Wette auf profitable Nischenmärkte mit technologischen Eintrittsbarrieren.
In Europa setzt man hingegen auf Neura und 1X. «Neura entwickelt mit Maira einen modularen, kollaborativen Roboter, der sich an den Bedürfnissen europäischer Industriekunden orientiert», sagt Audun Wickstrand Iversen. «Die modulare Architektur von Neura zielt auf Sicherheit, Interoperabilität und technologische Souveränität – Argumente, die im geopolitischen Wettbewerb um kritische Technologie immer wichtiger werden.» 1X hingegen plant den Eintritt in den Massenmarkt: Nach einer 100-Millionen-Dollar-Serie-B-Finanzierung mit Investoren wie Open AI und EQT Ventures will das Unternehmen humanoide Roboter zum Preis eines Mittelklassewagens anbieten. Die vertikale Integration von Hardware, Software und Trainingsdaten könnte hier entscheidend für die Kostenstruktur werden.
Konkurrenz aus Asien
Aus China drängt Unitree in den Markt und setzt dabei auf eine aggressive Preisstrategie. Die Modelle H1 und G1 sind mit Preisen ab 16’000 Dollar deutlich günstiger als westliche Konkurrenzprodukte, bieten aber beeindruckende technische Spezifikationen wie 3,3 m/s Laufgeschwindigkeit und 360-Grad-Lidar. Ob diese Humanoiden jedoch produktive Anwendungen jenseits von Demonstrationen finden, bleibt abzuwarten. Für den globalen Wettbewerb setzen sie jedenfalls ein klares Preissignal.
«Abseits der reinen Herstellerperspektive bleibt Softbank ein relevanter Akteur», fasst Audun Wickstrand Iversen zusammen. «Der japanische Technologiekonzern ist nicht nur mit eigenen Robotikprodukten wie Pepper und Whiz aktiv, sondern auch als Investor in Schlüsselunternehmen der Branche. Damit profitiert Softbank potenziell gleich mehrfach von einem Markthochlauf – sowohl operativ als auch über Beteiligungserträge.»
Für Anleger liegt die strategische Herausforderung darin, zwischen Plattform- und Nischenanbietern zu unterscheiden. Akteure wie Nvidia, Tesla oder Figure könnten im Erfolgsfall skalierbare Software- und Serviceerlöse erzielen, ähnlich wie Smartphone-Ökosysteme. Nischenanbieter wie Boston Dynamics oder spezialisierte Humanoidenhersteller könnten dagegen stabile Margen in klar umrissenen Einsatzfeldern sichern. Wer früh auf die richtigen Pferde setzt, partizipiert an einem Markt, der laut den Prognosen in den kommenden Jahren zweistellig wachsen dürfte – und das in einer Phase, in der die Weichen für die industrielle Nutzung dieser Technologie gerade erst gestellt werden.