Das Inselspital ist erst der Anfang: Was hinter der Schweizer Spitalkrise steckt

Die Krise der Schweizer Spitäler fordert ein prominentes Opfer. Das Berner Inselspital, mit einem Ertrag von fast 1,8 Milliarden Franken eine der grössten Spitalgruppen der Schweiz, schliesst zwei Kliniken. Die beiden Standorte Münsingen und Tiefenau werden gestrichen. 600 der 1000 betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen anderswo in der Inselgruppe weiterbeschäftigt werden; für 400 Angestellte muss noch eine Lösung gefunden werden, 200 werden ihre Stelle wohl verlieren. Nur 35 von 80 Betten belegt Bernhard Pulver, grüner alt Regierungsrat und Verwaltungsratspräsident der Inselgruppe, begründete die Schliessung der beiden Standorte mit Rekrutierungsproblemen. In Münsingen seien wegen Personalengpässen nur noch 35 der 80 Betten belegt. Der Standort Tiefenau müsse ohne Investitionen im nächsten Jahr aus Sicherheitsgründen geschlossen werden. Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Die Schliessung der beiden Kliniken ist auch eine Folge der noch immer hohen Konzentration der Spitallandschaft Bern. Auf dem Berner Stadtgebiet bieten neben der Insel nicht weniger als sechs Kliniken ihre Dienstleistungen an; je drei gehören zur Hirslanden-Gruppe und zur Lindenhofgruppe. So gesehen ist die Schliessung der beiden Insel-Standorte eine politisch gewünschte Bereinigung. Münsingen, der Standort der zweiten Insel-Klinik, die nun wegfällt, liegt auf halbem Weg zwischen Bern und Thun, das seinerseits ein eigens Regionalspital hat; eine Strecke, die auf der Autobahn in einer halben Stunde zu machen ist. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf von der Inselgruppe publizierte Zahlen, wie sehr die Schweizer Kliniken in der Grundversicherung unter Druck sind. 80 Millionen Franken Verlust Die Inselgruppe machte im vergangenen Jahr einen Verlust von 80,0 Millionen Franken, im Jahr 2021 hatte sie noch 25,3 Millionen vorwärts gemacht. Und das sind die Details: Im stationären Bereich – dem Bereich, in dem sich in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung noch am ehesten etwas verdienen lässt – ist die Insel auf Schrumpfkurs. Die Zahl der stationär behandelten Patienten und Patientinnen sank um 3,6 Prozent, von 61’942 auf 59’735. Zugleich stieg die Schwere der stationär durchgeführten Fälle, das heisst, die Kosten pro Fall steigen. Gleichzeitig stieg die Anzahl der ambulanten Konsultationen, und zwar um 2 Prozent, von 910’529 auf 928’830. Die Ambulantisierung der Medizin ist politisch so gewollt. Patienten und Patientinnen, die ambulant behandelt werden können, sollen nicht teure Spitalbetten belegen. Der Katalog der Leistungen, die normalerweise ambulant durchgeführt werden, wurde vor ein paar Jahren nochmals erweitert; etwa um chirurgische Eingriffe an den Händen oder an den Füssen, die ohne Vollnarkose durchgeführt werden können. Das Problem: Die Tarife in der ambulanten Medizin sind nicht wirtschaftlich. «Die ambulanten Tarife decken die Kosten nur zu 85 Prozent», sagte Insel-Direktionspräsident Uwe E. Jocham der «Handelszeitung» nach seinem Amtsantritt. Und: «Das heisst, wir legen bei jeder Behandlung drauf.» Der Spitalverband H+ geht davon aus, dass die Leistungen im ambulanten Bereich sogar zu 30 Prozent unterfinanziert sind. In einigen Spezialgebieten der Kinderheilkunde, wo die Situation diesen Winter besonders prekär war, liegt die Unterdeckung sogar bei 40 Prozent. Anders gesagt: Die Behandlung von Kindern in Schweizer Spitälern ist nur gut zur Hälfte von der obligatorischen Krankenversicherung gedeckt. Mehr zum Thema: Berner Inselgruppe will nach hohem Verlust Spitäler schliessen Die Finanzierung der Spitäler ist auf Sand gebaut Was sich in Schweizer Spitälern ändern muss Nur noch 2 statt 10 Prozent Marge Weniger, dafür schwierigere und damit teurere Fälle auf den stationären Abteilungen, mehr ambulante Behandlungen, die nicht kostendeckend sind: In der Kombination führte das beim Inselspital im vergangenen Jahr dazu, dass die Ebitda-Marge von 6,9 auf 2 Prozent sank. Das ist deutlich weniger als die 10 Prozent, die für einen zuverlässigen und finanziell nachhaltigen Spitalbetrieb als notwendig erachtet werden. Die Gesundheitsexperten der PwC, auf die der Richtwert von 10 Prozent zurückgeht, kamen bereits für 2021 zum Schluss, dass der Ebitdar-Wert bei der Hälfte der Schweizer Spitäler unter 7,3 Prozent lag. Der Ebitdar bezeichnet den Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen, Amortisationen und Mietkosten. Die Mietkosten kommen dazu, da viele Spitalbetriebe in ihren Liegenschaften zur Miete sind. Das Geschäftsmodell Spital ist unter Druck. In der obligatorischen Krankenpflegeversicherung arbeite kein einziges Spital in der Schweiz kostendeckend, sagte Daniel Liedtke, Chef der Hirslanden-Gruppe, der «Handelszeitung» im Dezember. «Die Leistungen der Grundversicherung sind unterfinanziert.» Das sei die Wahrheit, nur wolle das niemand wissen. Es droht eine Negativspirale Der Fall Insel zeigt: Die Situation der Schweizer Spitäler ist kritisch. Und sie dürfte noch kritischer werden. Die sich rasch verschärfende Personalnot führe dazu, dass die Löhne steigen; etwas, was trotz den Rekrutierungsproblemen im Gesundheitswesen über lange Jahre nicht der Fall war. Auch die steigenden Energiepreise werden die Ergebnisse der Spitäler belasten. Spitäler wenden rund 1 Prozent ihrer Kosten für Energie auf, eine Verdoppelung der Energiekosten kann deshalb schnell nochmals 1 Prozent bei der Marge wegfressen. Über kurz oder lang werden die Personalengpässe dazu führen, dass nicht nur in Ausnahmesituationen wie diesen Winter, sondern auch unter normalen Bedingungen nicht mehr alle Patienten und Patientinnen die Behandlung bekommen, die sie brauchen. Neben der Insel haben auch die St. Galler Spitäler 2021 mit Millionenverlusten abgeschlossen. Weitere Spitäler dürften folgen. Und das laufende Jahr dürfte für die Spitäler noch schwieriger werden. Die Krise des Schweizer Spitalwesens hat erst gerade begonnen.

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Wie sich die Spitalkrise in der Schweiz verschärft