Das Montreux Jazz Festival expandiert nach Miami, Abu Dhabi und Ibiza: Chef Mathieu Jaton über die Pläne

Am 30. Juni beginnt das 57. Montreux Jazz-Festival. Welcher Künstler sorgte für den schnellsten Ticketausverkauf? Natürlich Bob Dylan. Wie lange dauerte es, bis alle Dylan-Tickets weg waren? Etwa eine halbe Stunde. Am zweitschnellsten war Norah Jones, sie schaffte das in zwei Tagen. Neben diesen Shows sind auch die Konzerte von Lionel Ritchie und Simply Red bereits ausverkauft – lustig zu sehen, dass es die alten Typen sind, die besonders ziehen. Aber auch der Nachwuchs läuft gut: Im Jazz Lab sind die Konzerte mit französischem Hip-Hop bereits fast voll, und die elektronischen Abende mit Rüfüs du Soul ebenfalls. Mit Ticketpreisen ab 365 Franken ist der Gig von Bob Dylan dieses Jahr der teuerste. Wie viel kosteten die allerbesten Plätze? 455 Franken. Wir hätten auf 900 oder 1000 Franken getippt. Auf dem Schwarzmarkt vielleicht, aber nicht bei uns. Hätten Sie mehr verlangen können oder gibt es eine gewisse Grenze? Wenn wir 400 Franken verlangen, müssen wir schon etwas sehr Exklusives bieten, etwa so wie damals, als wir ein exklusives Konzert von Prince hatten. Aber es gibt auch ein Limit nach oben. Die aktuelle Grenze, würde ich sagen, ist bei 500 Franken. Wie zufrieden sind Sie mit dem Vorverkauf? Ich bin sehr zufrieden, die Tickets gingen schneller weg als letztes Jahr, und 2022 war bereits ein Rekord – 30 Prozent besser als 2019. Aktuell liegen wir beim Verkaufsvolumen bei zehn Prozent über dem Stand vom Vorjahr zu diesem Zeitpunkt. Nach dem Coronavirus kam der Ukraine-Krieg, der unter anderem für starke Inflation sorgte. Wie trifft Sie das? Das trifft uns sehr. Und es hat auch etwas mit der Pandemie zu tun. Wie das? In den 2010er-Jahren verdienten die Künstlerinnen und Künstler ihr Geld mit grossen Tourneen und Shows, weil die Musikverkäufe zusammengebrochen waren. Es gab Shows im Überfluss – allein Sting machte zwei- oder dreimal pro Jahr in der Schweiz Halt. Den Musikern fehlte die Zeit, neue Alben herauszubringen, weil sie ständig unterwegs am Touren waren. Stattdessen wurden ihre Shows immer grösser, die Produktionen aufwändiger, mit breiteren Bildschirmen, mehr Tänzerinnen und Tänzern und so weiter. Das jagte die Kosten hinauf für Logistik, Energie und Transport. Die bereits schon kostspieligen Produktionen wurden noch teurer. Um wie viel mussten Sie Ihre Preise erhöhen? Zwischen drei bis fünf Prozent. Unsere eigenen Kosten haben sich allerdings stärker erhöht. Mir ist wichtig, dass die Konsumenten die Kostensteigerung nicht voll tragen müssen. Es ist in der Verantwortung der Organisatoren, die Teuerung nicht voll weiterzureichen, sondern andere Wege zu suchen, um sie zu aufzufangen. Wie senken Sie die Kosten? Wir nehmen alle Kosten unter die Lupe und entscheiden, was wirklich nötig ist. Nicht verzichten können wir auf alles, was dem Publikum zugutekommt. Nicht unbedingt nötig sind alle externen Ausgaben, wo wir mit unseren Partnern neue Vereinbarungen treffen können. Monatelang arbeiteten wir mit unseren Lieferanten zusammen, um Kosten zu streichen. Ein Beispiel: Unsere IT ist sehr kostenintensiv, und diese Kosten sind gestiegen. Deshalb rief ich unsere IT-Partnerunternehmen an, und zusammen fanden wir Lösungen, um diese Kosten zu senken. Die Aufgabe ist schwierig, weil sie für jeden einzelnen Kostenblock eigene Lösungen finden müssen. Das liegt aber in unserer Verantwortung, wir können nicht die um zehn Prozent höheren Energiekosten einfach auf die Ticketpreise überwälzen. Das wäre sehr gefährlich mit Blick auf unsere Zukunft. Wir müssen Kostenkontrolle betreiben und können unser Geschäftsmodell nur sehr behutsam ändern. Wie sieht Ihre Kalkulation aus? Früher erzielten wir 40 Prozent unserer Einnahmen aus den Ticketverkäufen. Weitere 30 Prozent zahlten die Sponsoren. 25 Prozent machten wir mit Essen und Getränken, und die restlichen fünf Prozent holten wir mit Merchandising und Franchising herein. Wird das auch in Zukunft so funktionieren? Nicht wirklich. Wenn die Entschädigung für die Künstler steigt, reichen die 30 Prozent aus dem Ticketabsatz nicht mehr aus. Wir müssen also neue Einnahmequellen anzapfen. Deshalb starten wir die Montreux Media Ventures, ein Digital- und Medienunternehmen, und wir entwickeln Montreux Jazz International, das sind die internationalen Ableger und die Montreux Jazz Cafés. Die Idee ist also, Einnahmen mit unserer Marke zu generieren, um die Qualität des Festivals zu erhalten und keine Abstriche bei der Verpflichtung grosser Namen machen zu müssen. Und auch, um nicht gross an den Ticketpreisen herumschrauben zu müssen. Wir setzen den Hebel auf beiden Seiten an: Wir kappen die Kosten und erhöhen die Einnahmen. Sie sprechen wie ein Chief Financial Officer, nicht wie ein Festivaldirektor. Es heisst doch Montreux Jazz Festival, nicht McKinsey-Festival! Das ist in meiner Verantwortung. Wir müssen die Magie erzeugen für das Publikum und die Künstler, sie dürfen nichts von den Problemen merken, mit denen wir uns im Hintergrund herumschlagen. Seit der Pandemie hören wir viele Klagen wegen gestiegener Kosten und fehlender staatlicher Unterstützung. Was mich aber vor allem interessiert: Lösungen finden. Sie stimmen nicht in den Chor der Klagen ein? Diese Fragen gehören zu unserem Tagesgeschäft, aber unsere Aufgabe als Kulturakteur ist es in erster Linie, dafür zu sorgen, dass das Publikum und die Künstler eine gute Zeit haben. Und bevor wir die Eintrittspreise erhöhen: Können wir es anders machen? Wir wählen den harten Weg und reduzieren unsere Kosten. Alle unsere Initiativen haben zum Ziel, Freude und Magie für unsere Besucherinnen und Besucher zu kreieren.Fakt ist aber: Wir sind in einem Business, und dem müssen wir gerecht werden. Das Musikbusiness weltweit ist in den letzten fünf Jahren riesig geworden. Mit den Konzertveranstaltern LiveNation und AEG, die die Branche immer stärker dominieren. Sie sprechen es an: Nehmen ihnen diese Konzert-Giganten die Künstler weg oder können Sie immer noch alle Namen verpflichten, die sie in Montreux haben möchten? Unser Format ist unterhalb vom Radar dieser grossen Unternehmen. Dank unserer Geschichte und Vergangenheit kommen wir an Künstler wie Lady Gaga, Jack White und Sam Smith heran, obwohl diese bei LiveNation unter Vertrag sind, und Elton John bei AEG. Arbeiten Sie auch mit LiveNation und AEG zusammen? Klar, weil wir ja auch ihre Musikerinnen und Musiker verpflichten. Unsere Branche entwickelt sich in zwei Richtungen: Es gibt das Livemusic-Business, wo alles immer grösser wird – schauen Sie etwa, wie gigantisch gross das Glastonbury-Festival in England oder das Coachella in den USA geworden sind. Die grossen Festivals werden noch grösser. Am anderen Ende florieren die kleinen, intimeren Veranstaltungen wie Montreux. Ein Künstler wird in Zukunft sowohl die ganz grossen Shows spielen als auch in kleinen Clubs auftreten. Ungemütlich wird die Situation für mittelgrosse Festivals mit einer Kapazität von 15’000 bis 30’000 Besucherinnen und Besucher. Wir liegen darunter. Die meisten Schweizer Festivals weisen genau diese mittlere Grösse auf. Exakt, in der Schweiz gibt es sehr viele solcher Festivals. Und deswegen machen Künstler wie The Weeknd nicht mehr in der Schweiz Halt – es gibt keinen genügend grossen Ort für ihn zum Auftreten. Das Letzigrund und Hallenstadion in Zürich sowie das Berner Wankdorf-Stadion sind noch die letzten Orte, wo Bands wie Coldplay oder Ed Sheeran spielen können. Immer mehr der grossen Künstlerinnen werden künftig einen Bogen um die Schweiz machen. Wo ist die grosse Konkurrenz von Montreux zu finden? Sind es andere Festivals, Ferien an der Sonne oder Netflix? Es ist eine Mischung von allem. Die schiere Zahl an anderen Festivals in Europa konkurrenziert uns natürlich. In der Schweiz gibt es auf die Bevölkerungszahl heruntergerechnet am meisten Festivals weltweit. Das ist eine Herausforderung. Natürlich sind andererseits auch Ferienreisen eine Konkurrenz für uns: Jeder und jede kann den Easyjet-Flieger in Genf besteigen. Aber Low-Cost-Angebote gehören zum Glück immer mehr der Vergangenheit an. Streaming ist hingegen keine grosse Konkurrenz. Das eigentliche grosse Problem für uns ist aber die immer grösser werdende Menge an Festivals und Veranstaltungen das ganze Jahr hindurch. Früher fanden im Juli und August nie Stadionkonzerte statt. Die Promotoren gönnten sich eine Sommerpause. Aber das ist vorbei, allein im Zürcher Letzigrund und im Hallenstation sind 20 grosse Acts vorgesehen für dieses Jahr. 2019 waren es sehr viel weniger. Das ist eine Herausforderung, weil Künstlerinnen, die in Stadien spielen, nicht mehr an den Festivals auftreten. Bezüglich der Festivalpreise hört man vermehrt vom sogenannten «Yield Management». Wie bei Airlines variieren die Preise je nach Nachfrage. Praktizieren Sie das auch? Nein, da bin ich total dagegen – aus vielen Gründen. Etwa wegen unserer Kapazität: Wenn wir am Lionel-Ritchie-Konzert nur 4000 Plätze bieten, macht das keinen Sinn. Und wir wollen unsere Besucherinnen und Besucher nicht unterschiedlich behandeln: Dass jemand mehr bezahlen muss, weil er oder sie die Tickets erst später gekauft hat, geht nicht, finde ich. Sie bieten allerdings exklusive Angebote an, sogenannte Package-Deals. Ja, aber das ist etwas anderes. Da verköstigen wir die Leute, führen sie durch die Backstage-Räume, bieten ihnen etwas Spezielles. Aber solche Paketangebote sind limitiert. Wir bieten das an, weil Unternehmen danach fragen, sie wollen der Kundschaft schöne Abendessen, Cocktails, Backstage-Tours und Ähnliches offerieren. Es geht um Erlebnisse. Deshalb lancieren wir diese Woche auch den Fast-Lane-Einlass bei unseren Gratis-Shows. Wer einen solchen Service kauft, darf zuerst in den Konzertbereich hinein. Das ist sehr gefragt. Die Leute wollen nicht riskieren, nicht mehr hineingehen zu können. Das kostet aber nicht alle Welt. Es sind etwa 200 Frankens fürs ganze Festival. Unser Eindruck: Sie haben einen Traumjob: Alle Stars wollen bei Ihnen spielen, Sie müssen nur zum Telefonhörer greifen, um das Programm zusammenzustellen. Traumjob ja – aber so einfach wie Sie das jetzt darstellen, ist es natürlich nicht. Auch wir müssen um die Künstler kämpfen. Bob Dylans Agent wird mit jährlich 2000 Anfragen überflutet. Aber Bob gibt jährlich weltweit nur etwa 30 Konzerte. Der Agent pickt die Orte heraus, die er am besten geeignet findet. Wir müssen die Künstlerinnen und Künstlicher zu uns locken, und das gelingt nicht immer. Die spanische Sängerin Rosalia beispielsweise versuchen wir schon seit vier Jahren zu kriegen – bisher ohne Erfolg. Wir vermuten: Einen Monat im Jahr kämpfen Sie ums Ensemble, einen Monat lang geniessen Sie das Festival – und dann wechseln Sie für zehn Monate in den Modus des Dolce far niente. (Lacht). Manchmal fragen mich die Leute tatsächlich, was ich die restlichen zehn Monate im Jahr mache. Ernsthaft: Ich bin immer erreichbar. Und wir arbeiten mit Leuten auf der ganzen Welt. Manchmal starte ich den Tag um 6 Uhr morgens und telefoniere am späten Abend mit Kontakten in den USA. Einzig nach dem Festival gönne ich mir zwei Wochen Ferien und dann noch einmal eineinhalb um die Weihnachtszeit – der Rest ist Arbeit. Ihr Festival trägt das Wort «Jazz» im Namen. Aber das ist es längst nicht mehr. Jazz ist Teil unserer Marke, und es ist Teil unserer Seele. Jazz ist mehr als ein Musik-Genre, das Wort steht für Improvisation, Ausdruck, Freiheit. In unserem Programm steckt immer noch viel Jazz drin. Das Wort «Jazz» ist vor allem auch für die Künstler wichtig. Weil viele von ihnen, etwa aus den Bereichen Hip-Hop und Elektro, stark von Jazz-Ikonen wie Quincy Jones oder Herbie Hancock inspiriert worden sind. Ein Rapper wie Kendrick Lamar wird ihnen sagen, dass Jazz-Musiker seine Vorbilder sind. Sie werfen das Vierbuchstabenwort also nicht aus ihrem Markennamen raus? Schon 1971, als Festival-Gründer Claude Nobs die Bands Santana und Ten Years After nach Montreux brachte, gab es einen Aufschrei im Sinne von «das ist doch kein Jazz!». Und auch heute noch melden sich jedes Jahr die gleichen Kritikerinnen und Kritiker und beanstanden, dass wir zu wenig Jazz im Programm hätten. Aber das Wort gehört nun mal zum Festival. Wir sind Montreux Jazz, wir bleiben Montreux Jazz. Warum das so sein muss, hat man mir jüngst auf einem Businesstrip wieder bestätigt. Wohin führte die Reise? Nach Miami. Der dortige Bürgermeister möchte vom ewigen Stadtimage des «Miami Vice» wegkommen und dies mit Kulturanlässen wie etwa der Art Basel Miami Beach bekräftigen. Und da hat er mich gefragt, ob wir nicht das Montreux Jazz Festival nach Miami bringen wollen. Und nun kommt also auch ein Ableger in Miami hinzu? Ja, aber nicht nur das. Wir expandieren mit dem Festival an insgesamt drei neue Destinationen – nach Miami, Abu Dhabi und Ibiza. Die Unterschriften stehen zwar noch nicht final, aber mündlich ist das alles zugesagt. Was man den Kritikern des Vierbuchstabenworts hier noch sagen kann: In Miami gibt es die ursprünglichen Jazz-Clubs schon gar nicht mehr. Wir bringen da in gewisser Weise den Jazz wieder zurück. Sie haben heute schon diverse Satelliten-Festivals im Umlauf, in Rio, Tokio und im chinesischen Suzhou. Was ist der strategische Nutzen? Bei Rio ist vor allem die kulturelle Verbindung wichtig; brasilianische Musik ist schon seit Jahren ein wichtiger Programmpunkt in Montreux. Die japanische Connection lebt stärker von der technischen und digitalen Zusammenarbeit, und – wie auch China – vom touristischen Aspekt. Wie sieht Ihr internationaler Tournee-Plan aus? Gemäss heutigem Planungsstand sind Miami und Abu Dhabi – dort gastiert das Montreux Jazz Festival im Louvre Abu Dhabi – im März 2024 als jeweils dreitägige Festivals gesetzt. Im Fall von Ibiza wird es wohl September 2024 werden. Dort streben wir ein spezielles Format an: Geplant ist, dass uns örtlich prominente DJs ihre Idole nennen, zum Beispiel der oft genannte Herbie Hancock. Diese Vorbilder würden wir dann nach Ibiza bringen und sie zusammen mit den DJs in einem vergleichsweise kleinen Rahmen auftreten lassen. Nicht vor 40'000 Zuschauern, sondern vielleicht vor 1000. Die Festivals in Rio, Tokio und China sind auf Oktober 2024 programmiert. Verwässern so viele Ausland-Ableger nicht Ihre Marke? Diese Gefahr existiert tatsächlich; wir gehen deshalb behutsam vor. Zu viele solcher Satellitenfestivals soll es nicht geben. Das richtige Festival am richtigen Ort – darum geht es. Das Unternehmen ist auch mit Montreux Jazz Cafés aktiv. Was ist die Rolle dieser Gastro-Ableger? Aktuell betreiben wir sieben solcher Cafés. Zwei am Flughafen Genf, eines in der Genfer Innenstadt, eines in Montreux, eines auf dem Campus der Hotelfachschule Lausanne, eines an der Lausanner Uni EPFL, eines am Flughafen von Abu Dhabi. 2024 öffnen wir am Bahnhof Basel und auch eines in Downtown Miami, als Teil der Vereinbarung mit dem dortigen Festival. Die Cafés funktionieren als Botschafter des Festivals und sorgen dafür, dass unsere Marke das ganze Jahr über präsent ist. Sie waren einst mit einem Café an einem Gate am Zürcher Flughafen präsent. Würde Sie jetzt eine Präsenz am angrenzenden Zentrum The Circle reizen? Tatsächlich wurde uns dort eine Fläche mit 800 Quadratmetern angeboten und wir haben uns das angeschaut. Wir sind mit unseren Cafés allerdings lieber dort, wo das grosse Passagieraufkommen winkt. Nicht nebendran. Was noch fehlt in der Verwertungskette wäre ein Montreux Jazz Hotel. Eigentlich ein Steilpass für Sie als Absolvent der besten Hotelfachschule der Welt? Davon träumen wir tatsächlich immer mal wieder. Dem englischen Geschäftsmann Tony Murray gehören vier grosse Hotels in Montreux, alle um das Festival herum. Ein solches Projekt könnten wir uns auch vorstellen, aber Hotel-Eigentum gehört nicht zu den Zielen unserer Stiftung. Also ein klares Hotel-Nein? Ein Nein für jetzt, aber ausschliessen möchte ich das nicht. Für ein solches Hotelprojekt müssten wir aber Investoren finden. Letztes Jahr wurde das Montreux Jazz Festival erstmals im Krypto-Geschäft aktiv. Zusammen mit der US-amerikanischen Firma Oneof wurden digitale Token lanciert, mit denen man Fotos, Videos oder Audioaufnahmen kaufen konnte. Wie lief das? Damals war der Krypto-Hype noch riesig; das hat sich zwischenzeitlich wieder etwas gelegt. 2022 lief es ganz okay, total verkauften wir etwa 20'000 Festival-Poster auf diese Weise. Generell ist das Interesse in den USA sehr viel grösser als in Europa. Fahren Sie auch 2023 weiter auf dieser neuen Krypto-Schiene? Wir behalten die neuen Technologien weiterhin im Auge, aber wir erwarten noch nicht viel von ihnen. Für mich ist das Wichtigste: Gut, dass wir jetzt schon damit experimentieren. Sollte hier ein richtiger Boom losgehen, wären wir parat. Muss Ihr Festival überhaupt Gewinn abwerfen? Nein. Wir sind eine Stiftung und deshalb stehe ich nicht unter dem Druck, Gewinn zu machen oder Dividenden zu zahlen, aber Geld verlieren können wir auch nicht. Das alles gibt uns viel mehr kreative Freiheit. Wie setzen Sie diese Freiheit ein? Ein Beispiel: Iggy Pop, Billy Idol und die Sex Pistols treten dieses Jahr bei uns zusammen an einem Abend auf – vor 4000 Leuten. Was aus finanzieller Sicht crazy ist, denn man könnte jedem dieser Stars einen eigenen Abend geben, was mehr Einnahmen generieren würde. Wir aber verzichten auf zusätzliche Einnahmen und bringen alle zusammen im Paket, weil das so dem typischen Montreux-Spirit entspricht. Welchen Star wünschen Sie sich für die Zukunft auf der Bühne in Montreux? Da gibt es sicher noch einige. Wobei es mir in erster Linie nicht um bestimmte Namen geht, sondern um ein Erlebnis, das es so noch auf keiner Bühne gab. Ich erinnere mich an ein Konzert, das Bono vor Jahren in New York gab. Im legendären Apollo Theater in Harlem trat der Sänger von U2 zusammen mit einem Gospelchor auf. Backstage sprachen wir mit Bono darüber, und er äusserte den Wunsch, mit diesem Gospelchor auch einmal in Montreux aufzutreten. Termine dafür gibt es nicht – aber das wäre natürlich ein Traum. Werden wir je Avatare auf der Bühne in Montreux sehen, etwa in der Art, wie das Abba in London gezeigt haben? Never say never – aber hier sage ich doch eher never. Was wir in Montreux zeigen, basiert auf menschlicher Energie. In dieser Hinsicht passen Avatare nicht. Was ich mir allenfalls vorstellen könnte: Ein Tribute-Anlass, bei dem 20 Musikerinnen und Musiker zur Ehrung eines verstorbenen Idols auftreten würden und das verstorbene Idol als Avatar eingeblendet und musikalisch mitwirken würde. Aber eine Bühne in Montreux ohne real existierende Menschen – dafür wäre ich noch nicht bereit. Und ich glaube auch nicht, dass die Menschen dafür Eintritt bezahlen würden. Wäre die letzte Woche verstorbene Tina Turner eine Kandidatin für eine solche Tribute-Show? Eine Tribute-Show zu organisieren, benötigt viel Zeit, die uns jetzt fehlt. Vielleicht werden wir ein Bild von ihr und unserem Festival-Gründer Claude-Nobs im Backstage-Bereich aufhängen. Uns geht es nicht ums Marketing, wir wollen Tina als Künstlerin und Person ehren. Sie wird in unserem Herzen bleiben. Tina Turner spielte nie am Festival in Montreux. Hatten Sie nie versucht, sie zu verpflichten? Natürlich versuchten wir das, wir träumten davon. Sie und Claude Nobs hatten eine sehr enge Beziehung. Aber Tina trat ja schon länger nicht mehr auf. Kannten Sie Tina Turner persönlich? Ich lernte sie 2003 kennen. Es war im Garten von Claudes Chalet, ich war gerade dabei, einen kleinen Empfang für die Künstlerinnen und Künstler vorzubereiten. Und plötzlich stand jemand am Gartenzaun. Es war Tina, sie sagte; «Hello, is Claude around»? Als Claude im Jahr 2013 starb, luden wir seine Freundinnen und Freunde für einen Drink ins Chalet ein, um uns an ihn zu erinnern. Tina sagte als Erste zu. Wir tranken Wein zusammen und hörten Musik. Sie mochte Claude sehr gerne.

Das Montreux Jazz Festival expandiert nach Miami, Abu Dhabi und Ibiza: Chef Mathieu Jaton über die Pläne

«Wir expandieren nach Miami, Abu Dhabi und Ibiza»

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Wie lange dauerte es, bis alle Dylan-Tickets weg waren?