Was Daniel Grieder bei Hugo Boss vorhat

Sie können losgehen, die Grieder-Festspiele im schwäbischen Metzingen. Alles ist bereit: Die Dienstwohnung ist bezogen, der Tarif durchgegeben, die Helfershelfer im Management installiert. Ein Jahr nach seiner Ernennung beginnt der Schweizer Mode-Messias Daniel Grieder am 1. Juni offiziell seine Mission bei der deutschen Anzug-Ikone Hugo Boss. Grieders Auftrag ist simpel: Er muss und will die angestaubte Marke Hugo Boss revitalisieren, verjüngen, feminisieren – und vor allem grösser machen. Eben erst hat sich der 59-jährige Grieder im «Manager-Magazin» selbst die Messlatte für seine Amtszeit von fünf Jahren gesetzt: auf 5 Milliarden Euro. Also hoch, sehr hoch sogar. In den sechs Jahren zwischen 2014 und 2019 bewegten sich die Verkaufserlöse von Hugo Boss kaum. Mal lag der Umsatz bei 2,5 Milliarden, mal bei 2,7 Milliarden, im Höhepunkt bei 2,8 Milliarden Euro. 2020 dann der grosse Einbruch: Der Umsatz fiel um ein Drittel auf noch 1,9 Milliarden (siehe Grafik unten). Unterm Strich standen rote Zahlen. Und in fünf Jahren sollen es 5 Milliarden sein? Machbar, glaubt Grieder: «Es gibt keinen Grund, dass Hugo Boss weniger umsetzen kann als Tommy Hilfiger», gibt sich er gegenüber dem «Manager-Magazin» ambitioniert. Der Vergleich mit der US-Marke Hilfiger ist vor allem ein Selbstansporn. Schliesslich war es Grieder, der als Chef von Hilfiger an Hugo Boss vorbei gezogen ist. Ähnliches will er nun wieder schaffen. Aber es ist ein weiter Weg, wie es ein Männermode-Kenner, der mit Grieder seit Jahren bekannt ist, formuliert: «Daniel kann fast alles, vielleicht ist er sogar der Beste. Aber mit der Ansage von 5 Milliarden Euro ist er zu weit gegangen. Das schafft selbst er nicht in fünf Jahren, nicht mit Hugo Boss, nicht in Zeiten, in denen selbst gestandene Manager kaum mehr Anzüge tragen.» Doch von Bedenkenträgern will man in der schwäbischen Kleinstadt Metzingen derzeit nichts hören. Es herrscht Aufbruchsstimmung. «Jeder hat ein Jahr verloren», sagt Grieder. «Optimaler kann das Timing für meinen Start kaum sein.» Das glauben auch die Aktionäre von Hugo Boss: Trotz den miserablen Jahreszahlen steigt der Aktienkurs seit dem Tief im vergangenem Oktober eigentlich nur noch. Das Plus liegt bei über 230 Prozent. Es ist der Grieder-Effekt. Nie zuvor wurde ein Schweizer Manager bei einem ausländischen Unternehmen derart sehnlichst erwartet wie Grieder bei Hugo Boss. Im schwäbischen Metzingen ruhen alle Hoffnungen auf eine glorreiche Zukunft auf dem Erlöser aus der Schweiz. Dass Grieder gern mit einem schwarzen Cabrio von Mercedes-AMG unterwegs ist, unterstützt sein Standing im Schwabenland ähnlich stark wie sein starkes Palmares bei Hilfiger. Wer, wenn nicht Grieder, kann Deutschlands einzigem Schneider von Weltrang wieder Glanz verleihen? Die Neuerfindung des Anzugs Fragt sich nur wie er das anstellen will. Natürlich lässt sich Grieder nicht in die Karten blicken. Aber seine Agenda hat er längst geschrieben, im Lockdown in seinem Haus hoch über dem Zürichsee. Klar ist: Ein Element seiner Strategie muss die Neuerfindung des Anzugs umfassen. Früher war dieser das Herzstück jeder Männergarderobe, heute sind es Sneaker, Hoodie und T-Shirt. Doch Grieder trägt die Zukunft des Anzugs bereits: Als er vor rund einem Monat seine Dienstwohnung in Metzingen bezogen hatte, tat er es in einer speziellen Hose, einem Prototypen – bügelfrei, strapazierfähig, wasserfest. Aus einem Stoff, den Hugo Boss selbst ersonnen und gefertigt hat. Es ist seine Vision für den Anzug der Generation Z: Startup- und Fixie-tauglich. Und sonst? Hugo Boss muss, so sind sich Branchenbeobachter einig, wieder sichtbarer werden, lauter, sinnlicher. Cool statt kühl, muss die Devise heissen. «Es gab Zeiten», schreibt das Fachblatt «Textilwirtschaft», «da standen die Leute Schlage vor dem Boss-Stand auf der Pitti», der Mailänder Herrenmode-Messe. «Doch das ist vorbei.» Die Kernmarke Boss sei zuletzt «zu wenig sinnlich, vorhersehbar, langweilig und technisch gewesen», bemängeln Kritiker. Irgendwie glatt, wie ein 08/15-Anzug für den Büro-Alltag. Irgendwie glatt, wie die Markenbotschafter Chris Hemsworth (siehe unten) und Caro Daur. Die Hollywood-Grösse und die Influencerin sind schön und erfolgreich, wirken aber gegenüber den kantigen Persönlichkeiten wie Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton und Schauspielerin Zendaya, die Grieder für Hilfiger engagierte, wie aus einer anderen Zeit. Tattoo und Bart können Haltung nicht ersetzen. Hugo Boss brauche, so Grieder, «neue Relevanz». Ein grosses Wort, das er nun mit Bedeutung füllen muss. Ansonsten zeigt schon ein flüchtiger Blick darauf, wo und wie Hugo Boss seine Produkte verkauft, an welchen Stellschrauben Grieder neben Produkt und Positionierung drehen muss. Boss ist im kauffreudigen Asien zu wenig präsent, hat es trotz jahrelangen Bemühungen und hohem Mitteleinsatz nicht geschafft, für Frauen relevant zu werden und hat in Sachen E-Commerce noch viel Luft nach oben. Selbst in der zuletzt vernachlässigten Zweitmarke Hugo steckt Potenzial (siehe Grafik unten). Die gute Nachricht: Grieder kann digital und er hat es geschafft, aus der ebenfalls männerlastigen Marke Tommy Hilfiger einen Brand zu machen, der rund 40 Prozent des Umsatzes mit Damenmode macht. Die schlechte Nachricht: Auch Tommy Hilfiger verfügt in Asien nicht über eine Präsenz, die der Bedeutung der Märkte angemessen wäre. Toto Wolff, Chef des Formel-1-Teams von Mercedes-AMG und ein Freund von Grieder, sagt über ihn im «Manager-Magazin»: «Daniel hat den Style eines Italieners, die Präzision eines Schweizers und das kaufmännische Talent eines Schwaben. Und eine Handschlagqualität, die man heute nur noch selten findet.» Was er damit meint, erzählt Wolff in einer Anekdote, die viel über das Mindset von Grieder aussagt: «Lewis Hamilton wollte vor fünf Jahren eine eigene Modekollektion machen, aber der Chef von unserem damaligen Sponsor Hugo Boss wollte keine Hamilton-Kollektion», sagt er. «Nach nur einem Telefonat mit Daniel stand der Deal mit Hilfiger.» Grieder, der Macher. Der Macher, dem man selbst so abgedroschene Aussagen wie «das Unmögliche möglich machen» abnimmt, weil er selbst felsenfest an sie glaubt. Neben dem Italiener, dem Schweizer und dem Deutschen ist Grieder eben auch ein bisschen Amerikaner; schliesslich kam er in Washington D.C. zur Welt. Der Deal seines Lebens Die Renaissance von Hugo Boss wird Daniel Grieders Pièce de Résistance. Scheitert er, besudelt er seinen bislang fast makellosen Ruf. Reüssiert er, macht er den Deal seines Lebens – bezüglich Reputation und bezüglich seiner finanziellen Unabhängigkeit. Nicht nur, weil der Boss-Aufsichtsrat unter Hermann Waldemer die Gehaltsobergrenze für Grieder auf 11 Millionen Euro kräftigt nach oben geschraubt hat. Sondern weil ihm der italienische Marzotto-Clan (mehr zu dieser Mode-Dynastie lesen Sie hier) ein Aktienpaket mitfinanziert, das es Grieder erlaubt, vor dem Ruhestand noch «spektakulär gut zu verdienen», wie es das «Manager-Magazin» formuliert. Für die Marzottos, die 15 Prozent der Boss-Aktien halten, ist das Investment in Hugo Boss bislang ein Millionengrab. Grieder will aus dem Grab eine Grube machen, eine Goldgrube. Auch für sich. Um Geld aber kann sich Daniel Grieder vorerst nicht kümmern. Er muss sich ganz auf seine Mission konzentrieren. Die Mission, Hugo Boss wieder zu einer lebendigen und begehrten Weltmarke zu machen. Schon im Juli will er seinem Aufsichtsrat darlegen, wie er das hinbekommen will. Präzis wie ein Schweizer – und schnell wie ein Schweizer in einem schwäbischen AMG-Geschoss.

Was Daniel Grieder bei Hugo Boss vorhat

Daniel Grieder: Messias auf Mode-Mission