Der Schweizer Sieg von Nemo beim Eurovision Song Contest (ESC) hat eine starke Nebenwirkung: Er entfachte – oder verstärkte – die Diskussion über den Umgang mit Personen, die sich weder als Mann noch als Frau sehen. Nemo hat sich erst vor kurzem als sogenannte non-binäre Person geoutet und die ESC-Plattform genutzt, um die nicht binäre Geschlechtsidentität öffentlich zu thematisieren. Insbesondere will Nemo das Gespräch mit Justizminister Beat Jans suchen.

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Und das Ziel wurde erreicht: In den Tagen nach dem Musikgrossereignis wurde intensiv über die Sache der Non-Binären diskutiert. Und die Frage aufgeworfen, ob sich diese nicht auch gegenüber dem Staat als solche registrieren können sollten. Heute steht in jedem Pass nur entweder M oder F.

Das Thema ist emotional, denn es rüttelt an einem Grundverständnis von Identität: an der Dualität der Geschlechter. Ich verzichte auf biologische Grundsatzüberlegungen. Das sollen jene tun, die dafür besser qualifiziert sind. Fakt ist aber: In unserer Gesellschaft haben sich Grenzen aufgeweicht und verschoben. Nicht zuletzt, seit es einem der Staat einfach macht, das offizielle Geschlecht zu wechseln: Heute braucht es dazu lediglich noch eine Meldung ans Zivilstandsamt.

Sollte man sich da nicht auch als non-binär anmelden können? Ja, warum eigentlich nicht? Wenn ich ohne Begründung vom Mann zur Frau werden kann, ist jede Koppelung ans Biologische aufgehoben. Da könnte man den Eintrag auch genauso gut auf «Divers» ausweiten oder weglassen. Oder doch nicht?

«Noch unterscheidet der Staat zwischen Männern und Frauen. Die bekanntesten Beispiele sind das Rentenalter und die Militärdienstpflicht.»

Leider ist es nicht so einfach. Denn am amtlich festgehaltenen Geschlecht hängen viele Dinge, auch wenn in der Verfassung steht, dass «alle Menschen» vor dem Gesetz gleich seien. Noch unterscheidet der Staat zwischen Männern und Frauen. Die bekanntesten Beispiele sind das Rentenalter und die Militärdienstpflicht. Auch dürfen Versicherer von Frauen andere Prämien verlangen als von Männern – mit staatlichem Placet. Was soll da bei jemandem gelten, der weder Mann noch Frau ist?

In vielen Teilen der Gesellschaft drückt noch immer die Sichtweise durch, Frauen müssten beschützt, umsorgt oder gefördert werden. Männern dagegen kommt die Rolle der Starken zu. Das betrifft nicht nur die Gesetzesebene, sondern auch das tägliche Leben. Besonders absurd: Während alle Welt über genderneutrale WCs diskutiert, führen die staatlichen SBB in den neusten Zügen erstmals getrennte Toiletten für Männer und Frauen ein.

Bevor die Schweiz als Staat ein drittes Geschlecht einführen kann, muss sie erst einmal dafür sorgen, dass das Geschlecht vor dem Gesetz keine Rolle mehr spielt. Oder zumindest eine möglichst kleine. Erst dann sind alle gleichberechtigt und ist der entsprechende Eintrag im Pass eigentlich überflüssig.

Michael Heim Handelszeitung
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