Orell-Füssli-Managerin Simona Pfister erklärt die Expansion der Buchladen-Kette

Das gedruckte Buch ist unter Druck, glaubt man. Viel Papier zwischen zwei Deckeln – altmodisch, ein Relikt der Vergangenheit, könnte man denken. Bücher verkaufen in stationären Läden – vergilbte Old Economy, würde man im E-Commerce-Land Schweiz vermuten. Simona Pfister sieht das anders, komplett anders. Die Schweizer Managerin leitet den Vertrieb von Orell Füssli Thalia und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Seit Dezember 2020 ist Pfister zudem Mitglied des Zentralvorstands des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands (SBVV). 2018 gab es 33 Orell-Füssli-Buchhandlungen in der Schweiz, seither ist die Zahl jedes Jahr gestiegen. Aktuell sind es 44, bis Jahresende 2022 sollen es 46 sein. Und auch damit, sagt Pfister, ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Orell Füssli öffnet und übernimmt ständig Buchhandlungen. Dabei dachten wir: Das physische Buch ist tot. Und mit ihm der stationäre Buchladen. Als ich Ende 2018 meine Stelle bei Orell Füssli antrat, bekam ich das tatsächlich oft zu hören. Mittlerweile hat sich gezeigt: Physische Buchhandlungen behaupten ihre Rolle als Lotse im Büchermarkt. Die Läden kommen auf eine hohe Verweildauer der Kundinnen und Kunden, was auch Immobilienbesitzer und -vermieterinnen schätzen, in der Innenstadt wie auch in Einkaufszentren. Entschieden sich Center-Manager früher bei Mietern eher für Fashion-Anbieter und Apotheken, haben wir mit Buchläden heute ein viel besseres Standing. Hat Corona die Schweizerinnen und Schweizer wieder vermehrt zu Buchlesenden gemacht? Tatsächlich hat die Pandemie dazu beigetragen. Fachbücher zu Themen wie Basteln, Garten, Handarbeiten und Kochen liefen sehr gut, aber auch Puzzles. Ein Bücher- und Puzzlestrohfeuer? Gewisse Themen mögen aktuell vielleicht wieder weniger gefragt sein – aber die Begeisterung, Bücher zu lesen, bleibt. Oder wurde in dieser Zeit sogar neu angefacht. Was wir feststellen: Das Buch hat an Stellenwert gewonnen. Und unsere Online-Umsätze haben sich verdoppelt. 2018 führte Orell Füssli noch 33 Buchläden, seither steigt die Zahl ungebremst. Anfang April wurde in Wil SG schon die 44. Filiale eröffnet. Was kommt da noch? Wir sind überzeugt, dass da noch einiges geht und wir auf diesem Niveau weiter wachsen können. Bis Ende 2022 werden es 46 physische Geschäfte sein. Das Wachstum verläuft dabei auf zwei Schienen: organisch und per Übernahmen von bestehender Buchhandlungen. Ich denke, dass wir im Frühling 2023 bei 50 Filialen im ganzen Land ankommen werden. Grundsätzlich wollen wir in allen Schweizer Ballungszentren vertreten sein. Weisse Flecken gibt es noch genügend, etwa in der Zentralschweiz, im Kanton Graubünden und in Zürcher Stadtquartieren. Ist das eine Nettozahl, beeinflusst von Eröffnungen und Übernahmen auf der einen Seite – und von Schliessungen auf der anderen Seite? Wir schliessen keine Buchhandlungen. Welches sind Ihre harten Erfolgskennzahlen? Frequenzen und Umsatz. Wer nur die Buchhandlung besucht, etwas schmökert und dann wieder geht, sorgt aber nicht für Umsatz. Macht nichts. Wichtig ist, dass es überhaupt zu solchen Kontakten kommt. Sie wachsen in einem Verdrängungsmarkt. Jeder Buchladen, der schliesst, ist gut für Orell Füssli? Das wäre zu kurzfristig gedacht. Jeder Buchladen, der schliesst, ist schlecht für die Branche. Und für das Buch. Es braucht eine gewisse Vielfalt im Markt. Sonst wäre es so, wie wenn es im Detailhandel nur noch Migros und Coop gäbe. Wir wollen keine Monopolisten sein. Wie beugen Sie dem vor? Indem wir Rücksicht auf die Mitbewerber nehmen. Wenn sich in der Nähe einer unserer Buchhandlungen beispielsweise eine Comic-Buchhandlung befindet, fahren wir in unserer Filiale den Anteil an Comics hinunter. Wie liest die Schweiz? Aufgrund unserer Zahlen haben die physischen Bücher bei uns einen weiterhin überwältigend hohen Anteil von 90 Prozent, der Rest von 10 Prozent läuft über E-Books. Und wer liest? Unsere Kundinnen und Kunden lassen sich – grob gesagt – in Lesende und Viellesende unterteilen. Lesende kaufen drei bis vier Bücher pro Jahr, bei den Viellesenden ist es ein Buch pro Woche. Oder müsste es heissen: Vielleserinnen? Tatsächlich vermuten wir unter den Viellesenden zwei Drittel Frauen und einen Drittel Männer. Damen und Herren, die eher über vierzig sind als darunter? So ist es. Wie viele Bücher haben Sie in Ihren Läden vorrätig? Das hängt natürlich stark von der Grösse der jeweiligen Buchhandlung ab. In einer kleineren Filiale wie jener an der Zürcher Europaallee sind es zwischen 30’000 und 35’000 Büchern; in unserem grossen Geschäft gleich neben der Bahnhofstrasse Zürich sind es um die 100’000. Werden die physischen Bücher hauptsächlich online bestellt oder tatsächlich noch im Laden gekauft? Es ist nicht immer einfach, diese Anteile in reine Online- oder Offline-Käufe aufzuteilen. Grob gerechnet kann man sagen, dass 70 Prozent der Bücher im Laden gekauft oder – nach einer Online-Bestellung – dort abgeholt werden. 30 Prozent der Einkäufe erfolgen rein online. Wie sehr hat es Orell Füssli geholfen, dass die Migros-Tochter Ex Libris 2018 ihr Ladennetz brutal ausdünnte und von vormals 57 stationären Verkaufsstellen auf 14 herunterfuhr? Das hatte keinen Einfluss auf unser Geschäft. Weil wir Ex Libris nicht als direkten Konkurrenten sehen. Amazon und Ex Libris bieten Bücher meistens günstiger an als Orell Füssli. Ein Problem? Das macht mir kein Bauchweh. Im Buchverkauf ist auch der Aspekt der Beratung entscheidend. Der Preis ist keine Waffe. Im Bereich der Musik und der Filme ist Streaming ein grosses Thema. Planen Sie eine Online-Flatrate fürs Bücherlesen? Das ist tatsächlich ein Thema bei uns. Aktuell arbeiten wir an einer Art Spotify des Bücherlesens. Wie kommt das bezüglich Preis, Convenience und Leistungsumfang daher? Dazu möchte ich jetzt noch nichts sagen, weil wir noch in der Planung sind. Die Lancierung ist für Sommer 2022 in der Schweiz geplant.

Orell-Füssli-Managerin Simona Pfister erklärt die Expansion der Buchladen-Kette

Bald 50 Orell-Füssli-Filialen: «Das Buch hat an Stellenwert gewonnen»