Big Pharma: Pfizers 43-Milliarden-Wette in der Onkologie

Es ist das grösste Manöver bei Big Pharma seit drei Jahren und eins, das man auch in Basel aufmerksam verfolgen dürfte: Der amerikanische Pharmakonzern Pfizer lässt 43 Milliarden Dollar für den Kauf von Seagen springen, ein Biotech-Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Washington, das im vergangenen Jahr gerade mal gut 2 Milliarden Dollar Umsatz machte. Nur Abbvie, das sich 2019 für 63 Milliarden Dollar den Botox- und Fillings-Hersteller Allergan anlachte, und Bristol-Myers Squibb griffen noch tiefer in die Kasse. Das New Yorker Unternehmen, das in den vergangenen Jahren unter anderem in der Immunonkologie für Furore sorgte, schlug für 74 Milliarden bei Celgene zu, ebenfalls ein bedeutender Hersteller von Krebsmedikamenten. Es geht wieder mal um Onkologie Auch beim neuesten Megadeal geht es um die Onkologie. Genauer um eine bestimmte Technologie zur Bekämpfung von Krebs, die sogenannte ADC-Technologie. Die Abkürzung steht für Antibody Drug Conjugate. Vereinfacht geht es dabei um eine zielgerichtete Chemotherapie, bei der die Giftstoffe – denn um solche geht es ja bei einer Chemotherapie – mithilfe eines Antikörpers zu den Tumorzellen transportiert werden, wo der Antikörper andockt und die die toxischen Wirkstoffe freigesetzt werden. ADC haben eine wechselvolle Geschichte. Manche Technologien in der Pharmaindustrie kommen und gehen. Bei ADC ist das anders. Die kamen, gingen und jetzt kommen sie wieder. Vor ein paar Jahren gab es einen grossen Hype um die Technologie, dann geriet die Methode wieder etwas in den Hintergrund. Die Schwierigkeit lag darin, den Antikörper und die Chemotherapie mit einem Linker so zu verbinden, dass die toxischen Stoffe wirklich erst dann freigesetzt werden, wenn die Antikörper sich an die Krebszelle angeheftet haben. Roche war ein Pionier Auch bei Roche waren ADC vor ein paar Jahren ein grosses Thema. Mit der Übernahme von Genentech hatten die Basler eine ganze Reihe von ADC-Wirkstoffkandidaten eingekauft. Davon sind zwei auf den Markt gekommen, die Brustkrebstherapie Kadcyla und Polivy, ein Medikament gegen eine bestimmte Art von Lymphdrüsenkrebs. Mit Kadcyla machte Roche im vergangenen Jahr gut 2 Milliarden Franken Umsatz, die Verkäufe von Polivy lagen bei gut 400 Millionen Franken, was einem Plus von 85 Prozent entsprach. Kadycla sei die erste ADC-Therapie gewesen, die für die Behandlung von fortgeschrittenen Tumoren zugelassen sei, schreibt Roche auf Anfrage. Das Medikament ist in 110 Ländern zur Behandlung von frühem und metastasierendem HER2-positivem Brustkrebs zugelassen. HER2-positiv bedeutet, dass die Tumorzellen einen bestimmten Rezeptor aufweisen, der das Wachstum des Krebses beschleunigt, was zu schwereren Krankheitsverläufen führt. «Grossartig» oder «sehr komplex»? Auf die Frage, warum das Unternehmen nur zwei Medikamente auf den Markt gebracht habe, schreibt Roche: «In der gesamten Branche hat sich die Entwicklung von ADC als schwierig erwiesen»; die Entwicklung der verschiedenen Komponenten des Moleküls, also des Antikörpers, des Linkers und der Chemotherapie, seien «sehr komplex». Da hat man bei Pfizer offenbar weniger Bedenken. Seagen verfüge über eine der «grossartigsten Technologien, um Krebs zu bekämpfen», sagte Pfizer-Chef Albert Bourla am Montag gegenüber dem Nachrichtensender CNBC. «ADC können einen grossen Unterschied machen», sagte der Pfizer-Chef, sie seien so etwas wie RNA für Impfstoffe. Er denke deshalb, dass Pfizer dank der Übernahme von Seagen die Belastung der Menschen durch Krebs in einem Ausmass reduzieren könne, wie das bis jetzt nicht möglich gewesen sei. Zur Erinnerung: Die beiden wichtigsten Impfstoffe gegen Covid-19, der von Pfizer in Zusammenarbeit mit der deutschen Biontech und der von der amerikanischen Moderna entwickelte, basierten auf der RNA-Technologie. Pfizer geht eine grosse Wette ein Klar ist: Mit der 43-Milliarden-Dollar-Wette von Pfizer-Chef Albert Bourla auf Seagen steht die Technologie nun definitiv wieder im Zentrum des Interesses. Das vom ehemaligen Novartis-Pharmachef David Epstein geleitet Unternehmen hat bereits mehrere Medikamente dieser Wirkstoffklasse auf dem Markt, etwa Padcev, ein Medikament gegen Blasenkrebs. Zudem sitzt es auf einer bedeutenden Pipeline. «Wir kaufen nicht die goldenen Eier», sagte Albert Bourla. «Wir kaufen die Gans, welche die goldenen Eier legt.» Und klar ist auch: Pfizer steht nach dem absehbaren Wegfall der Covid-19-Umsätze – das Unternehmen hat neben dem Impfstoff mit Paxlovid auch eines der wichtigsten antiviralen Medikamente zur Behandlung von Corona auf dem Markt – unter Druck. Covid-19 liess am Hauptsitz von Pfizer in New York die Kassen klingeln, nun muss das Unternehmen schauen, dass ihm die Investoren den Wegfall der unverhofften Milliardenumsätzen nicht allzu übel nehmen. Roche dagegen hat aktuell Zeit kein weiteres ADC-Molekül in der klinischen Entwicklung. Auf Anfrage hält das Unternehmen aber fest, dass «es uns ein grosses Anliegen ist, die ADC-Technologie weiterzuentwickeln». So sei die zwanzigjährige Arbeit an ADC Grundlage für die aktuellen Bemühungen in der frühen Forschung und Entwicklung von Genentech (gRED), zielgerichtete Therapien zu entwickeln. Zudem arbeitet Roche daran, die bereits zugelassenen ADC-Therapien weiterzuentwickeln. So wird Kadcyla zurzeit in einer Kombinationsstudie mit dem Immunonkologietherapeutikum Tecentriq getestet, bei Polivy wird die Wirkung gegen verschiedene Blutkrebsarten in Kombination mit anderen Wirkstoffen untersucht. 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