Kaffee war schon immer ein Genussmittel, mittlerweile ist er aber fast zum Luxusgut geworden. Auf dem Weltmarkt haben sich die Preise für die Sorten Arabica und Robusta im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt, auch in Schweizer Läden und Cafés haben die Kaffeepreise spürbar angezogen. Die steilen Preiskurven erinnern an frühere Spekulationsblasen.

Für die Produzenten ist das nicht zwangsläufig ein Vorteil. «Die Preise gehen hoch, aber wir sehen keinen Nutzen», sagt Antonio Oscar Molina, Kaffeebauer und Finanzchef der Kooperative Los Pinos in El Salvador. Die derzeit extreme Preisspirale untergräbt selbst Fairtrade-Standards, die Landwirte wie Molina sonst vor negativen Marktdynamiken schützen. «Der Weltmarktpreis ist für uns kein realer Preis. Wenn die Preise auf dem Weltmarkt zu hoch sind, wird eben nicht gekauft.»

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Der Teufelskreis der Terminkontrakte

Im Kaffeehandel kaufen grosse Händler Rohkaffee und verkaufen ihn an die Röstereien. Das Meiste läuft dabei über langfristige Beschaffungsverträge, also Terminkontrakte, die an Rohstoffbörsen in New York oder London gehandelt werden. Diese Kontrakte sichern einen festen Preis für zukünftige Lieferungen und helfen Röstereien, sich gegen Preisschwankungen abzusichern – können aber auch als Spekulationsinstrument dienen. Fairtrade-zertifizierte Kooperativen verkaufen deshalb nur einen gewissen Teil ihrer Ernte über diese Langfrist-Verträge. Der Weltmarktpreis für Kaffee kann durch verschiedene Faktoren wie Wetterbedingungen, Erntemengen und politische Ereignisse beeinflusst werden.

Expertinnen und Experten sprechen vom «perfekten Sturm»: Es fing mit einer Dürre an, gefolgt von Frost 2021 im Haupt-Produzentenland Brasilien. Dann stiegen die Zinssätze, was die Kaffeeröster zwang, ihre Lagerbestände abzubauen – dies wiederum führte zu einem Druck auf die Lieferkette. Ab 2023 folgte die Schifffahrtskrise am Roten Meer: Kaffee, der früher schnell durch den Suezkanal transportiert wurde, muss nun um Afrika herum geschifft werden, was die traditionelle Handelsroute um drei Wochen verlängert und die Frachtkosten verdreifacht, schreibt der Schweizer Rohstoffhändlerverband Suissenégoce auf seiner Website. Die Versicherungsprämien seien mittlerweile um 40 Prozent gestiegen. Und die Verfügbarkeit von Containern völlig unvorhersehbar geworden.

Als übergreifender Richtwert für Kaffee dient der Indikatorpreis ICO der Internationalen Kaffeeorganisation. Noch 2020 lag er bei rund 1 Dollar pro Pfund Rohkaffee. Ende vergangenen Jahres kletterte der ICO auf mehr als 3 Dollar und hält sich hoch. Für die wichtigste Kaffeesorte Arabica, die vor allem in Südamerika angebaut wird, erreichte der Pfund-Preis im Februar ein Rekordhoch von mehr als 4,30 Dollar gegenüber 1,81 Dollar im Vorjahr – eine Preissteigerung von mehr als 130 Prozent innerhalb eines Jahres.

Preisspitzen in beide Richtungen können sich verheerend auf die Wertschöpfungskette auswirken. Anders als bei anderen Rohstoffen schwankt die Nachfrage nach Kaffee kaum. Ein tieferer Preis verringert die Einnahmen der Produzenten, was zu Unsicherheit und potenziell schlechterer Qualität führen kann, da Landwirte gezwungen sein könnten, weniger in ihre Ernten zu investieren. Ein höherer Weltmarktpreis kann Produzenten theoretisch mehr Einnahmen verschaffen, was zu einer höheren Qualität und mehr Investitionen führen kann. Aber er kann auch, wie bei Oscar Molina und seinen Kollegen, zum Risiko werden.

Klimawandel, Ernteverluste – und nun auch noch neue Handelsvorschriften

Der siebzigjährige Molina – wettergegerbte Haut, kräftige Hände, grün-gelbes Karohemd – führt durch ein steiles Waldgebiet, wie es in El Salvador und Honduras für den Kaffeeanbau üblich ist. Es geht auf das Ende der Saison zu, die Kaffeepflanzen sind fast abgeerntet, nur hier und da finden sich noch einige knallrote Kaffeekirschen. Während er redet, entfernt Molina abgestorbene Äste. Die Kooperative habe in diesem Jahr 35 bis 40 Prozent ihrer Ernte verloren, schätzt er. Weil der Kaffeerost, ein durch den Klimawandel schlimmer werdender Pilz, seine Pflanzen bedroht. Aber auch weil es schwierig ist, Kredite von der Bank zu bekommen und Erntehelfer zu finden, weil sich die jungen Leute lieber auf den Weg in Richtung USA machen. «Dort verdienen sie in einer Stunde so viel wie bei uns an einem Tag», sagt Molina.

Nun ist eine neue Hürde hinzugekommen, welche die Unsicherheit für die Bäuerinnen und Bauern verstärkt und die Käufer hemmt: Die EU hat ein Gesetz verabschiedet, dass der Abholzung in vielen Produktionsländern von Rohstoffen wie Kaffee entgegenwirken will. Zwar hat Brüssel den Start bereits auf nächstes Jahr verschoben, doch bereits jetzt treibt die Sorge vor der Regulierungswut die Preise weiter nach oben: Viele Händler und Röstereien haben sich rechtzeitig mit grünen Bohnen eingedeckt und sitzen auf vollen Lagern.

Welt-Kaffee-Drehscheibe Schweiz

Die Schweizer Rohstoffhändler, die einen Grossteil des Kaffees weltweit umschlagen, hoffen, dass die Preise bald wieder sinken. «Die Schweizer Händler haben zwei grosse Herausforderungen», sagt Florence Schurch, Generalsekretärin des Schweizer Rohstoffhandelverbands Suissenégoce. «Ihre Kunden sind viel vorsichtiger geworden, was die Verkäufe riskanter macht. Und sie zahlen erheblich mehr für Logistik, Versicherungen und finanziellen Schutz vor Marktschwankungen.» Schurch erwartet, dass die aktuellen Rekordpreise nicht von Dauer sind. «Die Preise dürften in den kommenden Monaten sinken, denn das derzeitige Niveau spiegelt das tatsächliche Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nicht wider.» Gleichzeitig dürften die neuen EU-Verordnungen wie auch bei Kakao, Sojabohnen, Palmöl und Leder weiterhin auf den Kaffeepreis drücken.

Die grosse Unbekannte bleibt der Klimawandel. In den letzten Jahren sind die Ernten deswegen durchweg unterdurchschnittlich ausgefallen. «Es gibt bereits ernsthafte Bedenken hinsichtlich einer ungewöhnlich heissen und trockenen Vegetationsperiode in Brasilien für 2026 bis 2027, was auf eine anhaltende Volatilität auf dem Kaffeemarkt schliessen lässt», sagt Schurch.

Balanceakt für die Produzentinnen und Produzenten

Der Klimawandel beschäftigt die Kaffeebauern in allen Produktionsländern. In Honduras berichtet der Präsident der Fairtrade-Kooperative Cafescor, die 438 Kaffeebauern und -bäuerinnen vertritt, von einer extrem schwierigen Erntezeit. Nach einem langen Sommer regnete es zu Beginn der Saison im Oktober und November zu viel. Erst im Dezember und Januar konnte richtig geerntet werden. Zwar hatte die Kooperative rechtzeitig klimaresistentere Sorten gepflanzt, doch ein erhofftes Ernteplus blieb aus. Immerhin werde die späte Ernte nun zu höheren Preisen verkauft. Gleichzeitig aber hielten sich die Händler genau aus diesem Grund zurück.

Für die Produzentinnen und Produzenten wird die Rechnung darum kaum aufgehen. Die Produktionskosten sind für Kaffeebäuerinnen und -bauern in Honduras in den vergangenen Jahren um rund 30 Prozent gestiegen. Vor allem Löhne für die Arbeiter und die unter anderem durch geopolitische Faktoren steigenden Düngerkosten schlagen durch. Zwar hat etwa die Organisation Fairtrade – in der Schweiz unter dem Label Max Havelaar bekannt – den Mindestabnahmepreis im Sommer 2023 angehoben, doch die preissensitiven Händler verzichten im Zweifelsfall lieber auf das Label. Nur ein Teil des unter fairen Bedingungen produzierten Kaffees geht auch tatsächlich zum Fairtrade-Preis über die Theke, der Rest gelangt zu niedrigeren Preisen auf den Markt. Die Kosten, die nun durch die europäischen Regulierungen dazukommen, sind vor allem für Bauern, die nicht in Kooperativen organisiert sind, kaum zu stemmen.

Auch der neue Anlauf für die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz, der sich stark an der EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD) orientiert, hat Schattenseiten. Was gut gemeint ist, kann die Bäuerinnen und Bauern auf der anderen Seite der Welt im schlimmsten Fall die Existenz kosten. Insbesondere nichtzertifizierte Kleinbetriebe, die keinen direkten Zugang zu Abnehmern in Europa haben, könnten vom Markt gedrängt werden.

Langfristiger Nutzen, kurzfristiger Druck

Viele der möglichen negativen Folgen federn aktuell Kooperativen ab. Besonders hilft der sogenannte «Fairtrade-Premium» (siehe Infobox), ein extra Aufpreis, den die Produzentengemeinschaften für eigene Projekte etwa in Zusammenhang mit neuen Gesetzen und strukturellen Veränderungen verwenden können. Die Genossenschaften helfen den Bäuerinnen und Bauern durch den Regulierungsdschungel, beraten bei Massnahmen gegen die Auswirkungen des Klimawandels, beim richtigen Schnitt und Dünger. «Was soll ich mich über die Regulierung beklagen? Die gibt es nun mal und wir wollen ja auf dem Markt bleiben», sagt die 38-jährige Honduranerin Glandy Pinto. Die Kleinbäuerin produziert auf 3 Hektar Land ausschliesslich Bio-Kaffee. Zwar seien die vielen Regeln aus Europa zusätzlicher Stress. Aber vielleicht können sie sogar positive Auswirkungen haben – nämlich dann, wenn sie den Produzentinnen und Produzenten, die sich daran halten, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Doch aktuell stehen die Kaffeeproduzentinnen und -produzenten unter Druck. Ihr Dilemma: Sie befürworten den Schutz der Umwelt, tragen Sorge zu ihrem Land, betreiben Schattenanbau – und fürchten trotzdem, zu den Verliererinnen und Verlierern der ganzen Lieferkettengesetze zu werden. «Wir brauchen eine zentrale Plattform zur standardisierten Zertifizierung, damit nicht jedes Unternehmen mit seinen eigenen Vorstellungen und Regeln kommt», fordert ein Kaffeebauer in vierter Generation. Denn ohne klare Rahmenbedingungen bleibt Kaffee für viele Produzenten eine riskante Wette.

So funktioniert Fairtrade

Fairtrade-Kaffee garantiert Bauern faire Preise und bessere Arbeitsbedingungen. Damit Kleinbäuerinnen und -bauern nicht vom volatilen Weltmarktpreis abhängig sind, erhalten sie für den Rohkaffee einen Mindestpreis, der die Produktionskosten deckt, sowie eine Fairtrade-Prämie («Premium») für Gemeinschaftsprojekte. Der Handel erfolgt meist direkt, ohne Zwischenhändler, um mehr Gewinn vor Ort zu lassen. Zudem gelten Umweltauflagen, zum Beispiel nachhaltiger Anbau. Ziel ist es, Armut zu reduzieren und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Fairtrade-Label garantieren die Einhaltung dieser Standards. Aktuell beträgt der Minimum-Preis für Fairtrade-Kaffee 1,80$/Pfund. Dazu kommt gegebenenfalls ein Bio-Aufschlag von 40 Cent sowie der Premium von 20 Cent. Dieser wurde bei der im Haupttext erwähnten Kooperative Los Pinos in El Salvador in der Vergangenheit beispielsweise für Projekte wie die Erstellung einer Pensionskasse für Senioren oder eines Gesundheitsfonds für Mitarbeitende genutzt. Mit Blick auf die steigenden regulatorischen Anforderungen nutzen viele Fairtrade-Kooperativen den Premium für Schulungen in landwirtschaftlichen und geschäftlichen Praktiken.