Bisher war der Fall klar: Ein Detailhändler bestellt beim Hersteller die benötigte Ware und der liefert, fertig kommissioniert und «just in time». Doch ist das der Weisheit letzter Schluss? «Nein», sagt Georg Burkhardt, Leiter Supply-Chain-Projekte bei Manor. «Wir waren mit der Situation nicht zufrieden; Direktlieferungen an unsere Warenhäuser gemischt mit Lagerlieferungen ergaben hohe Logistikkosten und ein aufwendiges Handling am Verkaufspunkt. Deshalb haben wir stets nach Optimierungen gesucht.»

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Crossdocking beispielsweise. Doch dieser Ansatz, so Burkhardt, habe sich wegen zu kleinen Mengen im Bereich Konsumkosmetik als unwirtschaftlich erwiesen. Deshalb ist der gesamte Lieferprozess mit einem neuen ECR-Ansatz untersucht und beurteilt worden. Fündig geworden sind Manor und ihr Partner bei einem lieferantengesteuerten Warenbestandsmanagement namens VMI. Die Buchstaben VMI stehen für «Vendor Managed Inventory» und bedeuten, dass der Hersteller die Bestellungen für den Handel generiert und damit dessen Bestand verwaltet. Eine gewagte Sache, denn das setzt voraus, dass Absatzmittler ihren Zulieferern Einblick in Category-Daten ermöglichen. Und eine solche Offenheit fällt nicht allen leicht. Bisher jedenfalls nicht. «Alles halb so wild», winkt Manor-Mann Burkhardt ab, «der Lieferant erhält nur den täglichen Lagerbestand der Verteilzentrale und zudem werden die Spielregeln gemeinsam festgelegt.»

Komplette Warenkontrolle

Mit den Partnern Beiersdorf, Henkel und L'Oréal hat Manor VMI im Bereich Konsumkosmetik 1:1 in die Praxis umgesetzt. Mit Konsumkosmetik verarbeitet der Warenhauskonzern immerhin täglich rund 7000 Kommissionierpositionen von etwa 30 Lieferanten. Von den betroffenen 1700 Artikeln wurden 900 in das VMI-Projekt einbezogen. Ziel war, dass ein einziger Behälter pro Tag für die gesamte Warengruppe Konsumkosmetik an das Warenhaus geliefert wird. Mit einer solchen kompletten Warenkontrolle sollten «Out of Stock»-Situationen also Lücken in der Distribution minimiert und Umsatzsteigerungen sowie in der Folge «marktgerechte» Logistikkosten erzielt werden.

Auch seitens der Lieferanten war die Ausgangslage nicht zufriedenstellend: Tägliche Detailkommissionierung für die 70 Manor-Warenhäuser, lange Lieferfristen von mehr als vier Tagen, «Out of Stock» am Verkaufspunkt. «Das alles führte zu hohen Bearbeitungs- und Kostenaufwendungen und war damit verbesserungswürdig», sagt Erhard Schöpfer, Finanzdirektor bei Beiersdorf. Ziele seitens der Lieferanten waren entsprechend Optimierungen bei Warenflüssen und Lagerbeständen, eine Erhöhung der Warenverfügbarkeit, marktgerechte Logistikkosten sowie die Entwicklung der bisherigen Kundenbeziehung zu einer Partnerschaft.

Manor hat vom Juni bis Oktober 2002 auf VMI umgestellt. «Drei bis sechs Monate braucht ein Händler schon, bis so was läuft», urteilt Burkhardt. Die Investitionen halten sich für den Handel im Rahmen; Initialinvestitionen fallen nur einmal für alle Lieferanten an, dann sollte VMI-fähiges Lager vorausgesetzt die Sache laufen (siehe Kasten «So funktioniert VMI»). Die Lieferanten haben dagegen mit höheren Investitionen zu rechnen, weil grundsätzlich sie das Instrument implementieren müssen von der anfänglichen Mehrarbeit ganz zu schweigen. Erst dann kann Einsparpotenzial realisiert werden. «Unsere Investitionen erfolgten im Bereich einer spezifischen Software, der Gestaltung der elektronischen Prozesse in Form von Manpower und der laufenden täglichen Disposition im Bereich von durchschnittlich etwa zwei Manntagen im Monat netto», schildert Schöpfer die Situation von Beiersdorf. Für kleinere und mittelgrosse Lieferanten können die Projektinvestitionen jedoch sehr schnell einmal die Schmerzgrenze erreichen.

Was hats gebracht?

Was hat es bisher gebracht? Manor hüllt sich in Schweigen, was konkrete Zahlen anbelangt, «aber die Einsparung kann über den Wegfall der Handelsdisposition und die Verminderung der Einräumkosten am POS jeder selber rechnen», lässt Georg Burkhardt vielsagend durchblicken. Und seitens der Industrie? Erhard Schöpfer: «Mit VMI investieren wir als Lieferant, um Nutzen in Form von optimaler Verfügbarkeit der Produkte am POS für den Konsumenten zu erreichen, womit sich isoliert betrachtet sowohl für den Lieferanten und den Händler höhere Umsätze ergeben werden. Quantifizieren kann ich das jedoch nicht.»

«Ob damit Umsatzsteigerungen zu erzielen sind, ist noch zu beweisen», schränkt Manor-Projektleiter Burkhardt ein. Und doch lassen sich die Vorteile von VMI sehen: Kein Reservelager im Verteilzentrum Handel; nur eine Disposition für Lieferant und Handel sowie optimale Versorgung ab Verteilzentrum für den Verkaufspunkt (siehe «Prozessbausteine»). Für Erhard Schöpfer sind kausale Umsatzsteigerungen zum Markt auf Grund von VMI nicht nachweisbar, «da viele Aspekte wie laufend ändernde Sortimente, Preisveränderungen, Wettbewerbs- und Marktveränderungen und nicht zuletzt konjunkturelles Umfeld inklusive Konsumentenstimmung den Absatz und Umsatz beeinflussen». Die Ergebnisse von VMI hier zu isolieren, sei schlicht nicht möglich. Schöpfer: «Jedoch kann man feststellen, dass über die Lieferbereitschaft von über 98% die Verfügbarkeit der Produkte am POS zugenommen hat.»

Immerhin: Auch seitens Beiersdorf, Henkel und L'Oréal erfolgt eine positive Einschätzung (siehe «Das hats gebracht»). Schöpfer: «Es ist uns gelungen, die Prozesse also Detailkonzept der Prozessbeschreibungen aller drei Partner im Verkehr mit Manor praktisch identisch zu gestalten, was mit der Philosophie des höchstmöglichen Standards bzw. dem kleinsten gemeinsamen Nenner in der Natur der Sache liegt.» Nach wie vor unterscheiden sich die Partner jedoch in den internen Prozessen.

Multiplizierung angestrebt

Das ECR-Projekt VMI mit Manor ist abgeschlossen. Für Erhard Schöpfer ist aber jetzt schon klar: «Wir werden in weiteren Projekten zusätzliche Einsparpotenziale im elektronischen Austausch von Daten realisieren und streben zudem eine gemeinsame Multiplizierung von VMI mit weiteren Handelspartnern an.» Konkret soll das standardisierte Vorgehen mehrerer Lieferanten mit einem Handelspartner vorangetrieben werden. Dass dies Sinn macht, bestätigt auch Georg Burkhardt: «Die weitere VMI-Verbreitung kann für Basisartikel nur empfohlen werden.»



Nachgefragt: Erhard Schöpfer

Mögliche Wettbewerbsvorteile tendieren gegen Null

Erhard Schöpfer, Finance Director von BDF Beiersdorf, über «Vendor Managed Inventory» und dessen Möglichkeit, einer Nachfragemacht des Handels Paroli zu bieten.

Ich habe das Gefühl, dass der Handel schlicht Arbeit an die Lieferanten ausgelagert hat, also einen grösseren Nutzen aus VMI zieht. Ist an dieser Einschätzung was dran? Die Umsetzung der ECR-Massnahmen muss ganzheitlich zu einer Win-Win-Situation der Partner führen. Bei VMI übernehmen wir Aufgaben des Handels, profitieren aber dann alle gemeinsam von der Optimierung der Warenbestände zwischen den verschiedenen Kundenlagern und unserem Lager, was zu höherer Verfügbarkeit der Ware am Point of Sales führt.

Allgemein gesprochen: Die Partnerschaft mit Mitbewerbern ist intensiviert worden. Das könnte dazu führen, dass sich die Lieferanten auch bei den Konditionen und Preisen sowie der Produktpolitik austauschen könnten, um einer allfälligen Nachfragemacht des Handels entgegenzuwirken. Diese Gefahr besteht doch? Nein. Wir haben in diesem Projekt im Bereiche der Supply Chain und des EDI offen und transparent sehr partnerschaftlich zusammengearbeitet. In diesem Bereich tendieren die Wettbewerbsvorteile gegen Null, womit hier keine wettbewerbsverzerrenden Aspekte geschaffen werden. Im Bereich der Produkte, der Preise und Konditionen herrscht jedoch ganz klar Wettbewerb, eine diesbezügliche Abstimmung kann nicht im Interesse der Konsumenten und damit der Lieferanten sein.



Vendor Managed Inventory

So funktioniert VMI

Beim «Vendor Managed Inventory» erhält der Hersteller direkt aus der Verteilzentrale des Händlers die Abverkaufsdaten respektive Bestandsdaten. Mit der Technik wird deutlich, dass die Bewirtschaftung des Distributionszentrums optimalerweise beim Hersteller und nicht mehr beim Händler liegt. Der Handel wird dies allerdings nur dann tolerieren, wenn für ihn mit absoluter Sicherheit feststeht, dass die Hersteller über geeignete Prognoseverfahren verfügen, um die Planabverkaufsmengen möglichst präzise zu bestimmen. Im Gegenzug zur Übermittlung relevanter Lagerdaten wird man eine stärkere Einbindung in die Konzeption und Systematik der Hersteller-Prognosetechniken fordern. Voraussetzung für eine derartige Aufgabenumverteilung ist somit ein perfekt funktionierender Informationsaustausch. Das Handelsunternehmen kann sich dann verstärkt auf die Aktivitäten am Verkaufspunkt konzentrieren (beispielsweise auf die Implementierung ausgefeilter Service- und Kundenbindungsmassnahmen) und der Hersteller seine Produktion entsprechend der zu erwartenden Abverkaufsmengen ausrichten (synchronisierte Produktion, gekoppelt mit Just-in-Time-Belieferung).

Die Prozessbausteine

Lieferanten Verteilzentrale Handel Warenhäuser

Reservelagerhaltung Optimierung Lager/Organisation Tägliches Einräumen

Disposition VMI EDI, Rahmenbedingungen Automatische Nachbestellung

Auffüllung Verteilzentrale Filialkommissionierung

EDI Transport in Mehrwegboxen

Das hats gebracht

Nutzen Handel Nutzen Lieferanten

Prozesse Basisartikel gut Mitbewerberübergreifende effiziente Supply Chain

Optimierung bei neuen und auslaufenden Artikeln Reduzierte Kosten Supply Chain

Einheitliche Belieferung erreicht Fortschrittliche und gemeinsame SOP* für Händler und Mitbewerber

Minimale Aufwände in Warenhäusern Optimierung der Warenverfügbarkeit POS

Geplante Logistikkosten eingehalten Lagerbestandsenkung

EDI-Verbindungen reduzieren manuelle Eingriffe Generalisierung und Intensivierung der Partnerschaften

Abbau der Lagerbestände in den Warenhäusern

*SOP heisst «Standard Operation Procedere», also Detailkonzept der Prozessbeschreibungen und -regelungen.



Das Fachwort

Crossdocking

Bei dieser Distributionstechnik der ECR-Basisstrategie Efficient Replenishment werden statt seltener grosser, mit langem Vorlauf bestellter Lieferungen häufige kleine Lieferungen mit entsprechendem kurzem Vorlauf bezogen. Das Besondere an Crossdocking ist, dass die im Zentrallager des Handels angelieferten Güter nicht mehr eingelagert, sondern direkt nach Eingang filialgerecht kommissioniert und ausgeliefert werden. Folglich reduzieren sich damit Lagerbestand und in einem zweiten Schritt die Kapitalbindungskosten.