Das Potenzial der Kernfusion als Energie der Zukunft

Was nach Science-Fiction klingt, soll in nur 32 Monaten Realität sein: unbegrenzte Stromversorgung aus dem Kernfusionskraftwerk, kohlenstofffrei, nachhaltig und zu einem günstigeren Tarif als bisher. Ohne Endlager für Strahlenmaterial, weil Abfall aus Kernfusion deutlich weniger radioaktiv ist als bei Kernspaltung. Und ohne Gefahr eines atomaren Unfalls: Fusionsreaktoren explodieren im Ernstfall nicht, sondern stoppen einfach. Marktfähige Fusionsreaktoren für die stabile, umweltfreundliche und günstige Energieversorgung: Das ist der Heilige Gral der anwendungsorientierten Teilchenphysik. Einige der klügsten Köpfe werden dafür von den reichsten Investoren der Welt unterstützt: Die Gründer von Amazon, Microsoft und Palantir, Jeff Bezos, Bill Gates sowie Peter Thiel, sind dabei. Der österreichische Forscher Michl Binderbauer ist einer von diesen klügsten Köpfen und will nun mit seiner schweizerisch-amerikanischen Firma TAE und Investorengeld noch vor allen anderen Projekten auf der Welt den Fusionsstrom aus der Steckdose marktfähig machen. Vier wesentliche Grossprojekte gibt es, die das Ziel «Strom aus Kernfusion» verfolgen. Insbesondere noch vor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor), dem weltgrössten Fusionsprojekt in Europa und Hauptkonkurrenten von TAE, will Binderbauer sein Projekt zum Erfolg führen. Und zwar von der Schweiz aus, dem Sitz von TAE Global. Mit einer Kernfusionsmaschine in Foothill Ranch, Kalifornien. Fusionsstrom: Harter Wettbewerb, gemeinsames ZieIZwei der grössten Kapazunder der angewandten Teilchenphysik liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, um Erster zu sein in der Produktion und im Verkauf von Fusionsstrom. Auf der einen Seite TAE-Gründer Michl Binderbauer. Geht es nach ihm, dann wird es schnell gehen: «Wir werden ab 2024 so weit sein, dass wir mit der Maschine stabil Netto-Energie auf Kernfusionsbasis erzielen können», sagt der CEO und Chef-Forscher. Mindestens um die Hälfte billiger als herkömmliche europäische Atomreaktoren sei das Produkt. «Anfang 2024 beginnen wir mit der Auslizenzierung der Maschine, die die Kunden bauen können, die marktfähig ist.» Gebaut und getestet wird die Maschine in den USA. Alles Geschäftliche, das gesamte Business Development, von der Vermarktung, über die Auslizenzierung bis zur Patentverwaltung, geschieht von Luzern aus.Fission versus Fusion: Wie Kerntechnologien funktionieren Kernspaltung: Fission ist die Kraft hinter Atombomben und Kernkraftwerken und wird nach wie vor auf der ganzen Welt eingesetzt. Schwere Atome, etwa Uran, werden in leichtere Atome wie Jod, Cäsium, Strontium, Xenon und Barium zerlegt. Dabei wird Energie freigesetzt.Kernfusion: Bei der Fusion werden leichte Atome, wie die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium, miteinander verschmolzen, um das schwerere Atom Helium zu bilden. Fusion ist es auch, wodurch die Sonne, die hauptsächlich aus Wasserstoff besteht, Energie erzeugt. Die enorme Schwerkraft in ihrem Kern macht Atome zu Plasma, einem elektrisch geladenen Gas. Ohne die extreme Schwerkraft des Sonnenkerns erfordert die Erzeugung von Plasma auf der Erde Temperaturen, die weitaus heisser sind als die der Sonne – bis zu 150 Millionen Grad –, um die Schwerkraft beziehungsweise den Druck, der in der Sonne entsteht, zu «imitieren».Bei beiden Reaktionen wird Kernenergie freigesetzt. Im Kraftwerk wird diese Energie einem Dampferzeuger zugeführt, welcher Strom generiert. Auf der anderen Seite sein Herausforderer: Ambrogio Fasoli, Direktor des Swiss Plasma Center der EPFL. Dieser sagt: «ITER findet statt, daran besteht kein Zweifel. Wir sind auf dem besten Weg dahin.» Der Wissenschafter vertritt das EPFL-Center und die Schweiz im europäischen ITER-Projekt – mit Ingenieuren und Forschern im Laborkittel. In den nächsten paar Jahren soll der bislang modernste und stabilste ITER-Testreaktor nach dem sogenannten Tokamak-Prinzip in Südfrankreich laufen. Ursprünglich geht der Tokamak auf sowjetische Baupläne aus der Ära Reagan/Gorbatschow zurück. Fasoli: «Wer zuerst mit einer simplen, kostengünstigen Lösung auf den Markt kommt, der wird das Rennen um die kommerzielle Fusionsenergie machen.» Die beiden Projektleiter befinden sich seit vielen Jahren in einem Wettlauf um herausragende Teilerfolge, werben laufend neue Geldmittel ein, erleiden aber auch Rückschläge. Immerhin müssen erstens in regelmässigen Abständen dreistellige Millionenbeträge zur Finanzierung beschafft werden, damit zweitens die Reaktoren so bald wie möglich und kontrolliert mehr als 100 Millionen Grad Celsius produzieren können – und beides ist nicht einfach. David gegen Goliath der KernfusionWer das Rennen macht, wird sich zeigen. Fakt ist, noch nie steckte so viel Schweiz in zwei der grössten Energieprojekte unseres Jahrhunderts. Binderbauer konnte hierzulande Milliardäre und Family Offices als Financiers gewinnen. TAE ist kurz davor, insgesamt 1 Milliarde Dollar für Finanzierung und Realisierung eines marktfähigen Reaktors zu erreichen. Wobei sich die schweizerisch-amerikanische TAE im Gegensatz zu ITER privat finanziert. An Bord sind strategische Investoren, institutionelle Anleger und Superreiche rund um den Globus. Zu den Anteilseignern gehören das milliardenschwere Investmentvehikel Vulcan Capital, Google, die Kuwait Investment Authority und der zweitgrösste Risikofinanzierer der Welt, New Enterprise Associates. Fasoli und die EPFL haben vom Schweizer Staat 700 Millionen Franken auf den Weg bekommen. Und es profitiert auch eine hoch spezialisierte Zulieferindustrie von dem Projekt, darunter hiesige Firmen wie Cryogenic, Ampegon, Lemo, Apco, Ruag, VAT und KDH. Zudem stehen hinter dem Mutterprojekt ITER ein Gesamtkapital von gegen 30 Milliarden Euro und mehr als 30 Länder, inklusive China und der Schweiz. Das wirkt wie David gegen Goliath: das gigantische Milliardenprojekt ITER mit 5000 Forschenden und 35 Regierungen im Rücken. Gegen die Venture-finanzierte Tech-Firma TAE mit 230 Mitarbeitenden in Luzern und den USA. Nicht nur gegen diese viel grössere Mannschaft mit mehr Geld tritt Binderbauer an. Auch die Zweifel seines Mitbewerbers Fasoli nagen an seinem Prestige. Fasoli meint nämlich, «TAE könnte aufgrund seiner Finanzierungsstruktur und renditeorientierten Investoren die Schwierigkeit haben, immer wieder Ankündigungen machen zu müssen, die der Realität vielleicht nicht völlig standhalten». Er wünscht und hofft für Binderbauer das Beste, glaubt aber nicht so recht an die Statements von TAE. Binderbauer nimmt es sportlich. Er glaubt an seine Formeln und Maschinen. Und das tun auch die renommiertesten Risikofinanzierer der Welt.

Das Potenzial der Kernfusion als Energie der Zukunft

Atomenergie ohne radioaktiven Müll: Der Traum vom Strom aus Kernfusion