In den 20er Jahren gehörte die Carrosserie Hess mit formvollendeten handgefertigten Karossen für Limousinen und Sportwagen zum Spitzensegment des Automobilsalon in Genf. «Eine Limousine lieferten wir 1932 der Solothurner Regierung», erinnert Geschäftsführer Alex Naef an vergangene Glanzlichter. Heute sind die Produkte von Hess am Autosalon erst auf den zweiten Blick zu erkennen: «Die meisten grossen Autobauer verkaufen spezielle Kleinbusausbauten und -aufbauten aus unserer Werkstatt», sagt Naef. Etwa 100 Kleinbusse werden pro Jahr gebaut, ein Fünftel der in der Schweiz ausgebauten Kleinbusse.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Unübersehbar ist hingegen vor den Toren des Salons das «Light Tram» der Genfer Verkehrsbetriebe: 24,7 m lang ist die jüngste Entwicklung von Hess, ein Trolleybus mit 170 bis 200 Plätzen. «Dank der guten Erfahrungen gerade auf der stark frequentierten Verbindung Hauptbahnhof-Palexpo bestellt Genf weitere zehn Stück.» «Light Tram», leichtes Tram, heisst der Tatzelwurm mit zwei Gelenken, weil Länge und Transportkapazität genau zwischen den Werten eines Trams und denjenigen von Gelenkbussen liegt, jedoch zu wesentlich günstigeren Investionskosten. Tiefe Kosten über den ganzen Lebenszyklus des Investitionsgutes zählen heute mehr denn je, so Alex Naef. Und der Firmenchef fügt an: «Wir wollen die Besten sein, aber nicht die günstigsten.»

Patentiertes Gerippe

Dank der vier Tochterfirmen in der ganzen Schweiz sei Hess überall nahe bei den Kunden. Trotz des einheitlichen Swisstrolley seien die Geschmäcker und Anforderungen je nach Transportunternehmen unterschiedlich. Wichtiger Faktor für günstige Unterhaltskosten und lange Lebensdauer ist das Gerippe aus den patentierten Aluminium-Spezialprofilen des Systems «Co-Bolt». Drei Vorteile nennt Naef: Aluminium ist leicht und rostfrei, also langlebig, sicher und doch wartungsfreundlich. Zudem ermöglichen die verklebten Schraubverbindungen ein echtes Baukastensystem und ein rasches Auswechseln beschädigter Teile; Schrauben statt Schweissen verhindert das Verziehen oder die allzu starke Abnutzung etwa durch Witterungseinflüsse. Dazu ein Beispiel: Kürzlich haben die Transport Public du Littoral Neuenburg ihre zehn 21-jährigen Alubussse überholt und angepasst. Diese Überholung habe weniger als 15% des Neuwertes eines Busses gekostet, erlaube aber den Betreib von mindestens zehn weiteren Jahren, sagt Naef.

In Lizenz gebaut rundum die Welt im Einsatz

Inzwischen bauen weltweit Hersteller nach dem so genannten Co-Bolt-System der Schweizer Firma. Im Inland ist Hess mit 60 bis 70 Bussen aus Bellach jährlich einziger Hersteller. Weit grösser ist die Konkurrenz aus dem Ausland, wurden doch 2004 insgesamt 404 Linienbusse im öffentlichen Verkehr (öV) der Schweiz neu eingesetzt. In Lizenz wurden 2004 von Australien bis in die USA über 1800 Busse nach dem System Co-Bolt gebaut. Angst vor Kopien hat Naef nicht. «Wir behalten die technische Führung. Ein Antrieb ist die sehr fordernde Schweizer Kundschaft, ein zweiter das Know-how-Team, bestehend aus 20 international erfahrenen Leuten in den Bereichen Konstruktion, Technik und Entwicklung in Bellach, aber auch die Erkenntnisse der eigenen Werkstatt und der Reparaturabteilungen. «Neue Lösungen werden mit den Lizenznehmern geteilt», erklärt Naef. Das stärke deren Marktstellung. So konnten kürzlich sogar in der deutschen Autometropole Wolfsburg (Stammhaus VW) Busse verkauft werden. Ein bedeutender Lizenznehmer ist auch der weltweit tätige Hersteller von Flughafenbussen, Salvador Caetano in Portugal.

Kostengünstige Anhänger

Der Wandel im öffentlichen Verkehr widerspiegelt sich in der Nachfrage bei Hess. Zum einen finden Bus-Züge wieder Anklang. Lange Jahre pflegten nur Zuger, Lausanner und Luzerner den Anhänger an den (Trolley-)Bus. Seit kurzem fahren auch die Österreichische Postbus AG wie auch zwei Verkehrsbetriebe in Deutschland wieder mit Anhänger. Der Vorteil: Gegenüber einem gewöhnlichen 12-m-Bus bedeutet dies fast eine Verdoppelung der Kapazität ohne Personalmehrkosten.

Generell bleibt der öffentliche Verkehr ein Wachstumsmarkt, ist Alex Naef überzeugt, auch wenn sich die Nachfrage nach dem grossen Fahrplanwechsel («Bahn 2000») wieder etwas beruhigen dürfte.Doch bestehe bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben nach wie vor einen gewisser Nachfragestau nach emissionsfreien Fahrzeugen, zu denen auch der Trolleybus gehört.

Vernunftlösungen

Da das patentierte Konstruktionssystem der Firma Hess die Herstellung unterschiedlichster Fahrzeuggrössen in Kombination mit verschiedenen Anstriebstechniken erlaubt, rechnet Naef mit weiterem Wachstum. Sowohl Elektro-, Gas- oder Dieselantrieb lassen sich einbauen. Basis bei Letzteren ist in der Schweiz zumeist ein Chassis mit einem Motor von Scania. 6- oder 9-Liter-Motoren genügen, um bis zu 195 Personen zu transportieren. Das ist etwas mehr Hubraum, als andernorts in grossen Geländewagen für den Transport von meist nur einer Person eingesetzt wird.

Name: Carrosserie Hess AG, Bielstrasse 7, 4512 Bellach

Gründung: 1882

Besitzer: Familie Hess

Geschäftsleitung: Alex Naef, Heinrich Naef, Verwaltungsratspräsident

Umsatz: 60 Mio Fr.

Beschäftigte: 260

Produkte: Trolleybusse, Dieselbusse, Flughafenbusse sowie Spezialanfertigungen

Kunden: Öffentliche Transportunternehmen, Flughafenbetreiber, Transporteure und Busunternehmen

Internet: www.hess-ag.ch