Airbus oder Boing: Gelingt der Bau eines Öko-Flugzeugs?

Das Amsterdamer Hotel «Okura» bietet jährlich das Schauspiel «Wie geht es Airbus?». Für ein paar Stunden verwandelt sich das Gebäude in einen Sicherheitstrakt, wenn im Saal im ersten Stock die Hauptversammlung von Europas grösstem Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus stattfindet. Demonstrationen gegen Rüstungsprojekte sollen abgehalten werden. Dabei ist es ohnehin eine Veranstaltung auf Sparflamme. Nur wenige Dutzend Kleinaktionäre reisen in die niederländische Metropole, um selbst das Management zu sehen und mit ihm zu diskutieren. In diesem Jahr war es besonders skurril. Wegen des Corona-Risikos erschien am vergangenen Mittwoch niemand von der Airbus-Spitze persönlich im Saal. Lediglich vier Personen, darunter Konzernchef Guillaume Faury und der deutsche Verwaltungsratsvorsitzende und Ex-Telekom-Chef René Obermann, waren zu sehen – allerdings nur per Bildschirm im Hotel. Wie viele Aktionäre anwesend waren, will Airbus nicht beziffern. Vermutlich ein Minusrekord. Nur eine Aktionärin meldete sich und ratterte 34 Fragen herunter, zu Rüstungsprojekten, Exporten in Krisenregionen oder zu Korruption. Eine Chance zum Neuaufbruch? Die bizarrste Hauptversammlung in der Airbus-Geschichte dokumentierte aber nicht nur die wirtschaftliche Airbus-Bruchlandung in der historisch grössten Krise der Luftfahrt. Alle wollen jetzt wissen, wie es weitergeht. Ob Europas Flugzeughersteller oder der US-Rivale Boeing besser aus der Krise starten. Beide Flugzeughersteller machten 2020 hohe Verluste. Der Tiefpunkt könnte dabei eine Chance zum Neuaufbruch und Erfolg sein – allerdings nur, wenn der richtige Kurs eingeschlagen wird. Es geht nun um die Schlüsselfrage, wer in den nächsten Jahrzehnten die umweltfreundlichsten Flugzeuge mit welcher Technologie baut. Wie sehen sie aus, und was steckt in ihren Tanks? Flüssiger Wasserstoff, auf minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt, oder alternative Kraftstoffe, sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF)? Swiss-Chef Dieter Vranckx: «Zunehmender Druck auf das Sommergeschäft» (Abo) Der Aufstieg der Europäer im Flugzeuggeschäft war bisher auch ein Erfolg der Technik. Das ist aber keine Garantie in einer Branche, in der Weichenstellungen erst mittelfristig zeigen, ob sie richtig waren. Es passt zur aktuellen Umbruchsituation, dass derzeit der letzte Riesen-Airbus A380 in Hamburg seine Innenausstattung für die Fluggesellschaft Emirates erhält. Nur 16 Jahre nach dem Erstflug des weltgrössten Passagierflugzeugs wird die Produktion des einstigen Prestigemodells der Europäer eingestellt. Doppelkrise der Luftfahrt Es ist ein Warnsignal für Airbus-Chef Faury, das zeigt, was passiert, wenn er Entwicklungen falsch eingeschätzt. Bei dem A380 ist es der Trend zum zweistrahligen Flugzeug und Punkt-zu-Punkt-Verbindungen statt grosser Drehkreuze. Aber dieses Thema kommt auf der Hauptversammlung in Amsterdam nicht zur Sprache. Faury weiss, dass die Luftfahrt in einer Doppelkrise steckt: Da ist zunächst die Corona-Pandemie mit den Einbrüchen bei den Passagierzahlen, die auch das Ende der Rekorde bei Flugzeugbestellungen bedeutet. Die Nachfrage nach ganz grossen Flugzeugen wird zunächst weiter verhalten sein, sagt er zu den Aktionären. Hinzu kommt die Klimakrise mit der Erderwärmung. Dabei rücken Flugzeuge wegen ihrer Schadstoffbilanz bei der Politik und Bevölkerung immer mehr in den Blickpunkt. Darauf will der Ingenieur an der Spitze des Konzerns aktiv reagieren. «Nachhaltigkeit ist das Herz unserer Strategie», sagt daher Faury via Bildschirm. Er möchte Airbus an der Spitze einer sauberen Luftfahrt positionieren. 2035 will er das erste Null-Emissionen-Flugzeug auf den Markt bringen, das «ZEROe»-Projekt. Im Herbst hatte die im Airbus-Vorstand für Technik zuständige Italienerin Grazia Vittadini das Vorhaben vollmundig präsentiert. Drei Flugzeugkonzepte sollen dazu näher untersucht werden, die alle Wasserstoff als Energieträger nutzen. Boeing testet Öko-Flugzeuge Doch der Wechsel von Kerosin auf einen Wasserstoffantrieb – ob zur Umwandlung in Strom über eine Brennstoffzelle (Hybridlösung) oder wie auch immer – wird von Experten mit einer Mischung aus Spannung und Skepsis verfolgt. Es gibt immense Herausforderungen, bei der Technik, der Logistik, aber auch der Zulassung. Die Umstellung einer Branche auf Wasserstoffantrieb würde gewaltige Milliardenbeträge kosten, und es bleibt die Schlüsselfrage, ob Boeing auch diesen Weg wählt. Alternativ oder in Kombination zum Wasserstoffantrieb gibt es für das Öko-Flugzeug der Zukunft auch den Technologieansatz über synthetische Kraftstoffe als Kerosinersatz. Schon jetzt lassen sich Biotreibstoffe im Flugbetrieb einsetzen und beimischen, aber die verfügbaren Mengen sind winzig und teuer. In einer Analyse der deutschen Unternehmensberatung Umlaut aus Aachen zum Thema nachhaltiges Fliegen wird auf den Engpass hingewiesen. Die weltweite Produktionskapazität von SAF betrage etwa 20 Millionen Liter Biokraftstoffe pro Jahr und damit weniger als 0,1 Prozent Marktanteil des gesamten Flugkraftstoffverbrauchs. Zudem sei der Ökotreibstoff noch vier- bis fünfmal teurer. Daher sollten die Produktionskapazitäten auch mit politischer Unterstützung ausgebaut werden, heisst es bei Umlaut. Vielleicht sei es bis 2040 zu schaffen, die Kapazitäten auf 75 Milliarden Liter SAF-Treibstoff zu steigern. Allerdings betrug 2019 der Kerosinverbrauch der Flugzeugbranche bereits 363 Milliarden Liter. Mit SAF ist es also alleine nicht zu schaffen. Synthetischer Kraftstoff wird knapp Experten schauen ohnehin genau hin, wenn von synthetischen Kraftstoffen die Rede ist, denn es gibt sieben unterschiedliche Produktionsprozesse und Ausgangsquellen, von der Biomasse bis hin zur Nutzung regenerativer Energie und grünem Wasserstoff. Der angesehene Experte Bjorn Fehrm vom Branchendienst «Leeham News» fasst das Dilemma für das saubere Fliegen und damit die Herausforderung für Airbus und Boeing so zusammen: Für Langstreckenflugzeuge sei SAF aktuell die einzige Alternative. «Das Problem ist, wie kann man genügend SAF für die 20'000 bis 30'000 Verkehrsflugzeuge der Welt produzieren?» Das Ausgangsmaterial für SAF, sei es Biomasse, Fettabfälle oder die Herstellung von Synthesegas mit verschiedenen Prozessen, reiche nicht aus, um all diese Flugzeuge mit SAF zu versorgen. «Wir brauchen eine Ergänzung, und die einzige brauchbare Alternative ist derzeit Wasserstoff», so der Experte. Airbus testet zwar auch den Einsatz von SAF-Treibstoffen in aktuellen Modellen und setzt ihn in geringen Mengen selbst in seinen eigenen Beluga-Frachtflugzeugen ein. Aber Faury will den Technologieansatz mit der Umstellung auf Wasserstoffantriebe in künftigen neuen Typen vorantreiben. Boeing sieht hingegen beim Thema Wasserstoffantriebe keinen Anlass vorzupreschen. Der US-Rivale hält sich lieber alle Optionen offen. Boeing-Chef David Calhoun setzt eher darauf, dass synthetische Treibstoffe doch noch in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. «Wir wissen, dass sie funktionieren. Jetzt müssen wir eine Versorgungskette dafür entwickeln. Ich glaube, es ist die einzige Antwort zwischen jetzt und dem Jahr 2050», sagte der Boeing-Chef jüngst. Das Jahr 2050 wäre der Zeitpunkt, bis zu dem die Luftfahrtbranche eine Null-Emission zugesagt hat. Also komplett sauberes Fliegen und nicht irgendwie nur den Anstieg beim CO2-Ausstoss gedrosselt oder kompensiert. Steigender Druck Airbus-Chef Faury will das Öko-Thema jedenfalls gerne schnell lösen. Er sieht darin sogar eine Schicksalsfrage für Europas führenden Flugzeughersteller. Alle Branchenbeobachter sind sich einig, dass der Druck steigt, umweltfreundlichere Flugzeuge zu bauen. Nur der Lösungsweg ist noch nicht klar und komplex.Die Wasserstoff Wende Lesen Sie mehr zum Thema: Lohnt sich jetzt noch der Einstieg bei Wasserstoff-Aktien? Mehr hier. Bringt 2021 den nötigen Push, um unsere Klimaziele zu erreichen? Mehr hier. Wie Faury auf der Hauptversammlung sagte, wollen sich die Europäer als Öko-Vorreiter positionieren. Wie ernst es der Airbus-Chef damit nimmt, zeigte sich im Februar. Als weltweit erster Flugzeughersteller lieferte Airbus eine Vorstellung davon, welchen Einfluss seine Flugzeuge beim Kohlendioxidausstoss haben. Die Europäer legten erstmals eine Klimabilanz für ihre Flugzeuge vor. Danach verursachten allein die 2019 von Airbus produzierten 863 Modelle hochgerechnet auf ihre Einsatzzeit von gut 20 Jahren mit rund 740 Millionen Tonnen fast so viel CO2, wie in Deutschland insgesamt in einem Jahr ausgestossen wird. Für den Airbus-Chef der Beleg für dringenden Handlungsbedarf. Längst hat hinter den Kulissen der transatlantische Technikwettlauf begonnen, aus welchen Komponenten sich das Öko-Flugzeug der Zukunft zusammensetzt. «Aus heutiger Sicht hat die Brennstoffzelle in Verbindung mit nachhaltig produziertem Wasserstoff das langfristig grösste Potenzial, einen emissionsfreien Luftverkehr zu ermöglichen. Das ist unsere Vision für die Zukunft», erklärt beispielsweise Lars Wagner, Technikvorstand beim deutschen Triebwerkehersteller MTU Aero Engines. Also ein Plädoyer für die Wasserstoffstrategie von Airbus. Denkbar wäre auch die direkte Verbrennung von Wasserstoff in den Turbinen. Airbus muss sich bald entscheiden, welcher Technologieansatz näher untersucht wird. Zunächst müssen Demonstratoren, eine Vorstufe von Prototypen, gebaut werden, wenn 2035 ein Wasserstoffflieger bereits einsatzbereit sein soll. Wechsel im Topmanagement Bemerkenswert ist, dass genau jetzt, die bisherige Technologiechefin Grazia Vittadini den Konzern nach 19 Jahren verlässt. Dabei hatte sie noch im Herbst das Null-Emissionen-Flugzeugprojekt vorgestellt. Auch der für die bedeutende Rüstungs- und Raumfahrtsparte des Konzerns verantwortliche Vorstand Dirk Hoke geht zum 1. Juli nach fünf Jahren. Der 52-Jährige möchte künftig selbst an der Spitze eines Unternehmens und nicht nur einer Sparte stehen. Airbus-Chef Faury muss also mitten in der Krise den Vorstand umbauen. Ausgerechnet jetzt, wo der Konzern eher Ruhe und Stabilität brauchen würde. Es sind also keine einfachen Zeiten für Airbus. Auf der Hauptversammlung sagte Verwaltungsratschef René Obermann vieldeutig «die Krise ist noch nicht vorbei», lobte aber ausdrücklich die Arbeit von Faury und wie der Konzern die Branchenturbulenzen bislang gemeistert hat. Bei den 34 Fragen der einzigen Aktionärin, die sich zu Wort gemeldet hat, war keine zum Thema Umwelt. Dieser Artikel erschien zuerst im Bezahlangebot der «Welt» unter dem Titel: «Airbus wagt die grosse Wasserstoff-Wette».

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Airbus oder Boeing: Gelingt ihnen der Bau eines Öko-Flugzeugs?