Intelligente Logistik ist gefragt

AUTOMOTIVE SUPPLIER PARKS In den neuen EU-Ländern boomt die Automobilindustrie. Für die Produktion werden effiziente Logistikdienstleistungen einen wichtigen Beitrag leisten.

Josef Müller

Die grossen europäischen Autohersteller sind in den vergangenen Jahren mit viel Schwung nach Osten gezogen und haben dort eindrucksvolle Produktionsanlagen in die grüne Landschaft gesetzt. Ob Renault, Volkswagen, Peugeot oder KIA, sie sitzen längst in Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Ungarn oder Polen und lassen dort so genannte «Volumenmodelle» vom Band laufen. Der Terminus Volumenmodell steht für ein erschwingliches Auto, bei dem weniger die Klasse als vielmehr die Masse das Merkmal ist, erklärt Professor Wilfried Sihn, Lehrstuhlinhaber an der Technischen Universität Wien und Leiter der Projektgruppe Produktionsmanagement und Logistik der Fraunhofer-Gesellschaft in Österreich.

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Logistikkosten deutlich höher

Nach der anfänglichen Euphorie über die Vorzüge der Verlagerung der Autoproduktion nach Osten macht sich jetzt unter den Produzenten allmählich Ernüchterung breit. Die Logistik- und Qualitätskosten erweisen sich nämlich als wesentlich grösserer Kostenfaktor, als ursprünglich erwartet; sie schlagen viel höher zu Buche, als in den betriebswirtschaftlichen Kalkulationen trotz deutlich geringerer Lohn- und Standortkosten ausgewiesen. Sihn nennt dafür ein konkretes Beispiel. Der deutsche Autohersteller Volkswagen in Bratislava bezieht 76% der Komponenten nicht aus der Region rund um Bratislava, sondern aus den westlichen EU-Staaten. Fazit: Die Teile müssen aus Deutschland und anderen westlichen EU-Ländern nach Bratislava transportiert werden. Die Logistikkosten nach Bratislava sind daher drei Mal höher als wenn das gleiche Teil in einer westeuropäischen Produktionsanlage eingebaut würde. Sihn setzt diesen hohen westlichen Lieferanteil mit Wertschöpfung gleich, die Österreich derzeit verloren geht, weil die Teile durch Österreich in den Osten transitiert werden. Sihn: «Die Logistikkosten des VW-Werks in Bratislava liegen 300% höher als die der westeuropäischen Standorte.» VW müsste daher bestrebt sein, den Anteil der Lieferungen aus Osteuropa drastisch zu erhöhen.

Der Mitbewerber Toyota-PSA beispielsweise, der im tschechischen Kolin Autos produziert, beschafft seit dem Produktionsstart im vergangenen Jahr 80% der Zukaufteile von lokalen und regionalen Lieferanten. Die Botschaft an die Automobilbranche lautet daher: Logistikkosten werden kurz- bis mittelfristig zum Standortnachteil, wenn die Logistik nicht weiter optimiert werden kann.

Die Region Wien beziehungsweise Ostösterreich wird von der ostwärts ziehenden Karawane profitieren. Sihn: «Im Umkreis von Wien befinden sich derzeit sieben Autoproduktionsstätten. Warum also nicht die Region Wien zu einer intelligenten Logistikdrehscheibe ausbauen und hier den Lieferanten aus dem Westen einen «Automotive Supplier Park» zur Verfügung stellen. Die Initiative zu diesem intelligenten Lieferantenpark für die Automobilindustrie stammt von Sihn und seinem Team. Vom Lieferantenpark profitieren beide Seiten: Der Autohersteller erhält die Komponenten günstiger, weil der Lieferant die Logistik optimiert und damit kostengünstiger bewerkstelligen kann. Und Wien würde durch eine solche Logistikdrehscheibe als Wirtschaftsstandort aufgewertet. «Wir bereiten derzeit eine Studie über das Projekt vor und wollen Vorteile und Argumente für einen Supplier Park in Wien aufzeigen», sagt Sihn.

Wertschöpfung nach Österreich

Gegenwärtig steht der dynamische Professor mit dem Wiener Wirtschaftsförderungsfond (WWFF) in intensiven Gesprächen über dieses Projekt. Mit diesem Projekt könnte logistische Wertschöpfung nach Österreich geholt werden und der Logistikstandort Wien und auch Ostösterreich könnten davon profitieren. Fraunhofer hat schon Erfahrung mit Planung und Consulting für derartige Automotive Parks. In Südafrika wurde unter der Führung von Fraunhofer die Errichtung eines Automotive Supplier Parks lanciert, in dem derzeit 19 Autozulieferer tätig sind und von diesem Hub aus vier südafrikanische Autoproduktionsstätten logistisch bedienen.

Auch beim Automotive Cluster Vienna Region (ACVR) hält man die Initiative für einen derartigen Lieferantenpark für «sehr interessant und verfolgenswert», sagt Peter Kuen, Leiter des ACVR. Unter dem Schirm des Clusters tummeln sich derzeit 120 Firmen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. Diese Firmen agieren als ausgewiesene Zulieferer zur internationalen Automobilbranche und für diese «ist die Logistik ein lästiges Anhängsel und zugleich ein heisses Thema», so Kuen im Nachsatz. So heiss, dass der Cluster erst jüngst zur Einreichung von innovativen Pilotprojekten mit Schwerpunkt Logistik aufgerufen hat. Dem Siegerprojekt winkt eine Förderung von bis zu 35000 Euro.

Autoboom ohne Ende

Im vergangenen Jahr wurden in Osteuropa rund 1,9 Mio neue Autos hergestellt. In diesem Jahr werden es 2,5 Mio Einheiten sein und bis 2008 werde laut Sihn die Produktion auf 3,1 Mio Autos steigen. Das wäre ein Zuwachs von 246% gegenüber dem Jahr 2002. 90% dieser Volumen werden im 300-Kilometer-Aktionsradius Wien Bratislava hergestellt. Die Schaffung eines Automotive Supplier Parks würde den Bedürfnissen der Zulieferer entgegenkommen, zumal die Hersteller immer mehr Wertschöpfung an die Lieferanten auslagern. Noch vor vier Jahren haben die Autohersteller beispielsweise die Karosserie eines Autos zu 96% selbst hergestellt und damit die Wertschöpfung im eigenen Haus gehabt. Bis 2008 rechnet Sihn damit, dass der Wertschöpfungsanteil auf 77 % sinken wird. Fazit: Die externe Wertschöpfung wird von derzeit 4 auf 23% allein bei der Karosserieproduktion zunehmen.

Schon jetzt delegieren die Hersteller die Wertschöpfung an ihre Lieferanten. Bis 2015 werden Firmen wie beispielsweise BMW, VW, Skoda, Renault, Hyundai oder KIA nur noch 23% eigene Wertschöpfung haben; den Rest müssen die Lieferanten ob sie wollen oder nicht übernehmen. Das Zulieferpotenzial an die Autohersteller in Osteuropa liegt derzeit bei 7 Mrd Euro. Bis 2008 wird dieses auf 20 Mrd Euro steigen. Die Gesamtwertschöpfung in der weltweiten Automobilindustrie wird in den kommenden Jahren um rund 250 Mrd Euro steigen. Die Hersteller decken nur noch 23% der Wertschöpfung ab; die restlichen 77% werden an Lieferanten delegiert. Derzeit befinden sich in Europa 22 Supplier Parks in der Gründungsphase.

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Im Fokus: Merkmale der Automotive Supplier Parks

Gemeinsame Plattform nach aussen

- Kundenkontakte, Ausschreibungen, Marketing, Förderungen, Finanzierungen

Zentrale Struktur

- Gemeinsame Dispositions- und Beschaffungsmöglichkeiten

- Gemeinsame Nutzung der Lager

- Flexibles Gebäudemanagement

- Kostengünstige Beschaffung bzw. Veränderung von Produktionskapazitäten

- IT-Anbindung/IT-Struktur

Zentrale Dienstleistungen

- Abgestimmtes Dienstleistungsangebot (rechtlich, sprachlich, kulturell, finanziell, personell) entsprechend den Bedürfnissen in Zentraleuropa (z. B. Arbeitskräfteauswahl)

- Nutzung von Sekundärfunktionen (Sanitärdienste, Konferenzräume, Kantine, Entsorgungslogistik, Feuerwehr)

Strategie der kurzen Wege

- Abgestimmte Logistik in/aus dem Park (abgestimmte Inbound- und Outbound-Logistik)

- Kunden-Lieferanten-Beziehungen im Park

- Bündelung der Logistik. Eine Fahrt zum Autohersteller (OEM): Mehrere Produkte von verschiedenen Zulieferern

- Ein Produkt eines Zulieferers: Zu mehreren Autoherstellern (OEM)

Nutzung von Skalenerträgen

- Produktion für mehrere Autohersteller (OEM) im direkten Umfeld

Angepasste Qualifizierungsangebote direkt im Park

- Vereinfachter Zugang zu Expertenwissen und Facharbeitern