Wie beurteilen Sie derzeit die Situation an den Finanzmärkten?

Daniel S. Aegerter: Nichts ist billig. Trotzdem sind die Aktien und Firmen nicht wirklich teuer. Während in den USA die Unternehmensgewinne im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt auf ein 40-Jahres-Hoch gestiegen sind, scheinen mir die Bewertungen in Europa vernünftiger.

Aber in Europa sehen Sie für die Anleger Potenzial?

Aegerter: Europa war für Investoren billiger und ist gegenüber den USA stark gestiegen, aber aufgrund der Politik und der regulatorischen Rahmenbedingungen nicht unproblematisch. Dennoch dürfte Europa auch in den nächsten Jahren aus Anlegersicht besser als die USA abschneiden. Dies, obwohl Amerika eine höhere Dynamik in der Wirtschaft hat. Aus fundamentaler Sicht würde ich momentan Europa und Asien den USA vorziehen. Eine Abkopplung und Outperformance der USA vom Rest der Weltmärkte wie in den 90er Jahren sehe ich nicht.

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Spielt die Musik für die Investoren in Asien?

Aegerter: Wir erwarten, dass sich ein Grossteil des wirtschaftlichen Wachstums in den nächsten zehn Jahren im asiatischen Raum abspielt. Der Aufstieg Asiens ist ein Megatrend, den man als Anleger nicht verpassen darf. Die aktuelle Korrektur ist überfällig, gesund und bietet Einstiegschancen.

Wie engagieren Sie sich in Asien?

Aegerter: Wir investieren taktisch in Indexprodukte auf asiatischen Märkten und haben seit Jahren einige starke lokale HedgeFonds. Besonders attraktiv ist Taiwan. Dieser Markt ist günstig, bietet aber hohe Renditen. Auch China ist interessant. China ist das einzige Land, wo das fundamentale Wirtschaftswachstum massiv höher war als das Wachstum der Börsenkurse, da besteht weiterhin grosses Aufholpotenzial, und ich glaube, dass China dieses Jahr zu den besten Märkten gehört.

Allerdings birgt China für die Anleger grosse Risiken.

Aegerter: Das Problem in China ist, dass die falschen Unternehmen an der Börse sind. In den meisten Ländern der Welt sind die besten Unternehmen an der Börse, in China sind es die schlechtesten. Dies muss sich ändern, und es ändert sich auch. Noch haben die Chinesen kein Vertrauen in die eigene Börse und legen ihr Geld lieber in Liegenschaften an, die Regierung weiss, dass sie keine Wirtschaftsmacht sein kann ohne starke Börse. In China als Ganzes bin ich aber trotz der Chancen bei der Umsetzung sehr vorsichtig.

Ein anderer Anlagetrend ist Osteuropa: Sehen Sie da weitere Chancen?

Aegerter: Sicher ja. Wir sind in Russland investiert. Noch vor wenigen Jahren, als der russische Markt der weltweit günstigste war, wurde Russland von den Anlegern gemieden, nun ist es teurer und wieder salonfähig. Wir haben schon investiert, als die Firmen in Russland noch billig waren, aber die tiefe Volatilität der letzten Jahre ist trügerisch expect the unexpected. Allerdings betätigen wir uns in Russland nicht als Private-Equity-Investor auf einer direkten Basis. Dafür haben wir zu wenig lokale Kenntnisse.

Ihr Vermögen haben Sie im Jahr 2000 während des grossen Technologieaktien-Booms mit dem Verkauf der Internet-Handelsplattform Tradex an Ariba gemacht. Die Kurse von Ariba brachen ab 2001 dramatisch ein. Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Börsenphase?

Aegerter: Ich habe ein gutes Verständnis für die Börsenzyklen erhalten. Es gibt viele Situationen, wo ich sagen kann, das habe ich schon einmal gesehen, ich glaube zu wissen, wie es endet. Die grösste Lektion aus dieser Zeit ist, dass die Märkte nicht effizient sind und dass das jeweils hochgepriesene Investment-Thema aller Cocktailpartys die grössten Risiken birgt.

Sie hatten Erfolg mit der Softwarefirma Tradex und haben zum richtigen Zeitpunkt verkauft. Dann kam der Crash an den Börsen. War das einfach Glück?

Aegerter: Als ich unsere Tradex-Aktien verkauft hatte, stiegen die Ariba-Titel, die wir erhielten, innert 100 Tagen von 57 auf 183 Dollar. Innert sehr kurzer Zeit ist mein Vermögen auf dem Papier um einige hundert Mio Dollar gestiegen.

Was war das für ein Gefühl?

Aegerter: Der strenggläubige alte Rockefeller sagte immer «God gave me my money» und ich hatte das Gefühl, dass es mir gleich ging. Ich konnte fast nicht glauben, dass der Marktwert meiner Firma nun so hoch war wie der von grossen etablierten Firmen. Doch dann ging der Ariba-Kurs plötzlich steil nach unten, von 183 auf 50 Dollar. Zum Glück hatte ich frühzeitig begonnen, einen grossen Teil meiner Ariba-Aktien zu verkaufen, bevor der Kurs richtig einbrach, aber mein Durchschnittskurs ist weit unter dem Allzeithoch.

Sie waren sehr erfolgreich als Jungunternehmer. Jetzt sind Sie hauptsächlich Investor: Reizt es Sie nicht, wieder selbst das Steuer zu übernehmen und ein grosses Unternehmen operativ zu führen?

Aegerter: Sicher!

Und warum machen Sie es nicht?

Aegerter: Weil ich dann zu viele Freiheiten aufgeben würde, die ich jetzt habe.

Sie sind beeindruckt von den Leistungen von Warren Buffett:War er mitverantwortlich, dass Sie mit der Helvetic in die Airline-Branche investierten?

Aegerter: Nein, ich habe mich trotz den negativen Erfahrungen mit seinem Investment in USAir von Anfang an mit offenen Augen und Respekt vor der schwierigen Branche für die Helvetic entschieden. Es war «the ultimate contrarian investment».

Und trotzdem haben Sie mit Ihrem Helvetic-Engagement Geld verloren.

Aegerter: Allerdings. Helvetic war der grösste Investmentfehler meiner Karriere.

Warum?

Aegerter: Die Kunden schätzen die Helvetic, aber es wurden Fehler beim Pricing und den Strecken gemacht. Mein Problem war, dass ich massgeblich beteiligt war, aber keine direkte Kontrolle hatte. Entweder hätte ich mich voll engagieren sollen, wie dies jetzt Martin Ebner tut, oder ich hätte das Investment als reines Finanzengagement betrachten sollen. Entweder sitze ich als Investor im Cockpit einer Firma oder ich bin nur Passagier.

Was macht Martin Ebner bei der Helvetic besser als Sie?

Aegerter: Das werden wir noch sehen. Er hat immerhin den Vorteil, dass er eine direkte Kontrolle ausüben kann.

Müssten Unternehmer ihre Firmen nicht generell vermehrt aus der Sicht des Investors beurteilen?

Aegerter: Absolut! Ich staune, wie viele meiner Unternehmerkollegen ein gespanntes Verhältnis zur Finanzwelt haben. Das ist kontraproduktiv. Unternehmer sind gut beraten, sich vermehrt mit den Realitäten der Finanzmärkte auseinander zu setzen. Vielen erfolgreichen Unternehmern fehlen die Risikobereitschaft und die Perspektive des Investors.

Sind Schweizer zu wenig risikobereit?

Aegerter: Die Risikofreude der Schweizer ist nicht sehr hoch, weil es uns so gut geht. Man kommt mit gutem Mittelmass auf eine anständige Lebensqualität.

Doch damit gefährden wir unseren Wohlstand.

Aegerter: Der Wohlstand wird sich verschieben. Gewinner ist Asien. Das ist für das globale Gleichgewicht gut so. Ist es fair, wenn ein Amerikaner für die gleiche Arbeit mehr Geld verdient als ein Chinese? Die Schwellenländer haben ein paar hundert Jahre lang schlechte Karten gehabt. Es ist nur fair, dass sie jetzt ihre Zeit an der Sonne haben.

Was müssen wir tun, damit die Schweiz nicht noch mehr Wohlstand verliert?

Aegerter: Wir brauchen ein strategisches Denken auf der politischen Ebene. Wir haben eine sehr starke Verwaltung, aber eine strategisch sehr schwache Regierung. Es gibt höchstens einen im Bundesrat, der sich um strategisch relevante Themen kümmert.

Was müsste unsere Regierung konkret tun?

Aegerter: Der Beitrag der Landwirtschaft zu unserer Wirtschaft ist zu gering, um die hohen Subventionen zu rechtfertigen. Andererseits müssen der Bundesrat und unser Parlament aktiv die Wettbewerbsfähigkeit unseres Finanzplatzes maximieren. Der Finanzsektor ist die wichtigste Industrie zur Sicherung unseres Wohlstands. Ich verstehe nicht, warum Hedge-Fonds auf den Cayman Islands sein müssen. Mit genug politischem Willen könnten wir in der Schweiz die Gesetze so ändern, dass Hedge-Fonds bei uns domiziliert wären. Dadurch würden wir gute Arbeitsplätze in der Fondsverwaltung wie auch im Management gewinnen. Wir müssen lernen, mit gleich langen Spiessen zu kämpfen, und uns ebenso schamlos um unseren Vorteil kümmern, wie das London tut. Grossbritannien greift die Schweiz wegen des Bankgeheimnisses an, pflegt aber gleichzeitig Steuerschlupflöcher.

Wo sehen Sie sonst Handlungsbedarf?

Aegerter: Die Wirtschaft hat seit Jahren erkannt, dass die durch die Globalisierung veränderten Rahmenbedingungen einen Umdenk- und Reorganisationsprozess verlangen. Der Staat hingegen versucht immer, sich diesem Druck zu entziehen. Zum Beispiel ist eine Steuerharmonisierung nichts anderes als ein Preisabsprachekartell auf Staatsebene. Genau wie die Wirtschaft mit Produktivitätssteigerungen und Innovationen auf Konkurrenten aus Tieflohnländern reagiert, muss auch der Staat erkennen, dass Staaten mit einer tieferen Staatsquote einen legitimen Konkurrenzvorteil haben.

Wir müssten also steuerliche Anreize schaffen?

Aegerter: Wir müssen unsere Standortvorteile verbessern. Tiefe Steuern sind nur ein Teil davon, der Staat muss auch lernen, mit weniger mehr zu machen. Gleichzeitig müssen wir die Staatsquote reduzieren. Es kann nicht sein, dass der Staat schneller wächst als das Bruttosozialprodukt.

In der Praxis dürften die Staatsausgaben angesichts der demografischen Entwicklung aber weiter zunehmen.

Aegerter: Die Wahl ist einfach: Entweder haben wir mehr Kinder oder mehr Ausländer. Mit einer sinkenden Bevölkerung können wir die Sozialwerke nicht mehr finanzieren. Es braucht mehr Steueranreize für Familien. Sich für Kinder entscheiden, heisst, sich für die Zukunft zu entscheiden.

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Steckbrief

Name: Daniel S. Aegerter

Geboren: 20. Juli 1969

Familie: Verheiratet, zwei Söhne

Ausbildung: Banklehre beim Schweizerischen Bankverein

Karriere

Daniel Aegerter ist Inhaber der Armada Investment Group, welche er als Family Office gründete. Sein Vermögen machte er mit dem Verkauf seiner von ihm in den USA aufgebauten Internethandelsplattform und Softwarefirma Tradex Technologies an den US-Konzern Ariba im Jahr 2000. Dieser zahlte auf dem Höhepunkt der Technologieblase 5,6 Mrd Dollar für Tradex. Seine erste Firma gründete er 1988 im Alter von 18 Jahren. Die damalige Dynabit AG importierte und vertrieb Macintosh-Zubehör.

Die Firma

Die Armada Investment Group hält Private Equity Investments u.a. an der Asset-Management-Gesellschaft Alegra AG, den Technologiefirmen GoingOn Networks Inc., Oanda Corp., Overture Networks, Skyway und Wave7 Optics Inc. Ihre Beteiligungen an der Celeris AG hat die Armada Investment Group 2005 an die Swisscom Solutions verkauft. Eine andere Beteiligung, die edocs, Inc., wurde 2005 von Siebel Systems übernommen. Ein Aktienpaket an der Helvetic.com wurde an Martin Ebner verkauft.