Auf Bitte von Kiew: Die Schweiz finanziert der Ukraine Schienenbefestigungssysteme der Schwihag AG

Putin zerbombt die Ukraine erbarmungslos. Bei Angriffen auf Dnipro, Saporischschja und die Oblast Sumy starben in den vergangenen Tagen mehr als hundert Menschen. Schulen und Wohngebäude wurden zerstört. Wegen der Angriffe auf Umspannleitungen und Kraftwerke können 30 Prozent des Strombedarfs aktuell nicht gedeckt werden. Eine der grössten Herausforderungen für die Ukraine: der Wiederaufbau mitten im Krieg, um das Land vor dem Kollaps zu bewahren. Nun hilft die Schweiz genau dabei: Erstmals seit Kriegsbeginn investiert Bern grosszügig in den Wiederaufbau von ukrainischer Infrastruktur – und zugunsten der eigenen Wirtschaft. Die Schwihag AG aus Tägerwilen TG liefert der Ukraine im Laufe des Jahres spezielle Schienenklammern, mit denen die Last auf etwa 270 Kilometer Schienen um das Fünffache erhöht werden kann. Finanziert wird der Grossauftrag vom Seco. «Mit der heutigen Unterzeichnung der Finanzhilfevereinbarung formalisieren die Schweiz und die Ukraine die Umsetzung des Projekts im Geiste der Partnerschaft und im Einklang mit den Lugano-Prinzipien für den Wiederaufbau und die Wiederherstellung der Ukraine», schreibt die Schweizer Botschaft in Kiew am 23. Dezember auf Facebook. Die für die Schweizer Gleis- und Weichentechnik benötigten 14 Millionen Franken stammen aus dem vom Bundesrat gesprochenen und vom Parlament Ende 2022 bestätigten Nachtragskredit für die Winterhilfe an die Ukraine in der Höhe von 100 Millionen Franken. Schwihag will nicht über den Auftrag reden Eigentlich ist das eine Erfolgsgeschichte: Für die neutrale Schweiz, die den Ukrainern konkret unter die Arme greift. Für Bundesrat Ignazio Cassis, der endlich einen handfesten Erfolg seines Wiederaufbaugipfels in Lugano vorweisen kann. Für die Schweizer Industrie, die mit ihrer Mobilitätslösung glänzt. Und natürlich für die Schwihag, die nicht nur einen grossen Auftrag mit gutem Zweck erhält, sondern auch internationale Sichtbarkeit. Schliesslich schaut die ganze Welt auf die Ukraine. Doch der Auftrag für eine Kriegspartei behagt den Schweizer Schienenspezialisten offenbar nicht. Um was für ein System handelt es sich genau? Wo im Land wird es installiert? Reisen Schweizerinnen und Schweizer für die Montage in die Ukraine? Zu all diesen Fragen schweigt Schwihag, nichtmal vom Bundesrat öffentlich gemachte Informationen will das Tägerwiler Unternehmen bestätigen. Über den Auftrag wolle man am liebsten gar nicht sprechen, heisst es auf Anfrage. «Die Schwihag AG beliefert die ukrainische Bahn seit einigen Jahren mit ihren Produkten», sagt Co-Geschäftsführer Daniel Dahinden. Und: Man finde die Unterstützung durch die Schweizer Regierung im Rahmen der humanitären Hilfsaktion «sinnvoll». Mehr darf aus dem Gespräch mit Schwihag nicht zitiert werden. Das Unternehmen liefert auch an Russland-Freunde Nur: Warum? Weil die Informationen für die Ukraine sicherheitsrelevant sind? Oder weil der Auftrag Neid in der Branche wecken könnte? Nichts davon scheint der Fall zu sein. Der Grund für das Schweigen könnte sich in der Kundenliste der Firma finden. Aus Russland selbst hat sich Schwihag wegen der Sanktionen zwar zurückgezogen. Unter den Kunden sind jedoch mehrere Länder, die Russland nach wie vor unterstützen.Putin ist nicht komplett isoliert Bei der UN-Vollversammlung im Oktober 2022 verurteilte zwar mit 143 der 192 Mitgliedsstaaten eine historische Mehrheit die völkerrechtswidrigen Annexionen Russlands in der Ukraine. Allerdings votierten mit Russland auch 5 Länder dagegen, 35 enthielten sich. Das Misstrauen gegenüber dem Westen und die Anerkennung der Position Russlands als wichtigster globaler Energie- und Lebensmittellieferant führen nach wie vor weltweit zu der einen oder anderen Zusammenarbeit mit Moskau. Auch wenn der europäische Markt noch der wichtigste ist, gewinnen Nord- und Südamerika sowie der asiatische Markt für Schwihag an Bedeutung. Neben Standorten in der Schweiz, Deutschland, Grossbritannien, Spanien und den USA hat der Gleis- und Weichentechniklieferant auch ein Verkaufsbüro in Indien – ein dankbarer Abnehmer von russischem Erdöl und Waffen. Für China, dessen Importe und Exporte Russland massgeblich vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch bewahren, finden sich sechs Projekte auf der Unternehmenswebseite. Offenbar will die Schwihag aus Sorge, wichtige Kundengeschäfte in russlandfreundlicheren Ländern zu verlieren, nicht über den ehrenwerten Auftrag reden. China-Experte: «Diffuse Angst sagt sehr viel über die Herausforderung aus» China-Experte Ralph Weber findet die Zurückhaltung problematisch. «Eine diffuse Angst vor dem Verlust von China-Business sagt sehr viel über die Herausforderung in der Beziehung der Schweiz mit China aus. Das ist ein Zeichen der geopolitischen Zuspitzung, die wir erleben», sagt der Professor am Europainistitut der Universität Basel. Weber hält es zwar für unwahrscheinlich, dass ein Schweizer Unternehmen für sein Ukraine-Engagement «abgestraft» werden könnte. Einfach weil Europa für China in vielen Bereichen wichtiger sei als Russland. Gleichzeitig sei das eben auch nicht auszuschliessen. Swissrail-Präsident lobt finanzielles Engagement der Schweiz Während sich die Schwihag ausschweigt, sind Branchenvertreter stolz auf den Auftrag. «Wir sind dankbar, dass wir der Ukraine mit ihrer Infrastruktur helfen können. Normalerweise bietet die Schweiz vor allem humanitäre Hilfe», sagt Swissrail-Präsident Andreas Haas, der den Auftrag mit eingefädelt hat. Beim Ukraine-Gipfel in Lugano hatte er sich mit Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakov über die Bedürfnisse des Landes ausgetauscht und darüber, wie man die Ukraine auch in Sachen Mobilität auf ein europäisches Level bringen kann. Kubrakov bat schliesslich in Bern um finanzielle Unterstützung. Man vertraute bereits auf die Schweizer Gleistechnik: Die Schwihag hatte in den letzten zwei Jahren bereits mehrfach Schienenbefestigungssysteme in die Ukraine geliefert. Damals erhielt sie den Zuschlag über ein öffentliches Ausschreibungsverfahren der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE). Die Schweizer Solidarität reiche allerdings nur bis zur Grenze; dort übernehme die ukrainische Eisenbahngesellschaft die Ware, teilt das Seco auf Anfrage mit. Auch sollen bei der Montage im Kriegsgebiet keine Schweizerinnen und Schweizer involviert werden. Das allerdings wohl eher aus Sicherheitsbedenken – nicht aus politischen Gründen.

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