Als die Suva im Dezember 2001 in einer repräsentativen Umfrage eruierte, was Absenzenmanagement bedeutet, meinten 71% der befragten Unternehmer: Kontrolle von Absenzen. Heute dürfte das Wissen über Absenzenmanagement ein wenig zugenommen haben, zumal der Druck im BVG-Bereich und das verschärfte wirtschaftliche Klima Interesse für die Materie geweckt haben.

Was also ist Absenzenmanagement? «Erkrankte oder verunfallte Mitarbeiter sollen möglichst schnell wieder gesund und arbeitsfähig werden», so lautet die Definition von Thierry Burgherr, Geschäftsführer der SIZ Care AG in Zürich. Das in der ganzen Schweiz tätige Unternehmen begleitet unter dem Motto «bei Absenz anwesend» Reintegrationsprozesse von Erwerbsunfähigen.

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Auftraggeber sind zum Teil Unternehmen, die so entweder direkte Kosten einsparen, wie zum Beispiel steigende Versicherungsprämien und Lohnergänzungen, oder indirekte Kosten, wie Ersatzkräfte und Produktionsausfälle. Teils stammen die Aufträge auch von Versicherungen, die über einen heiklen Fall stolpern. Schliesslich gibt es unter den Abwesenden auch Drückeberger, deren volkswirtschaftliche Schäden von Experten auf rund 2 Mrd Fr. pro Jahr geschätzt werden.

Zuerst muss somit abgeklärt werden, ob jemand arbeits- oder erwerbsunfähig ist. Erwerbsunfähigkeit bedeutet, dass der Betroffene nicht mehr im Arbeitsmarkt einzugliedern ist. Arbeitsunfähig hingegen ist man im bisherigen Job.

Doch wie im Bundesgesetz des Sozialversicherungsrechts nachzulesen ist, hat Arbeitsunfähigkeit einen auffordernden Charakter: «Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt.»

Denn je länger ein Arbeitnehmer seinem Arbeitsplatz fern bleibt, desto kostspieliger wird er: Die 2% der über ein Jahr dauernden Fehlzeiten machen knapp 40% der Kosten aus. Kurzabsenzen von bis zu fünf Tagen verursachen umgekehrt zwar über 40% der Absenzzeiten, aber nur 3% der Folgekosten.

Psyche und Rücken

Rund 80% der Ursachen für Abwesenheiten sind krankheitsbedingt, der Rest ist die Folge von Unfällen, Schwangerschaft oder Militärdienst. Bei den krankheitsbedingten Absenzen liegen die Ursachen meist in der Psyche oder im Rücken, wobei Letzteres oft psychosomatische Ursachen hat. Sprich: Psychische Erkrankungen sind die Hauptursache der Absenzen, wobei das raue Klima auf dem Arbeitsmarkt den Druck auf den Einzelnen noch verstärkt.

Die spezifischen Umstände bei psychischen Erkrankungen erschweren die Situation: Wenn sich jemand gemobbt fühlt, wird er den Kontakt zu den Mitarbeitern vermeiden, sich möglicherweise zu Hause isolieren und erst recht in Depressionen fallen ganz im Gegensatz zu einem, der einfach einen Arm gebrochen hat und mit dem Gips einen Besuch am Arbeitsort abstattet. «Das Arbeitsumfeld kann sehr wohl einen Einfluss auf den Genesungsprozess ausüben», sagt Burgherr, «wichtig ist, dem Mitarbeiter zu zeigen, dass er gebraucht wird, und ihn möglichst bald wieder zu integrieren.»

Auch die Suva empfiehlt in Kurzseminaren zu Absenzenmanagement, den verunfallten Arbeitnehmer so früh wie möglich wieder an den Arbeitsplatz zu holen. Ihn eventuell vollzeitlich arbeiten zu lassen, allerdings mit reduziertem Arbeitspensum in so genannten «Schonarbeitsplätzen». Gemeint sind Tätigkeiten wie Sortier-, Ablage- oder Archiv-Arbeiten oder auch als Beifahrer bei Transporten. Wie lange ein Arbeitnehmer geschont werden muss, hängt von der Branche ab. Der Ausfall nach einem Beinbruch beträgt in der Baubranche rund 14, im Büro 6 Wochen.

Arzt als Mittelsmann

Der Kranke befindet sich im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeber und Arzt, die sich gelegentlich misstrauisch gegenüber stehen. Wenn der Arbeitgeber den Arzt kontaktiert, kann er sehr schnell gegen eine Wand namens «Arztgeheimnis» laufen. Schon das Arztzeugnis zeigt, wie komplex die Situation schnell wird. Denn nur wenige wissen, was genau auf dem blauen Zettel stehen muss, ob etwa die Bemerkung «bis auf weiteres» erlaubt ist oder ob ein Arztzeugnis Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit bedeutet.

Im Gegensatz zum Arztbericht, in den die Versicherer einblicken, enthält das Arztzeugnis keine medizinischen Details. «Wenn wir mit einem Arzt Kontakt aufnehmen, dann bedeutet das nicht, dass wir Interesse an der Diagnose haben, der Arzt soll lediglich realisieren, dass der Arbeitsunfähige woanders einsetzbar sein könnte», sagt Burgherr. «Wir versuchen ein konstruktives Gespräch zwischen Arbeitgeber und Versicherer und allenfalls dem Arzt herzustellen.»

So ein Gespräch mit einem Arzt konnte Gregor Brüstle, Werkleiter bei Villiger Söhne AG in Pfeffikon, herstellen. Die Firma betreibt seit anfangs Jahr Absenzenmanagement in Zusammenarbeit mit der SIZ. «Wir haben einen Arzt, den mehrere Mitarbeiter besuchen, zu einer Betriebsbesichtigung eingeladen», sagt Brüstle. «Der Vorteil auf ärztlicher Seite liegt in der besseren Beurteilung der Arbeitsbelastung. Die Unternehmung erhält konstruktive Hinweise für die Gestaltung der Arbeitsplätze, was eine Verringerung der Absenzen zur Folge hat. Und der Mitarbeiter profitiert von der individuellen Beurteilung seines Arbeitsumfeldes.»

Kollektive Absenzen

Neben den Verhandlungen bei Erkrankung einzelner Mitarbeiter spielt auch das «kollektive Absenzenmanagement» eine wesentliche Rolle. Dieses sieht wie folgt aus: Die Absenzen werden von den Betrieben erfasst und an die SIZ weitergeleitet. Alle drei Monate erhalten die Firmen eine Kennzahlenstatistik, die Problemanalysen erlaubt. «Dadurch können wir bestimmte Trends feststellen und darauf reagieren», sagt Brüstle.

Die Datenauswertung kann aber auch ganz neue Perspektiven eröffnen. «Wir hatten einmal in einem Betrieb besonders hohe Absenzen von Frauen», sagt Burgherr, «bis wir bei der Datenauswertung feststellten, dass es sich dabei primär um Mütter handelte. Dem Betrieb fehlte einfach ein Kinderhort.»

Zuversicht der Beschäftigten sinkt

Entlassene: Kaum Chancen auf einen gleichwertigen Job

Das Dilemma ist offensichtlich: Einerseits drücken die miserablen Jobaussichten, die zunehmende Arbeitsbelastung und die Brachialkultur in vielen Unternehmen aufs Gemüt der Angestellten, was zu physischen und psychischen Erkrankungen und Absenzen führen kann, andererseits aber verhindern ebendiese Faktoren eine zu lange Abwesenheit aus schierer Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Denn dass sie nach einer Entlassung eine vergleichbare Arbeit bei gleichwertiger Bezahlung finden werden, glauben immmer weniger Schweizerinnen und Schweizer: 91,6% halten dies für «sehr schwierig» bis «eher schwierig». Im Frühling dieses Jahres war die Zuversicht noch etwas grösser: Damals waren es «nur» 86,6% der hiesigen Vollzeitarbeitenden, die davon ausgingen, nur schwer einen neuen Job finden zu können.

Damit liegt die Schweiz in punkto Pessimismus knapp hinter Deutschland und Italien auf der «Karriere-Zuversichtsumfrage», die von Right Management Consultants zweimal jährlich in 17 Ländern durchgeführt wird. Weltweit liegt der Durchschnitt der Arbeitnehmenden, die davon ausgehen, nur schwer einen neuen Arbeitsplatz zu finden, bei knapp über 80% das sind 3 Punkte mehr als im März. Optimistischer äussern sich die schweizerischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch bezüglich ihrer persönlichen Jobsicherheit: Nur 17,6% halten es für «sehr gut möglich/eher möglich», im Laufe des nächsten Jahres ihre Stelle zu verlieren. Im Frühling rechneten noch 19,7% mit dieser Möglichkeit. (top)