Die Arbeitszeiten der Beschäftigten haben sich in den letzten drei Jahrzehnten in allen Industrieländern weiter reduziert. Die Auswirkungen auf die Erwerbsquote sind ganz unterschiedlich. Ebenso lassen sich aus den Arbeitszeitentwicklungen keine allgemein gültigen Rückschlüsse auf die Produktivität ziehen. Die Rezepte für einen Arbeitsmarkt können folglich nicht einfach auf andere transferiert werden. Trotzdem wollen Interessengruppen immer wieder Entwicklungen fremder Arbeitsmärkte in die Schweiz importieren.

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Nachdem deutsche Konzerne wie Siemens und DaimlerChrysler ihre Arbeitszeiten erhöhten, fordert Johann Schneider-Ammann, Präsident des Maschinenindustrieverbandes (Swissmem), eine Korrektur auch auf Schweizer Seite, um nicht ins Abseits zu geraten. «Wir benötigen einen Vorsprung gegenüber anderen Ländern, um die Konkurrenzfähigkeit in unserem Land zu erhalten.» Schneider-Ammann verlangt, im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) 2005 solle deshalb die Normarbeitszeit (40-Stunden-Woche) um ein bis zwei Stunden erhöht werden. Einen Lohnausgleich sieht er nicht vor. Schneider-Amman: «Um Arbeitsplätze zu erhalten, dürfen die Löhne nicht parallel steigen.» Noch vor zwei Jahren, als Swissmem gegen die 36-Stunden-Initiative kämpfte, tönte es ganz anders: Der Schweizer Arbeitsmarkt sei nicht vergleichbar mit dem deutschen.

Kritik an Nachahmung

Die Gewerkschaften sehen keinen Grund dafür, auch in der Schweiz eine Lawine von Arbeitszeiterhöhungen loszutreten. «Die Maschinenindustrie (MA) ist zurzeit wettbewerbsfähig, und während die Löhne in den letzten 14 Jahren fast nicht gestiegen sind, wurde die Produktivität massiv erhöht», sagt Serge Gaillard, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Eine Anpassung nach oben sei nicht nötig, zumal sich der Frankenkurs zum Euro auf einem realistischen Niveau bewege. Ausserdem profitiere die MA bereits heute von einer flexiblen Arbeitszeit.

Gaillard lässt den Vergleich mit Deutschland nicht gelten: Bei den Arbeitszeiterhöhungen im Ausland handle es sich um Einzelfälle, bei denen die Beschäftigten weit gehende und mehrjährige Beschäftigungsgarantien von Firmen gegen eine höhere Arbeitszeit eingetauscht hätten.

Auch Arbeitszeitexperte Toni Holenweger von der Beratergruppe Corso beurteilt den Vergleich als wenig hilfreich: Die Differenz der Nettojahresarbeitszeit zwischen der Schweiz und Deutschland habe über Jahrzehnte stets rund 150 bis 200 Stunden betragen das heisst, im Schnitt betrug der wöchentliche Unterschied rund drei bis vier Stunden. Während sich aber in der Schweiz der Rückgang der Arbeitszeit in den letzten Jahrzehnten abgeflacht habe die gesetzliche Höchstarbeitszeit ist gar seit 1967 stabil geblieben hätten die Deutschen und Franzosen ihre Arbeitszeiten noch in den 90er Jahren massiv reduziert. «Dadurch hat sich der Gap zwischen der Schweiz und den umliegenden Ländern vergrössert», so Holenweger. Schon allein deshalb dränge sich ein Nachzug nicht auf. Tatsächlich kommen die Schweizer in Ranglisten zur Arbeitszeit als fleissig weg.

Für George Sheldon, Professor für Volkswirtschaftslehre, Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie an der Universität Basel, standen bei den betroffenen deutschen Firmen weder die Arbeitszeit noch die Produktivität im Vordergrund: «Es ging um Lohnkürzungen für Kosteneinsparungen.» Die Experten sind sich einig: Arbeitszeitanpassungen müssen auf Betriebesebene und nicht pauschal erfolgen.

Eine Zauberformel zur Berechnung optimaler Arbeitszeiten gibt es nicht. Auch die These «Arbeitszeitreduktionen führen zu mehr Stellen» ist nicht allgemeingültig. Denn wenn bei der Reduktion die Arbeitsproduktivität erhöht wird, braucht es nicht unbedingt mehr Arbeitskräfte. Unterschreitet allerdings die Arbeitszeit eine gewisse Grenze, schrumpft die Produktivität vielmehr.

Bumerangwirkung

Umgekehrt: Eine Arbeitszeitverlängerung führt nicht automatisch zu einer Produktivitätssteigerung. Die Angestellten arbeiten zwar mehr Stunden, in diesen leisten sie aber weniger. Folglich bringt die von Schneider-Ammann erhoffte Arbeitskostensenkung auch keine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Gerade im Hinblick auf den heissen Lohnherbst gilt es zu beachten: Arbeitszeitverlängerungen könnten sich als Bumerang erweisen, wenn sie Anreize beeinträchtigen und dadurch die Produktivität bremsen.

Der Arbeitsmarktexperte Fred Henneberger von der Uni St. Gallen schreibt: «Dienen Arbeitszeitverlängerungen nur dazu, Lohngeständnisse bei einzelnen Arbeitnehmergruppen zu erzielen, die dann im nicht selten wenig transparenten Prozess der Leistungshonorierung auf den Führungsetagen versickern, sind kontraproduktive Elemente programmiert.»

Die Forderungen Schneider-Ammanns und anderen passen nicht zusammen mit dem Trend zur Flexibilisierung. Anpassungen je nach Betrieb und Arbeitnehmer gelten bei vielen Experten als Königsweg. Mit Grund: Holenweger, der u.a. Firmen bei der Verbesserung des Arbeitszeitmanagements hilft, sagt: «Durch Flexibilisierung ist in der Regel eine Produktivitätssteigerung von 10% und mehr leicht zu realisieren. In der Schweiz liegt in flexiblen Arbeitszeitmodellen noch ein erhebliches Produktivitätspotenzial», ist er überzeugt. Der Hauptwiderstand bei der Umsetzung liege bei den Führungskräften flexible Modelle seien führungsintensiver, brauchten mehr Controlling.

Tendenz zur Flexibilisierung

Eine Variante der Flexibilisierung ist die Jahresarbeitszeit (variabel verteilbares Arbeitspensum während eines Jahres), die in den letzten Jahren stark zugenommen hat, aber noch von weniger als der Hälfte der Firmen und Institutionen angewendet wird, wie Adrian Blum vom Personalforschungsunternehmen Empiricon sagt. «Die Jahresarbeitszeit ist besonders interessant für Branchen mit schwankendem Auftragsvolumen wie die Baubranche, aber auch für Dienstleister, die ihren Angestellten mehr Freiheiten im Umgang mit der Arbeitszeit einräumen wollen», sagt Blum.

Corso-Chef Holenweger sieht die Zukunft gar in einer Flexibilisierung des Begriffs der Vollzeiterwerbstätigkeit. Um eine bessere Anpassung der Firmen an Unterkapazitäten oder Überkapazitäten zu ermöglichen, schlägt er Referenzarbeitszeiten vor.

Diese sollen innerhalb einer Bandbreite (zum Beispiel 36 bis 44 Wochenstunden) von den Sozialpartnern je nach Auftragsbestand und konjunktureller Lage festgelegt werden. Ebenso flexibel und konjunkturbedingt würde die Entlöhnung angepasst.

Gegen ein solches Modell wendet Gaillard ein, dass die Beschäftigten auf stabile Einkommen angewiesen seien. Gaillard: «Das Konjunkturrisiko ist ein Unternehmungsrisiko, das von diesen getragen und eingeplant werden sollte.» Für konjunkturelle Einbrüche gebe es zudem die Kurzarbeitsregelung.

Dass in der Schweiz nach Jahren rückläufiger Arbeitszeiten nun ein Trend zu längeren Arbeitszeiten eingetroffen ist oder wünschenswert wäre, lässt sich nicht nachvollziehen. So enthalten sechs der sieben neusten GAV-Abschlüsse Arbeitszeitkürzungen.

Fleiss ist relativ

Die Schweizer sind fleissig: Sie arbeiten je nach Statistik vergleichsweise viele, sehr viele oder wahnsinnig viele Stunden. Wie viele, hängt von Berechnungen ab. In drei Ranglisten wurden die Teilzeitarbeit, die Ferien- und Feiertage, die Überstunden und Absenzen unterschiedlich berücksichtigt:

Gemessen an der Jahresarbeitszeit führen die Schweizer die Rangliste des Deutschen Amts für Arbeit für 2002 an, und zwar mit 1844 Stunden. Auf Rang zwei folgen die Griechen (1840), dann die Iren (1810), Portugiesen (1769), Spanier (1722), Italiener und Österreicher (1720), Schweden (1710), Finnen (1708), Belgier (1702), Norweger (1695), Briten (1692), Ostdeutschen (1685), Franzosen (1605). Westdeutsche arbeiten nur 1557 Stunden. (clu)