Neue Gentechnik: Die grüne Welle rollt

Auf einem Feld in Zürich-Affoltern hat die Zukunft der Landwirtschaft bereits begonnen. Die beiden Wissenschaftlerinnen Teresa Koller und Beatrice Manser bauen hier Weizen an – einmal mit und einmal ohne Gentechnologie. Und das mit Erfolg: Die Ähren, die aus gentechnisch verändertem Saatgut entstanden sind, entwickeln sich gut, diejenigen aus konventionellem Saatgut sind mit Mehltau befallen, einer Pilzerkrankung, die bei den Kulturen zu Ernteausfällen von bis zu einem Viertel führen kann. «Die gentechnisch veränderten Pflanzen sind gesund, ohne dass wir sie spritzen müssen», sagt Teresa Koller. Hunderte Wissenschaftler forschen weltweit an grüner Gentechnik Es wird wieder geforscht in der grünen Gentechnik. Wie die beiden Zürcher Jungforscherinnen beschäftigen sich weltweit Hunderte von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen mit gentechnischen Züchtungsmethoden, um Kulturpflanzen gegen Krankheiten zu immunisieren, sie gegen Hitze und Dürre beständiger zu machen oder sie so genetisch zu verändern, dass sie lebenswichtige Stoffe wie Vitamine enthalten, die sie natürlicherweise nicht haben. Grund für den Boom ist Crispr/Cas, eine Erfindung, die auf die beiden Nobelpreisträgerinnen, die Französin Emmanuelle Charpentier und ihre amerikanische Kollegin Jennifer Doudna zurückgeht. Das Prinzip: Die genetische Mutation wird nicht, wie bei der ersten Generation der grünen Gentechnik, mehr oder weniger zufällig irgendwo im Erbgut der Pflanze herbeigeführt. Sie erfolgt gezielt, indem ein Stück der genetischen Information mit Hilfe eines Proteins, einer sogenannten Genschere, herausgeschnitten und durch eine andere ersetzt werden kann. Crispr/Cas – elegant und einfach Das ist eleganter als alles, was es bis jetzt gab. Und, so vermuten einige Wissenschaftler schonender als die Mutagenese, mit der in der Pflanzenzüchtung bis jetzt gearbeitet wurden. Bei der Mutagenese wird das Saatgut mit radioaktiver Strahlung oder mit chemischen Substanzen breit beschossen, in der Hoffnung, dass eine der vielen Mutationen, die dabei entstehen, die gewünschte Veränderungen bringe. Mehr als 2000 Kulturpflanzen sind so bereits entstanden. Die Mutagenese sei wie eine Schrottflinte, mit der auf das Saatgut geschossen werde, sagt die Zürcher Jungforscherin Beatrice Manser. Der Vorteil der neuen Technologie sei, «dass wir genau wissen, was wir wo am Erbgut der Pflanze verändern». Zudem ist die Genomeditierung vergleichsweise einfach durchzuführen. Sie kann deshalb auch in kleineren Labors gemacht werden. Das könnte eine Chance für kleinere Anbieter sein. Oder für regionale Sorten, die, zum Beispiel wegen des Klimawandels, gefährdet sind. Und noch etwas unterscheidet die neue von der alten Gentechnik: Bei Crispr/Cas wird meist nicht mit artfremden Geninformationen gearbeitet, sondern mit artgleichen. Das heisst, es werden etwa Eigenschaften einer wilden Erdbeere oder eines Holzapfels, also des extrem harten und kaum geniessbaren wilden Bruders unserer Äpfel in die entsprechenden Kulturpflanzen eingebaut. Mehr als 1000 Studien arbeiten mit Crispr/Cas Die Genomeditierung bei Pflanzen boomt. Wissenschaftler des Julius-Kühn-Instituts, der bundesdeutschen Bundesinstituts für Kulturpflanzen zählten schon per Mai 2018 1328 Studien, bei denen mit verschiedenen Methoden der Genomeditierung an 68 Pflanzenarten gearbeitet wurden. Bei der überwiegenden Mehrheit, nämlich 1032 kam Cirspr/Cas zum Einsatz. Oft ging es um Grundlagenforschung. Aber immerhin: Bei 99 Studien arbeiteten die Forscher und Forscherinnen daran, Nutzpflanzen – vor allem Reis, Mais, Weizen und Sojabohnen und Tomaten – mit Blick auf eine mögliche Kommerzialisierung genetisch zu verändern. Oft ging es dabei, die Erträge und der Resistenz gegen Pflanzenkrankheiten zu verbessern. Doch auch an einem Weizen, der weniger Gluten enthält, wird geforscht. Was die zunehmende Zahl derer freuen dürfte, die unter einer Glutenintoleranz leiden. Aber auch das ist möglich: Blattsalate mit einem erhöhtem Vitamingehalt oder Kartoffeln, die länger frisch bleiben und weniger Acrylamid produzieren, wenn sie erhitzt werden. Acrylamid entsteht beim Braten und Rösten von Kartoffeln und ist wahrscheinlich krebserrregend. In den USA bereits auf dem Markt ist eine Sojabohne mit einem verbessertem Fettsäureprofil. Sie basiert allerdings auf einem älteren Genomeditierungsverfahren. Gentechnologie wird Einsatz von Pestiziden reduzieren Das Spielfeld der Wissenschaftler ist immens. Er sei überzeugt, dass der Hauptbeitrag der neuen Technologie darin liegen werde, den Pestizideinsatz weltweit «gegen Null runter zu fahren», sagt Urs Niggli, ehemals Chef der Forschungsanstalt für biologischen Landbau und Spezialist für Agroökologie. Was auch dringend notwendig sei. Denn: «Pestizide sind ein Killer für die Biodiversität». Doch Infektionskrankheiten, an denen die beiden Jungwissenschaftlerinnen aus Zürich arbeiten, sind das nur eine. Daneben gibt es auch Versuche, Pflanzen hitzebeständiger zu machen oder so genetisch zu verändern, dass sie Dürreperioden besser überstehen. Allerdings dürften diese Varianten noch etwas länger auf sich warten lassen. Die Wissenschaft geht nämlich davon aus, dass bei der Hitze- und Dürrebeständigkeit mehrere genetische Informationen zusammenspielen und dass deshalb auch mehrere Veränderungen notwendig sind. Das dürfte also noch etwas länger dauern. Trotzdem, die Hoffnungen, die sich mit der neuen Gentechnik verbinden, sind enorm. «Gentechnik kann nicht alles. Aber sie ist ein Tool in der Tool-Box in der Pflanzenzüchtung, das es erlaubt, die Eigenschaften von Sorten zu verbessern», sagt die Zürcher Jungforscherin Teresa Koller. Ähnlich sieht das Robert Finger, Professor für Agroökonomie und Politik und Chef des World Food System Center an der ETH Zürich. «Die Landwirtschaft steht vor der Herausforderung, mit weniger Ressourcen und einem kleineren Fussabdruck mehr Nahrungsmittel zu produzieren«, sagt er. «Und das wird ganz ohne neue Technologien nicht gehen». Konventionelle Landwirtschaft muss nachhaltiger werden Und selbst der Schweizer Bio-Altmeister Urs Niggli sagt: «Bio macht weltweit weniger als zwei Prozent aus, wir müssen nach Wegen suchen, um die konventionelle Landwirtschaft nachhaltiger zu machen und das wir nur gehen, wenn wir bäuerliches Wissen mit neuen Technologien kombinieren». Noch sind ganz wenige Nahrungsmittel auf dem Markt, die mit Crispr/Cas gentechnisch verändert wurden. In Japan gibt es eine Tomate, die einen Wirkstoff enthält, der vorbeugend gegen Bluthochdruck und Herzkreislauferkrankungen wirkt. Sie wird vor allem in Pulverform verkauft und soll sehr beliebt sein. Doch auch bei Grundnahrungsmitteln wie Reis gibt es erste Durchbrüche. 2019 gelange es dem internationalen Forschungskonsortium «Healthy Crops», eine Reispflanze zu entwickeln, die resistent gegen mehrere Bakterienarten ist, die Weissblättrigkeit verursache. Die Krankheit kann Ernteausfälle von bis zu 75 Prozent verursachen, sie trifft vor allem asiatische Kleinbauern, die sich keine Pflanzenschutzmittel leisten können. Und auch dieses Beispiel zeigt, was Genomeditierung leisten kann: Forschern aus den USA, Brasilien und Deutschland gelang es kürzlich, aus der Solanum pimpinellifolium, einer wilden Tomate, sechs Gene zu deaktivieren und damit in einem Zug eine neue Tomate zu züchten. Die neue Tomate ist nicht nur oval und platzt damit weniger schnell auf, wenn es regnet. Sie schmeckt auch besser und enthält fünfmal mehr Lycopin, ein Antioxidans, das freie Radikale im menschlichen Körper unschädlich macht. Und sie trägt nicht nur zehnmal mehr Blüten als andere Kulturtomaten, sondern auch fünf Mal mehr Früchte. «Die Technologie ist reif», sagt Bio-Altmeister Urs Niggli «Die Technologie ist reif», sagt der Urs Niggli. Doch ob die Technologie diesmal den Durchbruch schafft, entscheidet sich nicht nur in den Labors. Das wird auch an der Politik liegen. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die Regulierung so zu gestalten, dass nicht mehr, wie heute, die Methode zählt, mit der die neue Kulturpflanze gezüchtet wurde, sondern das Resultat. Denn dann würde es klar heissen: Vorteil für Crispr/Cas. Denn das Gute an der Technologie ist ja gerade, dass sich die Mutationen, die dabei entstehen, nicht von natürlichen unterscheiden lassen. Alle grossen Landwirtschaftsmärkte der Welt, also die USA, Kanada, Brasilien, aber auch China und seit kurzem auch Indien, orientieren sich bei der Zulassung neuer Nutzpflanzen heute nur noch am Outcome, ebenso wie Grossbritannien. Nur Europa und die Schweiz diskutieren noch. Auf die Gefahr hin, ihre Bäuerinnen und Konsumenten weiterhin von einer Technologie abzuschneiden, bei der es keinerlei Hinweise gibt, dass Umwelt, Tier und Mensch in irgendeiner Weise schädigt. Dass auf den europäischen Agrarmärkten auch dann noch Herbzide, Fungizide und Pestizide ausgesprüht werden, dass Böden und Gewässer strapaziert werden, wenn die Alternativen eigentlich da wären.Kommentar zur Gentechnik: Weg mit den Denkverboten! Dank neuen Technologien bekommt die grüne Gentechnik eine zweite Chance. Wir sollten sie nicht vermasseln.