Seit Jahren ändert sich nichts daran. Die Kinder von Thomas Schmidheiny wollen alles, nur nicht das Erbe des Vaters bei Holcim antreten. So entstand die vielleicht schwierigste Mission für Schmidheiny während seines gesamten Berufslebens: Die Familien-Saga beim Zementkonzern nach drei Generationen im Guten zu beenden. Mit einem würdigen Abgang. Mit Perspektive für das Unternehmen. Man sollte später ohne Zögern sagen können: Thomas Schmidheiny hat seine Verantwortung als Ankeraktionär wahrgenommen.

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Doch nun wankt alles. Wenige Wochen vor dem grossen Akt droht die Fusion zwischen Holcim und Lafarge zu scheitern, welche den Einfluss der Familie auf 10 Prozent reduzieren und so den Ausstieg erlauben würde. Viele in der Branche und auch im Unternehmen glauben nicht mehr an den Zusammenschluss in der Art, wie er angedacht war. «Am Hauptsitz von Holcim geht es zu und her wie in einem Taubenschlag», erzählt ein Beobachter. Alle suchten nach einer Lösung. Manager, Berater, Anwälte - einfach alle schieben Überstunden, seit einige Aktionäre von Holcim laut über die Konditionen der Fusion zu murren begannen.

Mittendrin steht Schmidheiny, als Hauptaktionär, als Verwaltungsrat, als Treiber der Fusion. Als Mann, der den Deal noch immer retten möchte, der noch immer von der «industriellen Logik» spricht. Doch sein Dilemma ist gross. Die Fusionspläne haben Kräfte entwickelt, die auch von ihm kaum noch kontrolliert werden können. Hier sind die grössten:

Das Verlangen der Aktionäre

Seit Anfang Jahr und den jüngsten Geschäftszahlen ist klar, dass Holcim besser dasteht als Lafarge. 1,4 Milliarden Euro flüssige Mittel verbleiben dieses Jahr bei Holcim, bei Lafarge sind es bloss 400 Millionen. Nun pochen alle auf eine Revision des Aktientauschverhältnisses zwischen den Unternehmen. Ohne mehr Gewicht für Holcim-Aktionäre will etwa die Anlagestiftung Ethos laut «Sonntagsseitung» ihr Veto einlegen. Die Kontrolle über das Aktionariat ist dem Verwaltungsrat und damit auch Schmidheiny vollkommen entglitten. Die Deutungshoheit zum Merger ist weg, Slogans wie «industrielle Logik» und «Vorteile für alle» nur noch Makulatur.

Französische Befindlichkeiten

Lafarge braucht den Deal. Ein Teil seiner Zementwerke steht in arabischen Ländern, wo die Dollars für Neubauten seit dem Preissturz beim Öl auch nicht mehr im gleichen Überfluss vorhanden sind. Zudem drücken bei Lafarge hohe Schulden auf die Bilanz. Doch bisher haben sich die Verhandlungsführer bei Lafarge gegenüber Holcim stets behauptet. Das Mantra war immer: Hier findet ein Deal unter Gleichen statt. Es sei denn auch «eine Illusion» zu glauben, ein neues Tauschverhältnis zugunsten der Holcim-Aktionäre erzwingen zu können, urteilen gleich mehrere Personen, welche die Akteure in den Verhandlungen kennen. So sicher ist das inzwischen nun aber auch nicht mehr.

Das Wort der Investmentbanken

Nicht nur für die Aktionäre steht viel auf dem Spiel, auch für Investmentbanken und Anwaltskanzleien. Nichts ist für die Banken schlimmer als ein «broken deal», eine nicht zustande gekommene Fusion. Bereits weist Holcim Aufwendungen für den Merger von 72 Millionen Franken aus. Schmidheiny und der Verwaltungsrat stehen unter substanziellem Druck der Banken, den Deal nicht sterben zu lassen.

Drohende Strafgebühren

Ein einseitiger Übungsabbruch käme Holcim teuer zu stehen. 350 Millionen Euro gälte es als Entschädigung an Lafarge zu überweisen. Hinzu kämen weitere sogenannte Breakup-Fees, zum Beispiel an den irischen Zementkonzern CRH. Dieser soll für 6,5 Milliarden Euro Zementwerke von Holcim und Lafarge übernehmen, damit die Wettbewerbsbehörden die Elefantenhochzeit absegnen. Scheitert die Fusion nun, müssen Holcim und Lafarge 157 Millionen Euro Entschädigung an CRH abliefern. Im Aktionariat von Holcim gibt es bereits Stimmen, die laut darüber nachdenken, wer denn all diese Strafmillionen zahlen soll. Ein juristisches Nachspiel gegenüber den Architekten der geplanten Fusion ist nicht ausgeschlossen.

Die Würde des Verwaltungsrates

Natürlich könnte sich der Verwaltungsrat von Holcim darauf kaprizieren, die Fusion nicht selber abzublasen, sondern sie an der ausserordentlichen Generalversammlung am Veto der Aktionäre scheitern zu lassen. So würde keine Breakup-Fee an Lafarge fällig. Doch der 15-monatige Leerlauf wäre ein Desaster sondergleichen, der Gesichtsverlust für Schmidheiny enorm. So weit wird es nicht kommen.

Die drohende Kampagne

Das alles wissen die Minderheitsaktionäre, was wiederum ihre Verhandlungsposition stärkt. Im Hintergrund laufen in diesen Tagen die Vorbereitungen für eine konzertierte Kampagne gegen die Fusion in der geplanten Form. Einzelne institutionelle Investoren haben sich bereits gemeldet. Als schwerer Fehler wird in der Branche gewertet, dass die Holcim-Führung vor Bekanntgabe der Fusion nie mit dem russischen 11-Prozent-Minderheitsaktionär Eurocement gesprochen hat.

Das Selbstbild als Hypothek

Schmidheiny ist kein Profitmaximierer. Sonst könnte er den Deal sterben lassen und seine Aktien in nächster Zeit sukzessive an institutionelle Anleger verkaufen. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld gäbe es genügend Käufer. Im Gegenteil geht es ihm vielmehr darum, das Unternehmen gut und langfristig solide aufgestellt verlassen zu können. Das gebietet ihm sein Verantwortungsbewusstsein. Ein Abschleichen kommt nicht in Frage und einen Rufmord, wie ihn die Familie Burkard im Fall Sika gerade erlebt, will niemand. Das alles schränkt Schmidheinys Handlungsspielraum weiter ein.

Paradoxerweise war es Schmidheiny selber, der als treibende Kraft die Fusion aufgegleist hat, nachdem der Konzern nach der Finanzkrise einfach nicht mehr auf Touren gekommen war. Noch ist nicht entschieden, welchen Weg Schmidheiny und der Gesamtverwaltungsrat gehen werden. Noch wird hinter den Kulissen verhandelt.

Für mehrere Beobachter war bisher jedoch klar: Die grösstmögliche Versöhnung aller einander entgegenlaufenden Kräfte ist eine Sonderdividende an die Holcim-Aktionäre oder eine andere Form der Auszahlung. Wie sich das umsetzen liesse, ist aber ebenso offen. Es ginge rasch um Milliardenbeträge. Im Vorvertrag der Fusion (BCA) steht zu Sonderdividenden jedenfalls kein Wort.

Kursabsturz

Das grosse Feilschen hat nun aber begonnen, zeigt die Medienmitteilung von Lafarge. Darin schreibt der französische Konzern, dass der Verwaltungsratspräsident von Holcim angedeutet habe, dass der Merger unter den vereinbarten finanziellen Konditionen und der geplanten Führungsstruktur nicht weiterverfolgt werde. Lafarge hält am Deal wie vermutet fest. Man sei bereit, Möglichkeiten auszuloten, das Umtauschverhältnis in Übereinstimmung mit den jüngsten Marktveränderungen anzupassen. Weitergehende Veränderungen bei der Vereinbarung seien jedoch nicht möglich, so Lafarge weiter.

«Nun werden die Gewinne eingefahren»

Die Verunsicherung über die geplante Fusion der beiden Zementgiganten Holcim und Lafarge drückt vorerst auf die Aktienkurse beider Unternehmen. Während die Holcim-Aktie im Vormittagshandel 1,5 Prozent verliert, bricht der Lafarge-Titel in Paris gar um 4,5 Prozent ein. «Nach dem was man die vergangenen Wochen so alles gehört hat, war das zu erwarten», sagte ein Händler. Die Holcim-Aktien hätte diese Entwicklung mit den jüngsten Gewinnen bereits eingepreist. «Nun werden die Gewinne eingefahren.»

Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

Mit den Neuverhandlungen werde der Fusionsprozess «holpriger», schreibt die Zürcher Kantonalbank ZKB, und es sei unklar, wie das Ergebnis aussehen werde. Selbst ein Scheitern der Fusion könne nicht mehr ausgeschlossen werden, obwohl dann beide Parteien stark an Glaubwürdigkeit verlieren würden. Insgesamt befinde sich Holcim aber in einer bessere Position, so die Kantonalbank weiter.

Der Analyst von J. Safra Sarasin begrüsst die Bereitschaft von Lafarge, über das Tauschverhältnis zu sprechen. Hier sei eine Anpassung beim Holcim-Kurs offenbar bereits eingepreist. Jetzt komme es darauf an, auf welche Art und in welcher Höhe die Anpassung ausfalle. Ein Scheitern der Fusion gehöre noch nicht zu seiner Grundannahme, da sie langfristig Sinn mache.