Airol, Genentech, Seveso, Xenixal: Ein ABC von Roche

Erfolg und Misserfolg, eine Familie, welche die Mehrheit verlor und wieder gewann und visionäre Entscheidungen: Wir haben in der 8,5 Kilogramm schweren Unternehmensgeschichte zum 125-Jahr-Jubiläum des Pharmakonzerns gestöbert. A wie AirolMisserfolge gehören zur pharmazeutischen Forschung. Roche-Konzernchef Severin Schwan feiert sie sogar mit seinen Forscherinnen und Forschern, denn oft seien sie die Basis für künftige Erfolge, sagt er. Doch Misserfolge sind hart, vor allem in der Anfangszeit eines Unternehmens. Das zeigt das Beispiel von Airol. Die erste Eigenkreation von Fritz Hoffmann-La Roche, wie das Unternehmen damals hiess, war ein Desinfektionsmittel aus Jod, das in Pulverform verabreicht wurde. Schon damals stellte Fritz Hoffmann-La Roche sein Gespür für gutes Marketing unter Beweis. Der Werbeaufwand für Airol war enorm für die damalige Zeit. Der Leipziger Karl Belke erhielt eine Anstellung als Ärztevertreter für Airol, einer der ersten «sales reps», wie die Marketingleute heute heissen. Zudem war die Lancierung von Anfang an international anlegt. Trotzdem, die Verkäufe blieben unter den Erwartungen. Ein Problem war, dass sich die mit Airol behandelten Wunden von anfänglich grün zu gelb-rot veränderten, was Ärzte und Patientinnen irritierte. Die Schweizer Armee bevorzugte deshalb Bioform, das Produkt des Basler Konkurrenten Ciba. Auch das Konkurrenzprodukt aus Deutschland, Dermadol von Hoechst, wies anders als Airol keine Verfärbungen auf. Die Lichtshow am neuen Roche-Turm zum 125-Jahre-Jubiläum, Basel, 28. September 2021: B wie BactrimBactrim galt während Jahrzehnten als Synonym für Antibiotika schlechthin. Den Stoff gab es als wohlschmeckenden Sirup, in Tablettenform oder als Injektion. Bacrtim war das Ergebnis einer Kollaboration zwischen Burroughs Wellcome – das amerikanische Pharmaunternehmen ging später in der britischen GSK auf – und Roche beziehungsweise der Suche nach der Kombination der beiden Wirkstoffe Trimethoprim von Burroughs Wellcome und Sulfamethoxazol von Roche. Ab 1969 wurde das Antibiotikum in der Schweiz und in Deutschland vermarktet, zuerst nur für schwere Harnwegsinfekte und Infektionen der oberen Atemwege, später wurde es breit gegen Infektionen eingesetzt. Fünf Jahre später war Bactrim das am meisten verkaufte Arzneimittel nach den Antidepressiva Valium und Librium. 1977 wurde Bactrim auf die Liste der essenziellen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation WHO gesetzt. Auf der Liste befinden sich heute 29 Medikamente von Roche, ein Spitzenwert. Im Jahr 2000 zog sich Roche, wie viele andere Pharmakonzerne, aus der Antibiotikaforschung zurück. Inzwischen ist der Konzern wieder zurück und forscht an Medikamenten gegen resistente Keime. Die Restistenzbildung von Antibiotika gehört zu den grössten Gesundheitsrisiken weltweit. C wie CobasDie Abkürzung «Cobas» steht für Comprehensive Bio-Analytical Systems. Es geht um die Automatisation diagnostischer Analysen. 1978 wurde das erste Gerät der Öffentlichkeit vorgestellt. Es lieferte 300 Bestimmungen in der Stunde, ein eher schwaches Ergebnis. Die Cobas-Geräte von heute sind raumfüllende Geräte und schaffen mehrere tausend Tests pro Stunde. Inzwischen zählt Roche zu den führenden Diagnostik-Anbietern weltweit. 1991 sicherten sich die Basler die weltweiten Rechte an der bahnbrechenden PCR-Technologie. PCR steht für Polymerase Chain Reaction oder eben Polymerase-Kettenreaktion. Die Technologie macht es möglich, das Erbgut von Viren zu vervielfältigen, was es wiederum möglich macht, Infektionen in einem sehr frühen Stadium, wenn noch nicht sehr viele Erreger vorhanden sind, zu erkennen. Roche war das erste Unternehmen, das in der Pandemie einen PCR-Test für Sars-CoV2 auf den Markt brachte. Der Cobas-Test von Roche war mit dafür verantwortlich, dass in der akuten Phase der Pandemie breit getestet werden konnte. D wie Dormicum«Mother’s Little Helper», sangen die Rolling Stones in den sechziger Jahren. Gemeint waren die Benzodiazepine, eine neue Klasse von Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Die Geschichte begann, wie so oft in der pharmazeutischen Forschung, mit einem Zufall. Eigentlich hatte Leo Sternbach, der Roche-Chemiker in Nutley, USA, der während seiner Laufbahn für nicht weniger als 240 Patente verantwortlich zeichnete, ein anderes Molekül synthetisieren wollen als Chlordiazepoxid, den Wirkstoff in den Benzodiazepinen. Doch dann veränderte sich die Struktur unerwartet. Zudem ging Sternbach mit dem Wirkstoff in Versuche an Tieren, obwohl er von seinen Vorgesetzten gedrängt worden war, die Forschung an den Benzodiazepinen aufzugeben. Die Resultate waren verblüffend: Die Verbindungen wirkten angstlösend und beruhigend, ohne, anders als die damals weitverbreiteten Barbiturate, die motorischen und intellektuellen Fähigkeiten zu beeinträchtigen. Die Blockbuster-Ära konnte beginnen. In den achtziger Jahren hatte Roche ein breites Sortiment von Benzodiazepinen auf dem Markt, darunter Valium und Dormicum. In den sechziger Jahren gingen Ärzte dazu über, Benzodiazepine nicht nur bei psychischen Erkrankungen, sondern auch bei alltäglichen Stresssituationen zu verschreiben. Die «Benzos» gerieten in Verruf, Politiker und Ärztinnen warnten davor, die «kleinen Helfer» würden abhängig machen. Klar ist aber auch: In der Psychiatrie sind die Benzodiazepine heute nicht mehr wegzudenken. E wie EbnerIn den neunziger Jahren bekommt es Roche mit Martin Ebner zu tun. Der Mann mit der Fliege und den amerikanischen Investmentmethoden baute eine bedeutende Position an Roche – zuletzt waren es mehr als 16 Prozent – auf und ging schliesslich zum Angriff über. An der Generalversammlung 2001 – just an der Versammlung, an der der langjährige Verwaltungsratspräsident Fritz Gerber verabschiedet wurde – forderte er eine Einheitsaktie und damit das Ende der Aktionärsstruktur mit stimmberechtigten Aktien einerseits und dem stimmrechtslosen Genussschein anderseits. Doch der erfolgsverwöhnte Selfmademan vom oberen Zürichsee scheiterte am erbitterten Widerstand der Roche-Erben. Das Aktienpaket von Martin Ebner ging darauf an den Lokalkonkurrenten Novartis. Ausgerechnet an Daniel Vasella, der nach dem Zusammenschluss von Ciba-Geigy und Sandoz zu Novartis von einem weiteren Basler Megamerger mit der damals durch eine Reihe von Rückschlägen geschwächten Roche träumte. Ein Versuch also, Roche in die Knie zu zwingen? Mitnichten, wenn man der Darstellung von Daniel Vasella glaubt. 2016, drei Jahre nach seinem Rücktritt als Verwaltungsratspräsident von Novartis, gab er in einem Zeitungsinterview zu Protokoll, es sei Fritz Gerber gewesen, der auf ihn zugekommen sei, ob Novartis das Aktienpaket von Martin Ebner übernehmen wolle. Wie auch immer: Dank Martin Ebner hält Novartis auch heute noch knapp einen Drittel der stimmberechtigten Aktien von Roche. F wie FamilienmehrheitRoche wird zu 50,01 Prozent von den beiden Gründerfamilien Hoffmann und Oeri kontrolliert. Doch was uns heute als so selbstverständlich vorkommt, war nicht immer so. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor die Familie ihren bestimmenden Einfluss. Firmengründer Fritz Hoffmann-La Roche sah sich gezwungen, das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Alfred Hoffmann, der ältere Sohn des Firmengründers, stiess seine Anteile ab, die Mehrheit der Aktien ging an die Basler Handelsbank und ein Kollektiv aus den Roche-Direktoren unter Emil C. Barell. Barell, Sohn eines aus dem Piemont eingewanderten Tuchhändlers und damit in Basel zeitlebens mehr gelitten als geliebt, ist der Architekt der Internationalisierung von Roche und zählt damit zu den prägendsten Figuren der Firmengeschichte. Erst als nach dem Zweiten Weltkrieg die Basler Handelsbank in Schieflage geriet und an den Schweizer Bankverein verkauft wurde, gelang es dem Ehepaar Maja (siehe M wie Maja Sacher) und Paul Sacher, die Kontrolle über das Unternehmen zurückzuerlangen. Die Details des Aktionärsvertrags der Familie sind nicht bekannt. «Diese zu veröffentlichen, wäre nicht im Sinne des Unternehmens und der Schweiz», sagte André Hoffmann kürzlich. Nur so viel: Man habe Vorkehrungen getroffen für den Fall, dass jemand verkaufen wolle. Ein Quäntchen mehr erfährt man im Jubiläumsbuch. Die Veräusserungsrechte seien beschränkt worden, heisst es hier. G wie GenentechSeit den fünfziger Jahren beschäftigte man sich bei Roche mit Krebs. Doch erst die Übernahme von Genentech sollte den Pharmakonzern zu dem machen, was er heute ist: den grössten Hersteller von Krebsmedikamenten. Die 2009 abgeschlossene 46,8 Milliarden teure Übernahme des 1976 vom Risikokapitalisten Robert A. Swanson und vom Biochemiker Herbert W. Boyer gegründeten kalifornischen Unternehmens war visionär. Und ein Glücksgriff: Die drei Krebsmedikamente Mabthera/Rituxan, Herceptin und Avastin waren zeitweise für die Hälfte der Pharmaumsätze von Roche verantwortlich und gehören zu den zehn grössten Blockbustern der ganzen Industrie überhaupt. Doch auch neue Produkte wie das MS-Medikament Ocrevus und das Immunonkologietherapeutikum Tecentriq kommen aus der kalifornischen Biotech-Werkstatt. Die US-Tochter Genentech geniesst noch immer eine starke Eigenständigkeit innerhalb der Organisation, die Genentech-Forschung gRed und die Roche-Forschung pRed werden noch immer getrennt geführt. Ob es nicht sinnvoller wäre, die beiden Forschungseinheiten zusammenzulegen, wurde Severin Schwan einmal gefragt. Seine Antwort: «Over my dead body.» H wie HoffmannDie familiären Ursprünge von Roche-Gründer Fritz Hoffmann lassen sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Der Wollweber Emanuel Hoffmann schmuggelte 1665 einen Webstuhl aus Holland nach Basel, mit dem mehrere Seidenbänder gleichzeitig gewoben werden konnten. Dazu muss man wissen: Basel war bis ins 19. Jahrhundert ein internationales Zentrum der Seidenbandindustrie; also der Industrie, welche die kunstvollen Bänder herstellte, welche damals die Hüte der Damen zierten. Die Seidenbandindustrie stand am Anfang der industriellen Entwicklung Basels. Daraus entwickelte sich ein Färbereigewerbe, aus dem im 19. Jahrhundert die chemische und im 20. Jahrhundert schliesslich die pharmazeutische Industrie entstand. Hoffmann war zunächst Angestellter in einer Apotheke. Doch das entsprach offenbar nicht seinen Ambitionen. Er wollte Arzneimittel ausserhalb der Apotheke industriell herstellen – eine damals revolutionäre Idee. Nur: Warum heisst Roche eigentlich Roche und nicht Hoffmann? Der junge Unternehmer hatte von Anfang an die Ambition, international tätig zu werden, verzichtete im internationalen Geschäft deshalb schon bald auf seinen orthografisch komplexen Namen und wählte stattdessen den seiner Ehefrau: Adèle Hoffmann-La Roche. I wie Iran«Bakschisch» heisst wörtlich übersetzt Gabe. Im Reich von Schah Mohammad Reza Pahlavi aber ist das Wort Synonym für Schmiergeld schlechthin. Auch Roche griff zum Portemonnaie, um sich den Zugang zum iranischen Markt zu sichern. Schon in den vierziger Jahren hielt ein Roche-Mitarbeiter fest, das Geschäft in Persien sei zwangsläufig mit Bestechung verbunden. 1 bis 2 Prozent der Warensumme müsse man am Zoll schon zahlen. In den sechziger und siebziger Jahren habe das Unternehmen Schmiergelder in sechsstelliger Höhe bezahlt, «in erster Linie an Mitglieder der königlichen Familie», heisst es in der zum 125-Jahr-Jubiläum publizierten Unternehmensgeschichte. Die Belege dafür seien eindeutig. Einen beträchtlichen Teil des Umsatzes machte Roche damals auch in Persien mit den beiden Tranquilizern Librium und Valium. Zu den Abnehmern gehörte die Social Iranian Oil Co. Einer der Konsumenten war der Schah selbst, der unter chronischen Schlafstörungen litt. Später soll der Schah, Freund der Amerikaner und Herr über einen der brutalsten Repressionsapparate des Kalten Krieges, «mindestens zehn Milligramm Valium pro Tag» genommen haben, um seine «zittrigen Nerven» zu beruhigen – die übliche Tagesdosis. J wie JapanJapan geht immer etwas unter gegenüber Europa und den USA, wenn es um die Pharmaindustrie geht. Ganz zu Unrecht. Das zeigt auch die Geschichte von Roche. Das Unternehmen vertrieb bereits im Gründungsjahr 1896 erste Produkte im Reich des Tenno. Geradezu pionierhaft war die Entscheidung, schon 1912 in Yokohama wissenschaftliche Büros zu eröffnen. Damit sei Roche vermutlich das erste Pharmaunternehmen gewesen, das in Japan eine Marketingabteilung in Japan aufbaute, heisst es in der Unternehmensgeschichte. Emil Barell – der spätere langjährige Generaldirektor, der damals noch Standortleiter im deutschen Grenzach war, dem grössten Werk von Roche – fuhr dafür eigens mit seiner Frau Ida ins Land der aufgehenden Sonne. Man reiste zunächst im Zug bis St. Petersburg, um dort die Chancen des russischen Marktes auszuloten; von da ging es weiter im Expresszug durch die Weiten des Zarenreichs und schliesslich mit dem Schiff nach Japan. Heute ist Japan neben Kalifornien (mit Genentech) und Basel der dritte wichtige Forschungsstandort von Roche. So kommt etwa Hemlibra aus der Forschungsküche der japanischen Roche-Tochter Chugai. Hemlibra ist ein Medikament gegen Hämophilie und eine der erfolgreichsten Lancierungen der vergangenen Jahre. K wie KokainMorphium, Heroin, Kokain: Bis in die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden die heute vor allem noch als Betäubungsmittel bekannten Substanzen breit in der Medizin eingesetzt und von Pharmafirmen hergestellt und vertrieben, darunter auch von Roche. Doch viele der Patienten, die mit Opiaten behandelt wurden, entwickelten Abhängigkeiten. Vor allem in den USA war die Morphiumabhängigkeit ein weitverbreitetes Problem. Was die Politik auf den Plan rief. 1914 erliess der US-Kongress den Harrison Narcotics Tax Act, der den Handel und die Abgabe von Opiaten und Kokain kontrollieren, besteuern und beschränken sollte. 1922 folgte ein faktisches Importverbot für die Substanzen. Die Basler Zentrale fiel in dieser Zeit dabei nicht durch ein ausgeprägtes Problembewusstsein auf. Der Handel im Opiaten sei in der Schweiz nicht verboten, hiess es. Man könne nicht für die illegalen Geschäfte von Kunden verantwortlich gemacht werden. Die Verwicklung eines leitenden Angestellten in einen zwielichtigen, angeblich für Kanada bestimmten Narkotika-Deal über die damals exorbitante Summe von 800’000 Dollar wurde als Tat eines einzelnen, mittlerweile entlassenen Mitarbeiters dargestellt. M wie Maja SacherSie ist die bedeutendste Frau der Roche-Firmengeschichte: Maja Sacher, geborene Stehlin, ein Basler Geschlecht, das über Generationen bedeutende Architekten, Politiker und Industrielle hervorbrachte. Mit ihrem ersten Mann Emanuel, dem jüngeren Sohn von Firmengründer Fritz Hoffmann, verband sie die Liebe zur Kunst; die zu Ehren des früh bei einem Verkehrsunfall Verstorbenen gegründete Emanuel Hoffmann-Stiftung gehört heute zu den bedeutendsten Kunstsammlungen Basels, ihre Werke sind im Schaulager und in verschiedenen Basler Museen zu sehen. 1934 heiratet die junge Witwe den Basler Dirigenten Paul Sacher, der die Geschicke des Unternehmens fast sechzig Jahre prägen wird. Maja Sacher pflegte jede Woche einen Roche-Direktor zum Tee zu laden. Anlässlich der bei den Geladenen «mehr oder weniger beliebten Besuche» sei es nicht nur um den Gang der Geschäfte, sondern auch um Kunst, Musik und Philosophie gegangen, heisst es in der Firmengeschichte. N wie NS-ZeitWährend der Zeit des Nationalsozialismus hielt sich Roche an die Devise der «strikten Neutralität», wie es im Jubiläumsbuch heisst. Boykottmassnahmen gegen das nationalsozialistische Deutschland, welche jüdische Organisationen aus Protest gegen die Verfolgung ausriefen, trug das Unternehmen deshalb nicht mit; obwohl das Unternehmen viele jüdische Mitarbeiter hatte und in Berlin deshalb als «jüdische Firma» galt. Trotzdem, die Politik liess sich nicht aussperren. Hans Tharandt, Vize-Leiter der deutschen Roche-Filiale, war seit 1931 Mitglied der NSDAP und liess sich «immer mehr vom politischen Treiben erfassen», wie es im Jahresbericht 1933 hiess. Filialchef Georg Veiel war mit einer Jüdin verheiratet, er wollte im Gegensatz zu Tharandt «nur» das Armanheben als Gruss einführen, nicht aber den nationalsozialistischen Gruss «Heil Hitler». 1937 wurden die jüdischen Mitarbeiter entlassen. Veiel selbst wurde mit seiner Ehefrau nach Basel geholt. Als sich Heinrich Rothmund, Chef der Polizeiabteilung im Justiz- und Polizeidepartement, weigerte, Veiels Frau einreisen zu lassen, schrieb ihm Emil Barell, selbst in zweiter Ehe mit einer jüdischen Frau verheiratet: «Ich bin absolut nicht auf den Gedanken gekommen, in der Rasse der Ehefrau ein für die Beurteilung einer geschäftlichen Anstellungsbedingung wichtiges Moment zu sehen.» P wie PanteneRoche – der Kosmetikhersteller: Auch das gehört zur Unternehmensgeschichte. Ausgangspunkt ist die heute weltbekannte Bepanthen-Salbe, deren Wirkstoff Dexpanthenol, ein Alkoholderivat, sich im Körper in Pantothensäure umwandelt. Es handelt sich dabei um Vitamin B5, das sein Entdecker, der US-Biochemiker Roger J. Williams, so taufte, weil es in allen pflanzlichen und tierischen Organismen vorkommt («pantothen»: von überall her). Dem Roche-Forscher Otto Schnider gelang es, ein Alkoholderivat zu synthetisieren, das sich im Körper schnell in Pantothensäure umwandelt, die im Stoffwechsel in den Zellen eine wichtige Rolle spielt – und zwar sowohl bei der Bereitstellung von Energie als auch bei Regenerations- und Reparaturvorgängen. Im April 1944 lancierte Roche das Wirkstoffpräparat unter dem Markennamen Bepanthen, zuerst als Tablette und Ampulle, dann als Salbe. Bepanthen wurde ein Bestseller, der heute aus der Hausapotheke nicht mehr wegzudenken ist. Zudem zeigten Tierversuche, dass sich die Pantothensäure in den Haarfollikeln anreichern lässt, wo sie ebenfalls eine regenerierende Wirkung entfaltet. Die Hoffnung, damit ein Mittel gegen den männlichen Haarausfall gefunden zu haben, erfüllte sich leider nicht. Trotzdem lancierte das Unternehmen auf hartnäckiges Betreiben des damaligen kaufmännischen Direktors Georg Veiel eine hauseigene Kosmetiklinie unter dem Namen Panteen (engl. Pantene). Das unter der Marke vertriebene Haarwasser gehörte in den sechziger Jahren zu den meistverkauften seiner Art. Es folgten Shampoos, Haarsprays und Lotionen. 1983 verkaufte Roche die Marke Pantene an den US-Pharmakonzern Richardson-Vicks, Hersteller von Haushaltsnamen wie Clearasil und Oil of Olaz, der seinerseits zwei Jahre später an den Konsumgüterkonzern Procter und Gamble verkauft wurde. Die Bepanthen-Produkte wurden 2004 verkauft. R wie ReichtumDie «Bilanz» schätzt das Vermögen der Roche-Familie auf 29 bis 30 Milliarden Franken. Damit ist sie die zweitreichste Familie hinter den Gebrüdern Kamprad, den Söhnen des Ikea-Gründers. Ihr Lebensstil aber ist, im Vergleich zu den anderen Superreichen, geradezu frugal. Jörg Duschmalé, seit vergangenem Jahr Vertreter der Oeri-Linie im Verwaltungsrat des Milliarden-Konzerns, fährt – wie Tausende Basler und Baslerinnen auch – mit dem Velo von seinem Wohnort in Bettingen ins Geschäft. Schon eine Weile älter ist die Geschichte, wonach eine Verkäuferin in Basel eine Roche-Erbin einmal besorgt gefragt haben soll, ob sie sich das denn leisten könne, als sich diese eine 200 Franken teure Seidenbluse kaufen wollte; so bescheiden war die Frau gekleidet. Teure Jachten, Penthouse in New York, Chalet in Gstaad? Solche Extravaganzen sind von den Roche-Erben keine bekannt. Dafür lassen sie als Mäzene Millionen springen, zuletzt 20 Millionen Franken für den Neubau des Vogelhauses des Basler Zoos. Doch auch das war nicht immer so. Firmengründer Fritz Hoffmann, Sohn eines Basler Seidenbandfabrikanten, sei nicht nur durch seine Freigebigkeit und sein Standesbewusstsein aufgefallen, sondern auch durch Wutausbrüche und einen aufwendigen Lebensstil; mit Kaviar, Champagner und eigens für ihn angefertigte Zigarren aus Kuba. Zudem soll er schon früh nicht mehr mit der Kutsche, sondern mit dem Automobil unterwegs gewesen sein. S wie SevesoSeveso gehört, neben Schweizerhalle und Tschernobyl, zu den verheerendsten Umweltkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte. Im Juli traten bei der Firma Icmesa, einer Tochter von Givaudan, damals ihrerseits eine Tochter von Roche, zwei Kilogramm hochgiftiges Dioxin in die Umwelt. Mehrere hundert Menschen mussten in Spitäler eingeliefert werden, Kinder, deren Gesichter durch Chlorakne entstellt waren, mussten über Jahre hinweg behandelt werden. Schwangeren Frauen wurde zur Abtreibung geraten, 80’000 Nutztiere und 4000 Kleintiere verendeten. Der Unfall war nicht nur für Seveso eine Katastrophe, sie geriet auch zum Debakel für Roche. Die Unternehmensleitung kommunizierte kaum, was ihr den Vorwurf eintrug, die Dinge zu vertuschen. «Bei Roche erkannte man damals nicht, dass ein grundlegender Bewusstseinswandel in der Gesellschaft hin zu einer industrie- und technikkritischen Haltung stattgefunden hatte», heisst es im Jubiläumsbuch. Zum «makabren Possenspiel» geriet die Entsorgung der Dioxinfässer. Sie verschwanden auf dem Weg in eine französische Deponie. Wobei Roche diesmal keine Schuld trug: Die italienischen Behörden hatten die Entsorgung an Mannesmann Italiana übertragen und Roche jede Beteiligung und jedes Mitwissen untersagt. Heute gilt Seveso als eine der Initialzündungen der frühen Umweltbewegung. V wie VitamineBahnbrechende Innovationen kommt meist nicht aus den Labors der Pharmaindustrie, sondern aus Hochschulen oder kleinen Unternehmen. Das war auch beim Vitamin C nicht anders. Die Verfahren zur Herstellung von synthetischem Vitamin C wurden 1933 von Tadeus Reichstein an der ETH Zürich entwickelt. Er war es, der den Chemikern und Ingenieuren von Roche half, die Verfahren so zu skalieren, dass eine industrielle Produktion möglich war. Interessant dabei: Emil Barell beachtete das spätere Millionengeschäft zunächst als biochemisches Produkt, das vor allem in der Forschung zur Anwendung kommen würde. Doch die Nachfrage war enorm. Schon bald ging bei Roche monatlich mehr als eine Tonne Vitamin C vom Stapel. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Roche der grösste Vitaminhersteller der Welt, 1995 belief sich die weltweite Produktion von Ascorbinsäure auf 486’508 Tonnen pro Jahr. Doch das Geschäft mit den Vitaminen steht auch für eines der peinlichsten Kapitel in der Firmengeschichte. 2001 verhängte die Europäische Kommission gegen acht Hersteller von Vitaminen Bussen von zusammen 855 Millionen Euro wegen Preisabsprachen. Roche musste als Anstifterin 462 Millionen Euro bezahlen. «Wir haben uns geschämt», sagte Jörg Duschmalé kürzlich. Und André Hoffmann sagte: «So etwas darf nie wieder passieren.» X wie XenicalWäre es nach Stephan Sudovar gegangen, dem damaligen Pharmachef von Roche, so hätte 1997 ein Meilenstein in der Geschichte des Unternehmens werden sollen. Eine ganze Reihe neuer Medikamente war damals am Start, darunter Xenical, ein Medikament gegen Fettleibigkeit. Die in Xenical gesetzten Erwartungen waren enorm, vor allem in den USA, wo das Problem des Übergewichts bereits damals epidemische Ausmasse angenommen hatte. Einige Analysten glaubten, das Medikament habe das Potenzial, mehr Umsatz als alle bisherigen Medikamente zu machen. Doch das angebliche Wundermittel floppte. Die Patienten und Patientinnen hatten auf eine schnelle Gewichtsreduktion ohne Verzicht auf Gaumenfreuden gehofft. Nun zeigte sich, dass eine solche auch mit Xenical ohne eine Diät nicht zu erreichen war. Zudem führte das Medikament zu Steatorrhoe, wenn die Aufnahme von Fett nicht gleichzeitig reduziert wurde. Der Stuhl bekam eine lehmähnliche Farbe, er wurde ölig und schaumig und er zeichnete sich durch einen penetranten Geruch aus. Die Umsätze von Xenical flachten deshalb nach einem anfänglich steilen Anstieg schnell wieder ab. Z wie zeitgenössische MusikEin Begriff, den man im Zusammenhang mit der Geschichte eines Unternehmens nicht vermuten würde. Doch bei Roche passt er. Und zwar zu Paul Sacher. Der Basler Dirigent und Förderer zeitgenössischer Musik ist der zweite Ehemann von Maja Hoffmann, der Witwe des früh bei einem Verkehrsunfall verstorbenen Gründersohnes Emanuel Hoffmann. Seine Konzerte sind legendär, wobei sich die Reihen nach der Pause, wenn die zeitgenössischen Komponisten zur Aufführung kamen, jeweils deutlich gelichtet haben sollen. Auch sonst sind die Roche-Erben als Förderer von Kunst und Kultur in Basel allgegenwärtig. Aus Anlass der 100-Jahr-Feier schenkte Roche der Stadt das Tinguely-Museum. Nun, zum 125-jährigen Bestehen, finanzieren sie den Umbau des Vogelhauses im Basler Zolli.