Gleich hinter dem Basler Güterbahnhof, unweit des St. Jakob Fussballstadions, beginnt die Zukunft. Die Industriezone «Auf dem Wolf» bietet keine Glitzerfassaden und kühne Prestigearchitektur. Die Gebäude verströmen vielmehr schlichte Sachlichkeit. In einem von ihnen befindet sich die «Digitalwerkstatt».

Mit einem Warenlift gelange ich ins dritte Obergeschoss, wo mich Claudio Kuenzler in seinen funktionalen Geschäftsräumen empfängt. Hier wird Pionierarbeit im Bereich 3D-Druck geleistet. Mit den zurzeit beliebten Figürchen, die man im kleinen Massstab von sich ausdrucken lässt, hat die Digitalwerkstatt allerdings wenig zu tun, wie Claudio Kuenzler gleich abwinkt. «Das ist Gugus. Das läuft jetzt zwei Jahre, dann haben alle genug davon. Langfristig ist das kein Geschäftsmodell.»

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Ein Herz für den Chirurgen

In der Tat kann die Digitalwerkstatt mit weit interessanteren Objekten aufwarten. Auf dem Tisch, an den wir uns für das Gespräch setzen, fällt das Modell eines roten Herzens ins Auge. Claudio Kuenzler erzählt, was es damit auf sich hat. Die Digitalwerkstatt erhielt eines Tages den Anruf eines Chirurgen, der vor einer komplizierten Operation stand. Ein Tumor sollte aus dem Herzen entfernt werden. Um diesen exakt lokalisieren zu können, bat der Chirurg um ein Modell des Organs.

Kein Einzelfall, sagt Claudio Kuenzler. «In solchen Fällen stoppen wir die anderen Arbeiten, um den Auftrag gleich durchzuführen.» Die umgehend gesendeten Computertomographie-Daten werden aufbereitet und an den Drucker übermittelt, der dann ein absolut detailgetreues Modell herstellt.

Komplexes Zusammenspiel

Was einfach klingt, beruht auf einem komplexen Zusammenspiel von menschlichem Knowhow und maschineller Präzision. Nach rund fünf Stunden habe der Chirurg das Modell per Eilpost zugestellt erhalten. «Nun konnte er exakt bemessen, wo und wie viel er schneiden kann, damit die Herzkammerwände ihre Stabilität nicht verlieren.»

Eine solche Hilfe gibt auch persönliche Befriedigung, versichert Kuenzler. «Wenn der Arzt im Nachhinein anruft und sagt, die Operation sei gut verlaufen - da fühlt man sich ein wenig als Teil des Operationsteams, weil man auch ein Stück Verantwortung mit getragen hat». Das Beispiel demonstriert das eigentliche Potenzial dieser Technik.

Technik 1983 entwickelt

Der 3D-Druck ist keineswegs so neu, wie es zurzeit vielleicht den Anschein macht. Die Technologie wurde schon 1983 vom Amerikaner Chuck Hall entwickelt. Lange Zeit blieb sie den Entwicklungsabteilungen von Konzernen vorbehalten. Zum einen war sie sehr teuer, vor allem aber, sagt Claudio Kuenzler, «bringt die Maschine allein noch nichts: man muss sie auch füttern und das braucht viel informationstechnisches Knowhow».

Den letzten Punkt betont er, weil es genau das ist, was die Digitalwerkstatt auszeichnet. «Es gibt jetzt Firmen und Einzelpersonen, die kaufen sich die billig gewordenen Geräte, ohne damit wirklich etwas anfangen zu können, weil ihnen das notwendige Wissen dazu fehlt.» Mit anderen Worten: Ein 3D-Drucker ist genau so viel Wert, wie der Programmcode, mit dem er gesteuert wird. Claudio Kuenzler weiss, wovon er spricht. Er kommt aus der Informatik und sieht genau darin die Stärke seines Betriebs. «Beim Ansteuern liegt unser Knowhow, damit verdienen wir unser Geld.»

Die Gründung

Die Digitalwerkstatt wurde im Mai 2010 gegründet. Laut schweizerischem Handelsregister waren Claudio Kuenzler und Daniel Koelliker die ersten in diesem Geschäftsfeld. Das notwendige Startkapital konnten sie bei den Eltern ausleihen. Sie hatten es damit auf einen Lasercutter abgesehen, mit dem sich aus plattenförmigem Material komplexe Figuren hoch präzise ausschneiden lassen. Die Maschine kostete damals 60'000 Franken.

Kein Klecks für zwei Jungunternehmer, doch sie hat sich schnell amortisiert, wie Claudio Kuenzler nur ein klein wenig übertreibt: «Als die Maschine damals in unserer Werkstatt eintraf, standen die Leute bereits mit Aufträgen an der Türe - da wussten wir, dass die Sache funktioniert.»

Die Digitalwerkstatt, an der die beiden Gründer je mit 50 Prozent beteiligt sind, umschreibt er als «Agentur für digitale Produktion», die «Realisationen in 2D und 3D» anbietet. Dazu gehört die ganze Palette vom Konzept über die Gestaltung bis hin zur Umsetzung von Raumkonzepten.

Lasercutter

Auf den Lasercutter folgte 2012 der erste 3D-Drucker, eine Occasion, die bis heute ihren Dienst tut. Im damaligen Atelier am Kleinbasler Bläsiring, einem «alten Haus in einem Hinterhof, im Erdgeschoss», musste dafür extra ein Türrahmen herausgebrochen werden. Nicht zuletzt wegen solcher Unpässlichkeiten wurde 2013 ein Umzug ins St. Jakobsquartier beschlossen. Trotz der modernen Geräte wirken die neuen Räumlichkeiten auf den Besucher keineswegs wie ein Hightech-Labor.

Natürlich stehen auf allen Tischen Computermonitore, doch daneben ist auch etwas von Werkstattatmosphäre zu spüren. Ungeachtet aller Technik erfordert der 3D-Druck einiges an handwerklicher Nachbearbeitung: schleifen und malen, damit das erwähnte Muster-Herz für Werbezwecke auch rot anmutet oder die Nachbildung eines prähistorischen Knochens die entsprechende Patina erhält.

Breiter Kundenstamm

Zum Kundenstamm gehören heute Architekten - die bekannten Büros inklusive -, aber auch Werbeagenturen und Forschungsinstitutionen. Es ist ein weites Feld, das Claudio Kuenzler und Daniel Koelliker inzwischen mit fünf Mitarbeitern beackern.

Sie konzentrieren sich ganz auf spezielle Anwendungen, wie Kuenzler bestätigt. Als «reiner Anwender von Technologie» haben sie dabei gar nicht den Anspruch, alles inhouse zu produzieren, bei Bedarf greifen sie auf ein Netzwerk von Partnerfirmen zurück, die über die neuesten Maschinen verfügen. Auf der Innovationslandkarte des Bundes figuriert die Digitalwerkstatt GmbH denn auch im Aktionsfeld «Materialien- und Fertigungstechnologien (Prototypenerstellung)».

Zwei Grundtypen

Deshalb muss an diesem Zukunftsort zwingend auch über Technik gesprochen werden. Im heutigen 3D-Druck lassen sich zwei Grundtypen unterscheiden. Mittlerweile bekannt und bereits für private Zwecke geeignet ist das Aufbauverfahren (Fused Deposition Modeling FDM), bei dem ein Kunststoff- oder Wachsdraht - das Filament - verflüssigt und stetig im Kreise herum zu einem Gebilde aufgebaut wird. Bezüglich Material und Formenvielfalt ist dieses Verfahren stark limitiert.

Weit stärker regt das Rapid Prototyping heute die Fantasien an. Dreidimensionale Objekte werden dabei aus einem Pulver aus Mikrokügelchen geformt, indem der gebündelte Lichtpunkt eines Lasers die jeweils oberste Pulverschicht von 0,1 mm mit der darunterliegenden Schicht punktgenau verschweisst. Schicht um Schicht entsteht so in 3D das gewünschte Objekt. Das nicht gehärtete Pulver wird zum Schluss weggeblasen. Für dieses Verfahren können alle Materialien verwendet werden, die sich zu Pulver verarbeiten lassen: Polymere, Keramik oder auch Metalle.

Der faszinierende Prozess lässt auch Claudio Kuenzler noch immer staunen: «Es ist schon auch ein wenig Hokus Pokus». Ein Kunststoff-Kettengeflecht aus einem einzigen Guss, bei dem alle Glieder voll beweglich bleiben, demonstriert auf beeindruckende Weise eine der Stärken dieser Technik.

Spielerei und Ernst

Nun gut, räumt Claudio Kuenzler ein, das Kettengeflecht ist vor allem Spielerei, doch dahinter verbergen sich Anwendungen von höchstem Nutzen. Speziell in der Medizin tun sich Chancen auf. Denken wir an Modelle für die plastische Chirurgie, zählt er auf, an künstliche Hüftgelenke aus Titan oder an perfekt angepasste kostengünstige Prothesen, «die mit vielleicht 100 Dollar auch für Entwicklungsländer bezahlbar sind».

Die kleine Auslegeordnung aus einer Werbeartikelkiste präsentiert die Vielfalt an Formen und Materialien: Polyamid mit Alu-Partikeln, glasfaserverstärktes Polyamid, UV-gehärtetes Harz, unterschiedlich biegsame Kunststoffe oder Metalle wie Titan, Silber und Stahl. Die berüchtigte Pistole aus dem 3D-Drucker bleibt somit möglich. Allerdings, wendet Claudio Kuenzler gleich ein, «auf dem Schwarzmarkt ist die Pistole viel billiger zu haben». Selbst der Druck eines Designer-Möbels bleibt bis auf Weiteres ökonomischer Unsinn.

Hohe Preise

Man darf sich nichts vormachen: Der 3D-Druck ist eine vergleichsweise kostspielige Angelegenheit. Zum einen ist das Material nicht umsonst zu haben - ein Kilogramm des üblichen Polyamidpulvers kostet rund 300 Franken, und bei Spezialprodukten wie «nanoaufbereitetem Gipspulver» schnellen die Preise hoch.

Zum zweiten sind die spezialisierten Apparaturen teuer und benötigen eine entsprechende Auslastung. Für einen Artec-3D-Handscanner, so etwas wie «ein überteuertes Bügeleisen mit Kameras und Sensoren», mit dem sich ein Objekt oder eine Person dreidimensional in CAD-Daten umwandeln lassen, sind rund 16'000 Franken locker zu machen. Und ein hochwertiger 3D-Drucker geht schnell in die Hunderttausende.

Der 3D-Druck lohnt sich da, wo komplexe Objekte als Prototyp oder in Kleinserie hergestellt werden. «Er ist effizient und letztlich günstig, wenn ich die Gestaltungsmöglichkeiten komplett ausreize, das heisst Sachen herstelle, die ich konventionell gar nicht herstellen kann.»

Industrielle Revolution?

Ein zweites Geschäftsfeld tut sich auf, wo sich eine geographische Trennung von Kreation und Produktion anbietet. In dem Punkt bahnt sich vielleicht tatsächlich eine industrielle Revolution an. Claudio Kuenzler fasst es so zusammen: «Entwicklung, Forschung und Datenerstellung bleiben in der Schweiz, egal wo ein Ding dann produziert wird.»

Nehmen wir das Beispiel einer Designer-Brille. «Sie haben einen Schweizer Anbieter und einen Kunden in Indonesien, der zehn Stück davon möchte. Bis diese zehn Stück da ankommen, kostet es Zeit, Zollgebühren und vor allem Nerven - statt dessen schicke ich die entsprechende Datei zu einem 3D-Drucker in Indonesien, der die Brillen lokal produziert und liefert. Das kostet keine Mehrwertsteuer und wir hier erhalten, was uns zusteht.»

Ohne komplizierte Zollformalitäten

Komplizierte Zollformalitäten entfallen ebenso wie ökologisch unsinnige Transportwege oder teure Lagerhaltung. «Ich muss nichts vorab produzieren, sondern drucke erst, wenn etwas verkauft wird», bekräftigt Claudio Kuenzler.

Darin liegt vermutlich die «Revolution», die mittels 3D-Druck den Werkplatz und den globalen Handel nachhaltig verändert, erst recht, wenn die Apparaturen künftig an Effizienz zulegen und «wenn Materialien verbunden gedruckt werden können», also vermischt in ein und derselben Form. Diese Entwicklung wird weiter gehen, ist Claudio Kuenzler überzeugt. Dabei wollen er und sein Partner Daniel Koelliker mit ihrer Digitalwerkstatt weiterhin erfolgreich mitmischen.

(sda/ccr)