Twitter hat laut Experten gute Chancen, sich vor Gericht erfolgreich gegen den Rückzug des Tesla-Chefs Elon Musk von der 44 Milliarden Dollar schweren Übernahme zur Wehr zu setzen. Denkbar sei aber auch, dass sich der Kurznachrichten-Dienst für Nachverhandlungen oder einen Vergleich entscheide, anstatt gegen Musk einen langwierigen Rechtsstreit zu führen, um ihn zum Kauf unter den im April vereinbarten Bedingungen zu zwingen.

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Die Gerichte im US-Bundesstaat Delaware, wo der Streit ausgetragen werden könnte, haben Experten zufolge die Messlatte hoch gelegt für den Rückzug aus Übernahmen. Die verschmähten Unternehmen zögen jedoch oft die Sicherheit eines neu ausgehandelten Geschäfts zu einem niedrigeren Preis oder eine finanzielle Entschädigung dem Klageweg vor, der sich über viele Monate hinziehen kann. «Für eine Einigung auf einen niedrigeren Übernahme-Preis spricht, dass ein Rechtsstreit teuer ist», sagt Adam Badawi, Juraprofessor an der Universität Berkeley. Zudem könnten Verhandlung chaotisch verlaufen. Es sei also keineswegs sicher, dass sich der Gang vor ein Gericht tatsächlich lohne.

Wesentliche nachteilige Auswirkungen

Musk hatte am Freitag seine Anwälte erklären lassen, er halte nicht mehr an seiner Kaufabsicht fest. Zur Begründung hieß es, Twitter habe gegen eine Vereinbarung verstossen. Das Unternehmen habe ihm nicht genügend Informationen zur Verfügung stellt, um zu untermauern, dass nur weniger als fünf Prozent der aktiven Twitter-Nutzer Spam oder gefälschte Konten seien. Twitter hatte an dieser Schätzung festgehalten, hält es aber auch für möglich, dass die Zahl höher ist. Musk hatte erklärt, dass falsche Twitter-Angaben über die Anzahl der Spam-Konten eine «wesentliche nachteilige Auswirkung» (englisch: material adverse effect, MAE) darstellen könnten. Das ermögliche es ihm, gemäss den Vertragsbedingungen von dem Geschäft zurückzutreten.

Experten erklären jedoch, Gerichte in Delaware würden MAEs als dramatische, unerwartete Ereignisse betrachten, die einem Unternehmens langfristig schaden. Verträge wie der zwischen Musk und Twitter seien aber so gestaltet, dass bei solchen Rechtsstreitigkeiten bislang nur einmal dem Käufer recht gegeben wurde. Dabei ging es um den deutschen Gesundheitskonzerns Fresenius Kabi, der 2018 vom Kauf des US-Unternehmens Akorn zurückgetreten war. Damals hatte ein Gericht festgestellt, dass Akorns Zusicherungen an Fresenius nicht stimmten, wonach Akorn seine regulatorischen Verpflichtungen eingehalten hatte. Zudem hatte Akorn dem Richter zufolge Fakten über eine Verschlechterung seiner Lage zurückgehalten.

Spam-Konten sind Zankapfel

Es sei nicht davon auszugehen, dass ungenaue Zahlen zu Spam-Konten für Twitter ein ebenso schwerwiegendes Vergehen darstellten wie die Probleme bei Akorn, sagen Experten. «Wenn es vor Gericht geht, muss Musk mit hoher Wahrscheinlichkeit beweisen, dass die Spam-Kontonummern nicht nur falsch waren, sondern dass sie so falsch waren, dass sie erhebliche Auswirkungen auf die künftigen Einnahmen von Twitter haben werden», sagt Ann Lipton, Vize-Dekanin für Forschung an der Tulane Law School.

Musk hat auch erklärt, Twitter habe gegen Vereinbarungen verstossen, indem es zwei hochrangige Mitarbeiter ohne seine Zustimmung entlassen habe. «Das ist wahrscheinlich der einzige Punkt, der Bestand haben wird», sagt Brian Quinn, Professor an der Boston College Law School. Er bezweifele aber, dass die Entlassungen so schwerwiegend seien, dass sie das Geschäft von Twitter beeinträchtigten.

Gerichte können Käufe anordnen

In den meisten Fällen entscheiden die Gerichte zugunsten der Unternehmen, die gekauft werden sollten. Sie ordnen dann an, dass die Käufer ihre Geschäfte abschliessen müssen. So war es auch im Jahr 2001. Damals wollte der grösste Verarbeiter von Hühnerfleisch in den USA, Tyson Foods, den grössten Fleischverpacker IBP nicht mehr kaufen. Ein Richter entschied aber, dass das Geschäft vollzogen werden musste.

Viele Unternehmen entscheiden sich jedoch für eine einvernehmliche Einigung mit dem Käufer. Damit wollen sie eine auf längere Zeit ungewisse Zukunft der Firma vermeiden, die auf Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten lasten kann. So geschehen im Jahr 2020 bei der Übernahme des US-Juweliers Tiffany durch den französischen Luxuskonzern LVMH. LVMH wollte zunächst wieder aussteigen. Am Ende übernahm er Tiffany doch - allerdings wurde der Preis um 425 Millionen auf 15,8 Milliarden Dollar gesenkt. In einem anderen Fall konnte die Simon Property Group, der grösste Betreiber von Einkaufszentren in den USA, seinen Kaufpreis für eine Beteiligung an dem Rivalen Taubman Centers um 18 Prozent auf 2,65 Milliarden Dollar drücken.

Entschädigungszahlung möglich

Manche Fälle enden aber auch ohne Übernahme - dann allerdings mit einer Entschädigungszahlung. Etwa im Fall der Medizintechnik-Firma Channel Medsystems, die das Unternehmen Boston Scientific verklagte, weil es aus einer 275 Millionen Dollar schweren Übernahme aussteigen wollte. Ein Richter sprach Channel Medsystems 2019 eine Abfindung in nicht genannter Höhe zu.

So weit bekannt, gibt es eine solche Vereinbarung auch zwischen Musk und Twitter. Musk müsste demnach eine Milliarde Dollar zahlen, sollte er vom Kauf zurücktreten. Musk führt für die Absage der Übernahme zwar einen Vertragsbruch durch Twitter ins Feld - Beobachter hatten aber bereits seit längerem gemutmasst, der Tesla-Chef wolle angesichts des Kursverfalls bei Technologie-Aktien an den Börsen nicht mehr die vereinbarten 54,20 Dollar pro Twitter-Aktie zahlen. Nach der Absage des Deals am Freitagabend sackten die seit Wochen schwächelnden Papiere um knapp acht Prozent auf 34,05 Dollar ab. (Reuters/scc)