Erstmals kommt heute in der Schweiz ein Unternehmen vor das Strafgericht: Die Falcon Private Bank. Was bedeutet diese Premiere?
Simone Nadelhofer: Das ist bedeutend. Denn bis heute gab es zwar einige Verurteilungen von Unternehmen durch die Strafverfolgungsbehörden, aber keine Verurteilungen durch ein Gericht. Das ist bemerkenswert, weil das Unternehmensstrafrecht seit 18 Jahren in Kraft ist. Die Perspektive des Gerichts ist zudem eine andere als die der Staatsanwaltschaft. Dieser Fall könnte zu einem Referenzurteil werden. 

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Den Artikel 102 StGB, wonach Unternehmen bestraft werden können, und nicht mehr nur Menschen, gibt es, wie sie erwähnten, seit 18 Jahren. Doch noch nie kam es zu einem Strafprozess vor Gericht. Warum?
Die Bundesanwaltschaft hat solche Verfahren mittels Strafbefehl erledigt und diese wurden nicht weitergezogen. 

Werden wir künftig mehr solche Fälle sehen, die vor Gericht und damit öffentlicher abgehandelt werden?
Als Unternehmen muss man sich gut überlegen, was sind die Erfolgsaussichten, wenn der Fall vor Gericht verhandelt wird. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit damit noch verstärkt wird. Die FalconBank wird nicht mehr weiterexistieren, damit ist die Situation eine andere als diejenige eines nach wie vor operativen Unternehmens.

Nadelhofer

Simone Nadelhofer arbeitet seit 2009 bei der Rechtskanzlei Lalive als Partnerin und ist Teil des Litigation-Teams in Zürich. Sie ist spezialisiert auf komplexe nationale und grenzüberschreitende Verfahren und Ermittlungen, einschliesslich Betrug und Wirtschaftskriminalität, Vermögensabschöpfung, internationale Rechtshilfe in Straf- und Steuerangelegenheiten sowie internationale Sanktionen.

Quelle: ZVG

Ist dieser Artikel 102 StGB zur Strafbarkeit von Unternehmen ein Fehlkonstrukt?
Ich würde das nicht so sagen, mit Ausnahme von Absatz 1, der vorliegend jedoch nicht relevant ist. Artikel 102 Absatz 2 StGB, um den es hier geht, hat aber seine Schwierigkeiten, da viele Fragen durch den Wortlaut der Bestimmung nicht geklärt sind. Absatz 2 umfasst zudem nur bestimmte Katalogtaten wie Geldwäscherei, Bestechung und Terrorismusfinanzierung. Delikte wie etwa Tötung oder Betrug fallen nicht darunter. 

Warum nicht?
Die Schweiz musste beim Thema Unternehmensstrafbarkeit internationale Vorgaben erfüllen, die für die erwähnten Katalogtaten gelten. 

Welche Bedeutung hat nun dieser Prozess über den konkreten Fall Falcon hinaus?
Der Prozess wird  mit grossem Interesse verfolgt werden. Die Auswirkungen hängen davon ab, wie das Gericht entscheidet. Wenn das Gericht Falcon verurteilt, könnten andere Unternehmen in ähnlichen Fällen davon absehen, ihren Fall weiterzuziehen. Wenn es hingegen zu einem Freispruch kommt, könnte das ein Ansporn sein, Strafbefehle gestützt auf Artikel 102 Absatz 2 StGB künftig weiterzuziehen. Das Bundesstrafgericht ist sich der Signalwirkung dieses Falles sicher sehr genau bewusst.

Im Dezember kommt auch noch die CS vor Gericht. Ist es Zufall, dass nun gleich zwei Banken vorangehen?
Ich glaube das ist eher Zufall, die Fälle sind auch anders gelagert.

Was bedeutet der Gerichtsprozess für Unternehmen, die in Zukunft strafrechtlich beschuldigt werden?
Aus Sicht der Rechtssicherheit ist der Prozess zu begrüssen. Der Ausgang des Verfahrens wird einen Präzendenzfall für die Strafbarkeit von Unternehmen schaffen und damit Unternehmen, die sich gegenwärtig oder künftig in einem Strafverfahren befinden, als Entscheidungsgrundlage dienen.

 

Stefan Mair
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