E-Auto-Frust: Wie Mieter zu einer Ladestation kommen

Die Verkehrswende in der Schweiz kommt, nur haben viele sie sich anders vorgestellt. Zum Beispiel der sechzig Jahre alte Beat Gerber aus der Innerschweiz, der in Wirklichkeit anders heisst. Er lebt vor, was die gesamte EU bis 2035 plant: den Abschied vom Verbrennermotor und entsprechend weniger CO₂-Emissionen. Den täglichen Weg ins Büro legt Gerber mit seinem E-Bike zurück. Mit seinem E-Auto, einem der ersten vollelektrischen Modelle, fährt er zu geschäftlichen Terminen und benutzt es zudem am Wochenende – das macht etwa 200 Kilometer pro Woche. Das klappt wunderbar, Ärger gibt es aber mit der nötigen Stromversorgung. Um sein E-Auto zu laden, hat sich Gerber als Stockwerkeigentümer vor gut zweieinhalb Jahren selbst um die Verkabelung und die Ladestation in der Tiefgarage gekümmert: «Für Material- und Installationskosten von gerade mal 1450 Franken habe ich eine perfekte Lösung.» Selbstverständlich holte er das Einverständnis der Verwaltung ein. Weiter hat er sich von einem Elektroinstallateur beraten und begleiten lassen. Der Fachmann hat die Installation geprüft und dem Stromlieferanten gemeldet. Der Vorteil: Gerber benötigt eine nur sehr geringe Leistung und lädt zum günstigen Nachttarif. Unkompliziert, bezahlbar – Gerber war zufrieden mit seiner Variante. Doch jetzt soll alles anders werden. Hausverwaltung und Netzbetreiber wollen nichts mehr von solchen «Einzellösungen» innerhalb der vorhandenen Stromkapazitäten wissen. Die Rede ist von einer umfassenden Nachrüstung in Gerbers Haus und von einem Lastenmanagement. Die Nachrüstung der gesamten Infrastruktur käme die Eigentümerschaft teuer zu stehen. Von mindestens 4000 Franken für jede Miteigentümerin und jeden Miteigentümer ist die Rede. Die Freude an der neuen Fahrtechnologie schlägt in Frust um. Gerber sagt: «Die Kehrtwende ist völlig unverständlich, zumal unsere Lösung von allen als machbar betrachtet wurde.» Keine klare Linie bei Mietwohnungen Ähnlich durchzogen ist die Bilanz vieler Wohnungsmieterinnen und -mieter: «Ich habe die Steckdose selber nachgerüstet und selber bezahlt. Zum Glück war der Vermieter einverstanden», sagt ein Mieter aus Luzern. Andere aber ärgern sich, weil sie in der Verwaltung komplett auf taube Ohren stossen. «Laden Sie den Wagen doch woanders», ist eine Auskunft, die öfter zu hören ist. Für viele E-Auto-Käuferinnen und -Käufer ist das absurd: Endlich steht ein topmodernes Auto mit Batteriebetrieb in der Garage – und dann scheitert die Mobilität der Zukunft an fehlenden Steckdosen und Stromkabeln. «Rechtlich gibt es keinen Anspruch auf eine Ladestation», sagt Monika Schaffer von der SIM Immobilien AG in Greifensee ZH. Ausserdem gebe es auf dem Markt eine schier unüberschaubare Flut an technischen Lösungen, Standards und Finanzierungsmodellen. «Wenn wir in einer Gemeinschaft von Stockwerkeigentümern darüber beraten und abstimmen müssen, stellen wir eine grosse Verunsicherung fest», erzählt die Zürcher Verwalterin.In der Praxis sei der Weg steinig und beanspruche «sehr viel Zeit». Die Ladestationen kommen erst dann ins Haus, wenn sich die Miteigentümer und Miteigentümerinnen auf ein Budget und ein Konzept einigen können. Auch die Statements einiger grosser Bewirtschaftungsunternehmen der Immobilienbranche wie Livit oder Privera bestätigen, dass es keine klare Linie gibt. Sie bestätigen zwar, in der E-Mobilität einen bedeutenden Trend für die Zukunft zu sehen. Bei Mietverhältnissen liege der Entscheid aber immer bei der einzelnen Hauseigentümerin oder beim einzelnen Hauseigentümer beziehungsweise beim Investor. Einige einflussreiche Player haben zumindest eine Strategie ausgearbeitet: Wincasa hat zum Beispiel eigens eine Stelle für E-Mobilität geschaffen (siehe Interview rechts). Die ABZ in Zürich, mit über 5000 Wohnungen die grösste Baugenossenschaft der Schweiz, erarbeitet gerade zumindest ein Konzept. «Bei Neubauten werden die entsprechenden Installationen von Anfang an mit berücksichtigt», sagt ein Sprecher der Genossenschaft. Bei bestehenden Siedlungen hänge eine Nachrüstung von den technischen Voraussetzungen und dem Bedarf in der Siedlung ab. Paradigmenwechsel beim Laden Für die meisten Fachleute ist klar: Die Übergang zur E-Mobilität darf keinesfalls von unklaren Zuständigkeiten und Konflikten in Eigentümergemeinschaften ausgebremst werden. Daniela Sauter-Kohler, die beim EKZ des Kantons Zürich den Bereich Elektromobilität leitet, sagt dazu: «Mit den hohen Zuwachsraten bei der E-Mobilität ist ein Paradigmenwechsel verbunden.» Das Laden zu Hause löse das öffentliche Tanken ab, so ihre Einschätzung: «Aus Umfragen wissen wir zuverlässig, dass über 90 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer ihren Wagen entweder zu Hause oder im Büro aufladen wollen.» Es sei absolut naheliegend, die langen Stehzeiten auf Parkplätzen und daheim in der Garage zum Laden zu nutzen. Und zu Hause brauche es auch keine solche Spitzenleistung wie für eine Schnellladung unterwegs; in den meisten Fällen reiche es völlig, wenn der Wagen erst nach einigen Stunden wieder bereit ist für die nächste Fahrt. Das heisst, für den Besitzer oder die Besitzerin eines Einfamilienhauses sind weder eine Erhöhung der Netzleistung noch eine komplexe Ladeinfrastruktur nötig. Oft lassen sich E-Fahrzeuge laden, indem die entsprechenden Anschlüsse über die bestehenden Wohnungszähler im Haus verbunden werden. Das funktioniert auch in kleineren Mehrfamilienhäusern. Jeder Netzanbieter kennt allerdings seine eigenen Vorschriften und Meldepflichten. Die Installation einer eigentlichen Ladestation (Wallbox) muss ihm gemeldet werden. Trotzdem, bei den Einfamilienhäusern ist die Ausgangslage einfacher als bei Mehrfamilienhäusern und ganzen Siedlungen. Expertin Sauter-Kohler nennt als Faustregel eine Schwelle von etwa zehn Ladestationen, die meist noch mit der schon bestehenden Netzleistung im Haus betrieben werden können. Danach steigen die Anforderungen.Wichtig sei vor allem: Die Ladestationen sollten steuerbar sein, um bei einem Leistungsengpass Prioritäten setzen zu können. In einem Notfall müsse der Netzbetreiber die Möglichkeit haben, einzugreifen – der Netzstabilität wegen. Wenn in grossen Parkhäusern und Tiefgaragen künftig dreissig oder vierzig E-Autos am Netz hängen, sind die technischen Vorschriften und die Sicherheitsstandards sehr ernst zu nehmen. Ein unsachgemässer Betrieb an bestehenden Stromanschlüssen birgt ein Risiko für Kurzschlüsse und Stromausfall sowie eine Brandgefahr durch Überhitzung von Steckern und Stromkabeln. Zu welchen Kosten und mit welchem Aufwand sich dies bewerkstelligen lässt, hängt stark vom Einzelobjekt und von den baulichen Voraussetzungen ab. Eine Machbarkeitsstudie und genauere Analysen durch den Netzbetreiber oder einen unabhängigen Elektroplaner können sich bezahlt machen. Sogenannte intelligente Ladesysteme machen es zum Beispiel möglich, die Leistung über Nacht optimal auf mehrere Fahrzeuge zu verteilen. Dann muss der Hauseigentümer zwar die Ladestationen und das System zur Steuerung und Abrechnung finanzieren – aber ein Ausbau der Netzinfrastruktur und der Hausinstallation erübrigt sich in diesem Fall. «E-Mobilität bedeutet mehr als nur einen Trend»: Interview mit dem Projektleiter E-Mobilität bei Wincasa, Matthias Schmid. Lade-Chaos bei E-Autos verhindern. Ein Kommentar Neubauten sind oft unproblematisch Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) hat 2019 ein Merkblatt zur Elektromobilität herausgegeben («SIA 2060»). Planer und Bauherrschaften werden darin aufgefordert, dem technologischen Wandel Rechnung zu tragen – kurz: Überall wo Fahrzeuge abgestellt werden, sollte eine gewisse Mindestzahl an Anschlüssen vorhanden sein. Die SIA-Norm hat lediglich den Charakter einer Empfehlung. Bei Neubauten zeichnet sich aber tatsächlich ein Umdenken ab. Die meisten grossen Investoren unter den Versicherungen und Pensionskassen sehen für alle Neubauten entsprechende Grundinstallationen vor (Leerrohre, Verkabelungen, erforderliche Leistung beim Hausanschluss etc.). Das hat den Vorteil, dass sie als Vermieter rasch Ladestationen anbieten und das System bei künftig grösserer Nachfrage auch skalieren können. Für E-Autofahrer Reto Gerber steht fest: Er will keine komplizierte Variante. «Bei täglichen Fahrten von 30 oder 40 Kilometern ist eine sehr geringe Ladeleistung über Nacht völlig ausreichend.» Eine teure «Luxusladestation» wäre so, wie wenn man früher alle Tiefgaragen mit einer Benzintankstelle ausgerüstet hätte, sagt er. Gerber ist fest entschlossen, gemeinsam mit einigen anderen Miteigentümern und Miteigentümerinnen bei der Verwaltung die weitere Nutzung ihres bisherigen Konzepts zu beantragen.