Wer Gespräche mit Nicolas G. Hayek, geboren am 19. Februar 1928 in Beirut, auf das lenkt, worüber andere meist stöhnen, bekommt Erstaunliches zu hören. «In meinem ganzen Leben habe ich noch nie einen Tag gearbeitet. Ich habe mich immer amüsiert, denn das, was andere als Arbeit bezeichnen, ist für mich Amüsement.»

Wer den 80-Jährigen nicht näher kennt, müsste spätestens jetzt an seinem Lebenswerk zweifeln. Aber Skepsis jedweder Art ist fehl am Platz, denn der Mann ist trotz – oder gerade wegen – seines fortwährenden Amüsements zum Schweizer Wirtschaftspionier, ja in gewissem Sinne gar zum Nationalhelden avanciert.

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Man schrieb die frühen 1980er Jahre, als die Uhrenindustrie, das einstige guteidgenössische Nationalheiligtum, im Todeskampf daniederlag. Den Trend zur billigen Digital-Quarzuhr hatte die Industrie im Jurabogen schlichtweg verschlafen. Das legendäre Swiss Made zählte auch nicht mehr sonderlich viel. Und zu allem Überfluss streckte die japanische Konkurrenz ihre Hände nach Omega, einer der ur-schweizerischsten Uhrenmarken überhaupt, aus.

Der vernichtende Kritiker

Nicolas G. Hayek, seines Zeichens Unternehmensberater, analysierte die Situation schon damals messerscharf. «Miserables Management und Fehleinschätzung der Konkurrenz», bezeichnete er in seiner Beraterfunktion als kapital(st)e Fehler. Hayek weiter: «Es fehlte in der Schweiz an Unternehmerpersönlichkeiten mit Mut, Fantasie und Weitsicht.»

Da hatte er, wie so oft, gestern wie heute und wohl auch morgen, wieder einmal Recht. Man könnte die Dinge retrospektiv auch so formulieren: Hätte Hayek seinen Willen nicht mit Beharrlichkeit und auch jeder Menge strategischem Geschick durchgesetzt, so wäre die industrielle Uhrenfertigung hierzulande dem Untergang ein gutes Stück näher gerückt, und zwar im Schnellzugstempo. Geblieben wäre vielleicht die handwerklich ausgerichtete Komponente. Aber den Verlust von zirka 20000 Arbeitsplätzen (von knapp 40000) hätte sie unmöglich kompensieren können. Somit ist der Ehrentitel «Retter der Schweizer Uhrenindustrie» keineswegs an den Haaren herbeigezogen und schon gar nicht eine Erfindung der Medien.

Der Mann der klaren Worte

Ganz zufällig kam der studierte Mathematiker und Naturwissenschaftler nicht zu der grossen Ehre, zwei daniederliegende Grössen der Schweizer Uhrenindustrie in ihrer schwersten Stunde beraten und fusionieren zu dürfen.

Nach bescheidenen Anfängen als Unternehmensberater und als Inhaber von Hayek Engineering mit winzigem Büro an der Zürcher Bahnhofstrasse hatte sich Hayek als Spezialist für Giessereitechnik vor allen Dingen in Deutschland, Frankreich und den USA einen Namen gemacht.

Irgendwann wurden auch die Eidgenossen auf einen Mann aufmerksam, der schonungslos und aus innerster Überzeugung den Finger in offene Wunden zu legen pflegte. Auch auf die Gefahr hin, einen Auftrag zu verlieren, förderte Nicolas G. Hayek selbst unangenehmste Fakten zu Tage.

Das kam an. Aufträge zur Reorganisation unter anderem der Schweizerischen Bundesbahnen SBB, der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG/SSR, kommunaler und universitärer Einrichtungen und verschiede- ner Grossbanken schneiten ins Haus.

Zu Beginn der 1980er Jahre erhitzte der «Leopard»-Panzer die Gemüter. Die Schweizer Armee hatte, noch mitten drin im Kalten Krieg, den Kauf des Kampfpanzers mit einem Stückpreis von 3 Mio Mark in Deutschland ins Auge gefasst. Diese Summe beinhaltete sogar die Ersatzteile. Für eine Lizenzfertigung kalkulierte die Schweizer Industrie ihrerseits hingegen pro Exemplar Kosten von 12 Mio Fr., zuzüglich Ersatzteilkosten. Das kam dem Militär-Departement dann doch «spanisch vor». Das damalige EMD beauftragte Hayek Engineering mit einer Untersuchung der Angelegenheit.

Das Resultat lieferte Sprengstoff in Hülle und Fülle, offenbarte zum Teil skandalöse Zustände und bescherte dem Auftragnehmer, dem längst naturalisierten Schweizer Hayek, keineswegs nur Freunde. Am Ende hiess der Sieger gleichwohl Nicolas G. Hayek. Dank seinen Vorschlägen hinsichtlich eiserner Kostenkontrolle sparten die Steuerbürger etliche Milliarden.

Der «Doktor» am Krankenbett

Zu dieser Zeit bearbeitete Hayek Engineering bereits mehrere Grossbaustellen parallel, auch international. Eine davon, der Elektrokonzern AEG, lag einmal mehr in Deutschland. Genau dort ereilte Nicolas G. Hayek gegen Ende des Jahres 1980 die Botschaft vom miserablen finanziellen Zustand der altehrwürdigen Schweizer Uhrengruppe SSIH (Société Suisse de l’Industrie Horlogère SA) mit ihren Marken-Flaggschiffen Omega und Tissot. Jahresverluste in Millionenhöhe erfüllten die involvierten Banken mit grosser Sorge.

Das und nichts anderes teilte Peter Gross, Mitglied des Managements der damaligen Schweizer Bankgesellschaft (SBG, heute UBS), dem anerkannten Sanierer Hayek mit. Dieser zögerte nicht lange und traf schon wenige Tage später in Biel ein. Dort allerdings herrschte Endzeitstimmung. Nach der Devise «Rette, was zu retten ist» wollten die Geldgeber zum Tilgen der gewaltigen Bankschulden das Tafelsilber veräussern.

Doch vorher sollte Hayek ran. Der förderte zusammen mit seinem Team einen ganzen Strauss unternehmerischer Fehlleistungen ans Tageslicht, angefangen bei schlechten Erzeugnissen bis hin zu völlig veralteten Produktionsmethoden. Es hapere an der Entwicklung neuer Modelle, stringenten Kontrollen der Produktqualität, gezieltem Marketing und effizienter Distribution, stellte Monsieur Hayek trocken fest.

Der Aufdecker von Skandalen

In diesem Zusammenhang deckte er beispielsweise auch ungemein befremdliche Attitüden eines Omega-Managers auf. Der Jahresumsatz in Deutschland, einem traditionsgemäss starken Omega-Markt, war auf 5 Mio Fr. eingebrochen. Aber der Westschweizer Vertriebsverantwortliche weigerte sich, das Nachbarland wegen vermeintlich schlechten Essens und ungeniessbarer Weine (!) zu besuchen und die Dinge vor Ort einer Besserung zuzuführen. Der Mann wurde gefeuert, versteht sich.

Problembehaftet war auch die Uhrenkollektion Omegas selber. Sie umfasste einen unüberschaubaren Wust von gegen 1800 verschiedenen Referenzen. Schliesslich fehlte bei Omega auch das Bewusstsein vom Wert einer gut geführten Marke. Der rangierte weit über der praktizierten Billigfertigung, wurde aber nicht genutzt.

Kein Wunder, dass Zahlungsunfähigkeit drohte, dass Japaner die Hand nach dem eidgenössischen Kleinod ausstreckten. «Die fernöstliche Konkurrenz meinte damals, wir Schweizer könnten guten Käse und gute Schokolade, aber keine industriellen Güter produzieren», konstatiert Nicolas G. Hayek. Aber allein die Traditionsmarke war den Japanern damals stolze 400 Mio Fr. wert. Im Zuge einer Nachbesserung des Angebots wollten sie sogar noch 5 Fr. pro verkaufte Omega auf den Tisch der Banken blättern, was die Geldinstitute dank Hayeks Ratschlag jedoch höflich ablehnten.

Der Polier auf vielen Baustellen

Doch die SIHH war nicht der einzige todkranke Patient. Agonie hatte auch die konkurrierende ASUAG erfasst. Sie gebot unter anderem über Certina, Eterna, Longines, Rado sowie die Holding Ebauches SA mit den Rohwerkegrössen AS und ETA. Die Allgemeine Schweizer Uhrenindustrie AG musste 1982 einen operativen Verlust von 259 Mio Fr. bilanzieren. Das involvierte Bankenkonsortium erhöhte nolens volens das Kapital und damit seinen Anteil auf 97,5%. Auch hier schienen Fabrikstilllegungen und Verkauf die letzten Rettungsanker zu sein.

Nicolas G. Hayek schlug damals förmlich die Hände über dem Kopf zusammen. Die Hauptschuldigen hatte er schnell ausgemacht: «Wenn Manager statt Unternehmer Konzerne leiten, so geht meistens alles schief. Die Führung von Unternehmen verlangt nicht nach Finanzexperten, sondern echte Unternehmer.» Letztere sind in Hayeks Augen «innovative Menschen mit Mut zum Risiko und der Bereitschaft, eigenes Geld zu investieren. Sie sind ausserdem Künstler, die neue Produkte, neue Arbeitsplätze, neue Reichtümer schaffen und dies dem Publikum kommunizieren. Jene Manager, die wir im Moment eher züchten, übernehmen einen laufenden Betrieb, spielen mit dem Geld anderer Leute, haben ihre Pensionskasse und versuchen die Firma – wie sie dies an irgendeiner Universität gelernt haben – zu führen. Sollte es schief gehen, kassieren sie trotzdem.» Dieses Statement lässt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig und hat noch heute – mehr denn je – Gültigkeit.

Der konsequente Unternehmer

Im Falle der maroden Uhrengruppen dachte und handelte Nicolas G. Hayek durch und durch unternehmerisch. Sein fundamentales Credo bestand in einer Fusion der beiden Patienten zu einem handlungsfähigen Grossunternehmen. Keine Verkäufe, keine Stilllegungen. Stattdessen Beibehaltung der angestammten Strukturen, Ausmerzen der Fehler, Sanierung und Kreation neuer, zugkräftiger Produkte wie etwa der Swatch.

Allein die Banken zögerten. Infolge der aufgelaufenen Verluste hatten sie die Nase förmlich voll. Im Uhrengeschäft sahen sie keine Zukunft mehr. Also offerierten sie Nicolas G. Hayek im Jahr 1984 die Mehrheit des Aktienkapitals einer neu zu bildenden Uhrengruppe für die Kleinigkeit von 300 Mio Fr.

Nicolas G. Hayek griff, nach einigen Überlegungen, zu. So wurde die SMH (Société Suisse de Microélectronique et dhorlogerie), ein illustres Konglomerat mit 147 Fabriken und mehr als 300 Betriebsstätten, im Sommer 1985 Realität.

Die Gründung der Swatch AG war bereits am 1. Januar besagten Jahres über die Bühne gegangen. Die erfolgreiche Plastik-Armbanduhr mit Quarzwerk leistete einen erheblichen Beitrag zum Überleben des Dickschiffs auf stürmischen Weltmeeren. Sie sorgte für hinreichende Auslastung der Fertigungsstätten und spülte zudem nicht nur Geld, sondern auch Profit in die Kassen. Luxusuhren, die heutigen Gewinnbringer, hätten die zahlreichen Fabriken damals keinesfalls retten können.

Der geschickte Akquisiteur

Die letzten Endes doch schlauen Banken hatten übrigens gut daran getan, Nicolas G. Hayek nur 51% zu verkaufen. Die mehr als stürmische Aufwärtsentwicklung der SMH, die später aus guten Gründen zur Swatch Group mutierte, bescherte den Banken bis heute reichlich Früchte. Letzten Endes erhielten sie das vorgeschossene Kapital mit reichlich Zins und Zinseszins zurück.

Weitere Akquisitionen herausragender Uhrenmarken wie Blanc-pain, Breguet, Glashütte Original, der kompetenten Ebauches-Fabrikanten Frédéric Piguet und Nouvelle Lémania sowie zahlreicher Zulieferer bestätigen die durchweg glückliche unternehmerische Hand des Nicolas G. Hayek.

Der Erfinder des Swatch-Mobils

Nicolas G. Hayek an dieser Stelle als reinen, wenn auch äusserst erfolgreichen U(h)r-Unternehmer zu definieren, würde diesem Mann aber in keiner Weise gerecht. Sein Unternehmertum schlägt viel weitere Kreise.

Zu seinen Lieblingsprojekten gehörte das Swatch-Mobil, welches dem Slogan «Ein Auto, zwei Personen, eine Kiste Bier!» gehorchen sollte. Schon 1994 dachte Hayek dabei an ein energiesparendes Mikro-Kompaktfahrzeug mit umweltverträglichem Hybridantrieb. Als Kooperationspartner fasste er Mercedes-Benz ins Auge, seine Lieblings-Automarke, welche die Pläne allerdings durchkreuzte. 1997 präsentierten die Stuttgarter der Öffentlichkeit den kleinen und durchaus kompakten Smart, dem die innovativen Elemente wie Hybridantrieb und Radnaben-Motoren allerdings abhanden gekommen waren.

Das stimmte den visionären Nicolas G. Hayek nicht besonders glücklich. Also verkaufte er seine Beteiligung am hoch fliegenden Autoprojekt, das jäh auf dem Boden rechnerischer Tatsachen gelandet war.

Der Freund der Swissair

Auf die Frage, ob sein Sendungsbewusstsein und Sanierungsgeschick auch andere Schweizer Unternehmen hätten vor dem Untergang bewahren können, kommt Nicolas G. Hayek gerne auf die Swissair, ein trübes Kapitel hiesiger Wirtschaftsgeschichte, zu sprechen. «Die Fluggesellschaft könnte heute noch existieren, wenn sie ein gutes Management und einen verantwortungsvollen Verwaltungsrat gehabt hätte. Swissair hat so ziemlich alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden konnte. Wenn wir nur noch unrentable Firmen zusammengekauft und die günstige Konkurrenz mit billigen Uhren zu schlagen versucht hätten, wären auch wir bald pleite.»

Hayeks messerscharfe Diagnose: «Das grösste Problem der Swissair war, dass sie kein Geld verdiente, sondern im Gegenteil verlor, und dass die Konkurrenz billiger war. In dieser Situation fand die Swissair, um das einmal mit der Uhrenindustrie zu vergleichen, als einzigen Ausweg, sich mit billigeren Anbietern zu liieren. Weil wir in der Schweiz sehr teuer sind, tat sie sich mit der türkischen Fluggesellschaft, mit Austrian Airlines, mit der belgischen Sabena und anderen zusammen und investierte in diese maroden Firmen.»

Den Beweis, dass es auch anders geht, führt Nicolas G. Hayek anhand seiner Swatch Group. «Wir haben es anders gemacht und zuerst ein neues Produkt entwickelt, mit dem wir die Konkurrenz schlagen konnten, und haben alles auf den Vorzügen aufgebaut, welche das Image der Schweiz im Ausland prägen: Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Ästhetik, Präzision, Qualität.»

Der Pensionär im Unruhestand

An Ruhestand denkt Nicolas G. Hayek auch mit seinen 80 Lebensjahren noch lange nicht. Gegenwärtig amüsiert er sich schwergewichtig mit seinen «Lieblingskindern» Breguet und Swatch.

Die 1999 übernommene Luxusmarke Breguet ist der schlagende Beweis für Hayeks unternehmerischen Weitblick. Unter seiner Leitung erlebte Breguet einen Höhenflug ohnegleichen und fand die Manufaktur aus LAbbaye wieder den über Jahre hinweg verpassten Anschluss im Konzert der nobelsten Uhrenmarken.

Die Gründe für den hohen persönlichen Einsatz kann niemand besser darstellen als Nicolas G. Hayek selbst. «Ich habe alles, was man sich nur wünschen kann. Ich kann mir ein grosses Segelboot mit fünf Masten kaufen und tun, was reiche Leute eben so tun. Die Firma Breguet aber wurde von einem Künstler erschaffen, von einem Mann ganz nach meinem Geschmack, mit meinem Unternehmergeist und meinem Enthusiasmus.»