Was ist ein guter Unternehmer? Im besten Fall ist es jemand, der selbstständig und auf eigenes Risiko dafür sorgt, dass Visionen umgesetzt werden und die nötigen Ressourcen dazu bereitstehen. Gemäss dieser Definition ist die Künstlersymbiose Christo und Jeanne-Claude ein Vorzeigebeispiel für erfolgreiches Unternehmertum.

Das wohl bekannteste lebende Künstlerpaar plant zum Teil jahrzehntelang völlig irrationale und noch nie gesehene Textil-Projekte, deren Umsetzung innert kürzester Zeit mehrere Dutzend Millionen kostet und die nach wenigen Tagen Bestand wieder restlos entfernt werden.

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Die Arbeitsteilung der beiden ist schnell erklärt: Das perfekt eingespielte Team macht alles gemeinsam ausser den Zeichnungen, für die er allein zuständig ist. Doch während andere Künstler ausschliesslich Werke produzieren und diese zu verkaufen trachten, ist für Christo und Jeanne-Claude das Zeichnen und der Verkauf der Originale nur ein einzelner Aspekt ihrer Kunst.

Mindestens so wichtig ist das Realisieren der oft utopisch anmutenden Projekte und das Überwinden sämtlicher damit verbundenen Hindernisse. «Die Bewilligungen zu bekommen, ist der weitaus komplizierteste Teil unserer Kunst», sagt Christo. Bis im Central Park die 7503 Tore, The Gates, 2005 für genau 16 Tage zu besichtigen waren, vergingen 26 Jahre der Planung und der behördlichen Hürdenläufe.

Auch um 1995 den Reichstag in Berlin für 14 Tage verhüllen zu können, dauerte der Vorlauf 24 Jahre. «Dabei arbeitet Christo im Schnitt 17 Stunden täglich, ohne freie Wochenenden, bei mir sind es nur noch 14 Stunden», kokettieren die Workaholics.

Mutter und Töchter

Als eine Art Holdingmutter haben sie in den 70er Jahren die CVJ Corporation gegründet. CVJ steht für Christo Vladimirov Javacheff, wie Christo mit bürgerlichem Namen heisst. Präsidentin und Finanzchefin dieser Gesellschaft ist Jeanne-Claude, neben einem Anwalt einziger Kader ist Christo, der als «assistant secretary einen Lohn von 25000 Dollar bezieht vor Steuern», wie Jeanne-Claude lacht.

Diese CVJ Corporation steuert das gesamte Unternehmen, vergibt sämtliche Aufträge, von Umweltverträglichkeitsberichten über Ingenieursarbeiten, Erstellung von Plänen, Karten, Luftaufnahmen, und gründet jeweils befristete Tochterunternehmen, die die einzelnen Projekte umsetzen. CVJ verkauft auch die Christo-Originale an Museen, Sammler und Galerien, das heisst, die beiden sind ihre eigenen Kunsthändler. Und sie kauft im grösseren Stil frühere Werke auf dem freien Markt wieder zurück. «Aber nur, wenn es Schnäppchen sind», behauptet Christo.

Das ganze «Unternehmen Christo» besteht im Kern aus «sieben oder acht» Freunden und Familienmitgliedern. «Kollaborateure» nennt sie Wolfgang Volz, der seit 1971 mit Christo und Jeanne-Claude arbeitet und exklusiv für die Fotografie der Kunstprojekte verantwortlich ist.

Doch als Mitglied des engsten Zirkels muss Volz mehr können als Bilder schiessen: Beim Projekt Verhüllter Reichstag in Berlin oblag ihm als technischem Geschäftsführer die gesamte Organisationsarbeit, da die CVJ-Corporation als amerikanische Firma in Deutschland nicht einfach Aufträge vergeben und Leute rekrutieren konnte. «Christo und Jeanne Claude haben mir Zeichnungen gezeigt und gesagt: Mach mal!», erzählt Volz.

Also tat er. Von der Lobbyarbeit bei 350 Bundestagsabgeordneten, den öffentlichen Ausschreibungen und der Beschaffung von 100000 m2 zu Bahnen vernähtem Gewebe über die Erstellung einer 800-seitigen Baueingabe bis zur Suche nach insgesamt 1800 Fachleuten und Helfern alles wurde von der deutschen CVJ-Tochter organisiert.

Für die Umsetzung von The Gates delegierten die Künstler die Knochenarbeit ebenso, nur war da ein befreundetes US-Ehepaar engagiert. «Unter anderem mussten 5000 Tonnen Stahl organisiert und verarbeitet werden das entspricht zwei Dritteln der Menge des Eiffelturms», illustriert Jeanne-Claude.

Finanziell völlig unabhängig

Und wo waren die Chefs? «Christo und Jeanne-Claude haben die Aufgabe, das Geld aufzubringen und Bilder zu verkaufen. Klar kommen sie regelmässig zu Ortsbesuchen in den Wochen vor der Realisierung eines Projektes produziert er aber hektisch wie ein Wilder», weiss Volz.

Denn zur Deckung sämtlicher Kosten im Falle der Gates 21 Mio Dollar, beim Reichstag 16 Mio dienen einzig die verkauften Modelle, Collagen und Zeichnungen. Wohl sichern sie ihre Risiken durch Bankkredite ab, um den kurzfristig anfallenden horrenden Geldbedarf decken zu können. «Bei den 1991 hatten wir jeden Tag Lohnkosten von 250000 Dollar für die 2000 Arbeiter», erzählt Jeanne-Claude. Doch müssen sie diese Kredite selten beanspruchen, da ihr Finanzmanagement offenbar tadellos funktioniert, obwohl sie keine Subventionen, Spenden oder sonstigen Zuwendungen annehmen, weder Eintrittsgelder verlangen noch eine kommerzielle Vermarktung zu ihren Gunsten akzeptieren. «Wir haben noch nie einen Franken für Poster, Postkarten, Bücher, Filme und andere Nachverwertungen erhalten», beteuern sie.

«Die machen das nicht, um Geld zu verdienen, und wohnen genauso wie vor 40 Jahren in ihrer ersten Wohnung im 4. Stock in SoHo in den von Christo zum Teil selbst gebastelten Möbeln», bestätigt Insider Volz.

Arm sind sie selbstverständlich nicht. Doch sie könnten mit ihrer Kunst mehr als reich werden. Da jedoch das «Unternehmen Christo» eher auf die Umsetzung von Visionen als auf Gewinnmaximierung fixiert ist, verzichteten sie auch auf das Angebot, 50 der 7503 Gates aus dem Central Park für 20 Mio Dollar zu verkaufen. «Wir hätten sie auch für 20 Milliarden nicht verkauft», versichert Jeanne-Claude.

Das Material wurde schliesslich wie bei den vorangegangenen Projekten auch recycled. «Und da die Stahlpreise seit dem Einkauf massiv gestiegen waren, bekamen wir von der Recyclingfirma noch einen schönen Scheck zurück», schmunzelt Jeanne-Claude.

Christo & Jeanne-Claudes

Führungsprinzipien

1. Das Erreichen des gesteckten Ziels hat oberste Priorität.

2. Die Leistung jedes daran Beteiligten wird voll anerkannt.

3. Immer auf das Gegenüber und seine Bedürfnisse eingehen.

4. Probleme sind dazu da, gelöst zu werden.

Zu den Personen

Christo Vladimirov Javacheff und seine spätere Frau Jeanne-Claude, geborene Denat de Guillebon, werden beide am 13. Juni 1935 geboren. Er in Gabrovo, Bulgarien, in einer Industriellenfamilie, sie als Tochter eines französischen Generals in Casablanca, Marokko. 1958 lernen sie sich in Paris kennen. 1960 wird Sohn Cyril geboren. Seit 1964 Wohnsitz in New York.

www.christojeanneclaude.net



Geringe Risikobereitschaft: Die Künstler und die Banken

Aus Anlass ihres 150-jährigen Bestehens hat die Credit Suisse Christo und Jeanne-Claude eingeladen und organisiert vom 18. März bis 2. April auf dem Zürcher Bellevueplatz die «Weltpremiere der Dokumentationsausstellung» zum abgeschlossenen Projekt The Gates plus eine integrierte Verkaufsausstellung für das geplante Projekt Over The River im US-Staat Colorado, bei dem 11,3 km des Arkansas River 2009 mit Stoffbahnen überdeckt werden sollen.

Eine Gage für ihr Zutun zum CS-Jubiläum erhalten die Künstler nach Aussage der CS nicht; jedoch stellt die Bank den beiden für ihr neues Projekt «eine Kreditlinie zu marktüblichen Konditionen» zur Verfügung.

Was offenbar auch für Künstler dieses Kalibers nicht selbstverständlich ist: «Mindestens neun Banken haben unsere Anfrage für das Gates-Projekt abgelehnt», wundert sich Christo, «auch die UBS zeigte kein Interesse an Christo-Werken als Sicherheit, obwohl alle in Basel lagern.» «Selbst die Deutsche Bank sagte nein, obschon sie für die Zurverfügungstellung des Kredites beim Verhüllten Reichstag zuvor allein 2239000 Dollar Zins erhalten hat», ergänzt Jeanne-Claude. Und die CityBank, die Hausbank der beiden Künstler, wollte The Gates oder Over the River ebenfalls nicht absichern ohne Aktien- und Immobiliensicherheiten, über die die beiden jedoch nicht verfügen.

Deshalb hoffen die beiden über 70-Jährigen jetzt bei der CS auf eine längerfristige Verbindung. Schon die CS-Tochter Bank Leu hatte 2004 für das Gates-Projekt im Central Park einen Betriebskredit gesprochen, der im Endeffekt aber nicht in Anspruch genommen werden musste. Und genauso wie die Bank Leu damals, plant auch die CS nun «ein strukturiertes Christo-Produkt», mit dem sich interessierte Kunden am Risiko beteiligen können.