Der Chef von Roche Deutschland Hagen Pfundner nimmt Stellung zur Verfassungsklage gegen den deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach

Der Vorgang ist selten und schlägt hohe Wellen: Vergangene Woche legte sich Roche Deutschland per Verfassungsbeschwerde mit der deutschen Bundesregierung an. Konkret klagt Roche gegen das Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung des deutschen Gesundheitsministers Karl Lauterbach. Inzwischen hat sich die amerikanische Abbvie der Klage angeschlossen, andere Unternehmen werden vermutlich folgen. Im Interview mit der «Handelszeitung» sagt Hagen Pfundner, wie es dazu kam, dass der Deutschland-Chef eines Schweizer Konzerns mit der deutschen Regierung auf Konfrontationskurs geht. Was hat Sie zu diesem doch drastischen Schritt bewogen, eine Verfassungsklage gegen die deutsche Regierung einzureichen? Es kann nicht sein, dass ein Minister im Alleingang einen Schnellschuss abfeuert ohne jeden Dialog mit den betroffenen Unternehmen, also mit uns. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat über neun Monate hinweg Gesprächsangebote mit uns als pharmazeutischem Unternehmen und als pharmazeutische Industrie abgelehnt. Und wir sind nicht die Einzigen, die übergangen wurden. Auch die Ministerpräsidenten haben Änderungen eingefordert, ebenso wie die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder und Sachverständige. Sie alle wurden nicht gehört. Karl Lauterbach über die «Teppichhändler» der Pharmaindustrie Wer wissen will, was der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der Pharmaindustrie hält, der muss sein 2015 erschienenes Buch über die «Krebsindustrie» lesen. Die knapp 300 Seiten kommen einer Abrechnung mit den Pharmakonzernen gleich. Die Pharmaindustrie halte die Patienten und Patientinen in einem «Würgegriff», heisst es da, und es ist von «unethischen» Praktiken und von den «Teppichhändlern» in der Pharmaindustrie ist die Rede. Die Kosten der Therapien stünden in keinem vernünftigen Verhältnis zu ihrem realen Nutzen, schreibt der studierte Arzt Karl Lauterbach, der vor knapp zwei Jahren vom Pandemiepolitiker zum Gesundheitsminister aufstieg, ohne zu erwähnen, dass die Medikamentenpreise administriert sind. Dass Karl Lauterbach kein Freund der Pharmaindustrie ist, zeigen auch pauschale Vorwürfe wie dass die Medikamentenpreise nichts mit den Entwicklungskosten zu tun hätten, sondern dass sie nur den «Profitinteressen» der Unternehmen dienten, dass die Konzerne ihre Marktmacht missbrauchten und die Pharmafirmen die Forschung behinderten. Der heutige Gesundheitsminister warnt vor einer «Kostenlawine», die wegen der Babyboomer auf uns zurolle. Gleichzeitig prognostiziert er, dass es wohl kaum zu grossen Durchbrüchen bei der Behandlung von Krebs kommen werde. Ein Glück, dass er in diesem Punkt irrte. Was ist Ihre Kritik? Das Gesetz verletzt Rechte, die uns die Verfassung garantiert, und es ist unklar, wie die Massnahmen hergeleitet wurden. Es ist somit nicht nur politisch ein Fehler, sondern auch rechtlich ein systemwidriger Eingriff. In dem Gesetz geht es um kurzfristige Massnahmen, die keine strukturellen Veränderungen mit sich bringen, um die Situation in unserem Gesundheitswesen langfristig zu stabilisieren. Es geht einfach darum, den Unternehmen durch «Sondersteuern» tief in die Tasche zu greifen, und das auch noch in einem Ausmass, das unverhältnismässig ist und massiv in unsere Geschäftstätigkeit eingreift. Hinzu kommt, dass wir – im Gegensatz zu anderen Branchen – per Gesetz die steigenden Produktionskosten und Teuerungen nicht ohne Weiteres ausgleichen können. Bei einer Inflation von 0,5 oder 1 Prozent geht das ja noch. Aber jetzt sind wir in Deutschland zeitweise bei über 8 Prozent, die Lohnkosten steigen noch stärker. Die Belastungsgrenze ist für uns inzwischen längst erreicht und überschritten. Um wie viel Geld geht es? Bei Roche in Deutschland allein über 100 Millionen Euro im Bereich der Arzneimittel; die Pharmaindustrie als Ganzes wird mit 4 Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Das ist substanziell. 100 Millionen Euro, das entspricht dem, was wir in Deutschland pro Jahr in klinische Studien für Patientinnen und Patienten investieren. Wir haben es hier mit einer Zwangssteuer zu tun, die uns massiv in unserer unternehmerischen Freiheit einschränkt. Hervorzuheben ist, dass wir seit Jahren einen etablierten Verhandlungsrahmen zwischen Experten aus Krankenkassen und Unternehmen haben, in dem die Preise für Arzneimittel verhandelt werden. Dieser Rahmen wird jetzt mit den gesetzlichen Neuregelungen ad absurdum geführt – das Gesetz straft Innovationen ab. Ist das klug, wenn man als Unternehmen – vor allem auch als ausländisches und noch dazu in einer hoch regulierten Industrie tätiges – derart auf Konfrontation mit der Regierung geht? Selbstverständlich überlegt man sich das sehr, sehr gut und sehr lange. Ich würde aber nicht von «Konfrontationskurs» sprechen. Wir sind der Meinung, dass dieses Gesetz gegen das Grundgesetz verstösst, und wir möchten das vom Verfassungsgericht geklärt haben. Eine Verfassungsklage ist ein legitimes Mittel, das allen offen steht, auch uns als Unternehmen. Was wir eigentlich suchen, ist Klarheit. Wir wollen wissen, woran wir sind, damit wir uns entsprechend für die Zukunft aufstellen können. Wenn das Verfassungsgericht zum Schluss kommt, dass das alles rechtens ist, dann ist das auch eine Entscheidung. Zudem: Wir gehören zwar zu einem Schweizer Konzern, aber wir sind auch ein deutsches Unternehmen. Wir haben über 18'000 Beschäftigte in Deutschland, und uns gibt es, wenn Sie die Geschichte von Boehringer Mannheim (den deutschen Diagnostik-Hersteller, den Roche 1997 für 19 Milliarden Mark übernahm, Anm. d. Red.) dazunehmen, seit 150 Jahren in Deutschland. Und ich möchte, dass das auch so bleibt. Deshalb wehren wir uns. Ich will nicht zu denen gehören, die über die Rahmenbedingungen schimpfen, und sich dann klammheimlich vom Acker machen und ihre Aktivitäten woandershin verlegen. So gesehen ist die Klage auch ein Hilferuf und ein Bekenntnis zum Standort, dass wir hier bleiben wollen. Biontech hat sich bereits vom Acker gemacht. Das Unternehmen, das einen der beiden Corona-Impfstoffe entwickelt, wird seine Krebsforschung nicht in Mainz machen, sondern in Grossbritannien. Selbst die «Bild»-Zeitung war alarmiert. Wie gut steht es um den Standort Deutschland für die pharmazeutische Industrie? Wir haben über eine Million Beschäftigte in der industriellen Gesundheitswirtschaft. Wir liefern ein Vielfaches an direkter und indirekter Wertschöpfung im Vergleich zu dem, was unsere Arzneimittel den Steuerzahler und die Krankenversicherungen kosten. Die innovationsfeindliche Gesetzgebung führt dazu, dass zukünftige Investitionen erschwert werden. Und ja, es ist bereits Realität, dass Unternehmen deshalb ins Ausland abwandern und wir vor einer schleichenden Deindustrialisierung in Deutschland stehen. Wie gut dringen Sie mit dieser Botschaft durch? Wir haben unsere Dialoge im Wirtschaftsministerium massiv erhöht. Und da werden wir auch gehört. Es gibt beispielsweise einen runden Tisch zur Pharmaindustrie, den Wirtschaftsminister Robert Habeck initiiert hat. Er hat verstanden, wie wichtig unsere Industrie für den Standort Deutschland ist. Er hat kürzlich öffentlich gesagt, er sei unser «Gesundheitswirtschaftsminister». Das heisst: Habeck bügelt wieder aus, was Ihnen Lauterbach eingebrockt hat. Weiss hier die eine Hand nicht, was die andere tut? Das würde ich so nicht sagen. Richtig ist: Die Zusammenhänge zwischen Gesundheitspolitik, Versorgung von Patientinnen und Patienten und Wirtschaftspolitik hat der Gesundheitsminister mit dem Gesetz nicht ausreichend berücksichtigt oder die Risiken bewusst in Kauf genommen. Was passiert, wenn Sie in Karlsruhe verlieren? Das Risiko müssen wir eingehen. Ich kann nur sagen: Wir haben sehr, sehr kompetente Verfassungsrechtler konsultiert, und sie sagen uns, dass diese Eingriffe dem deutschen Grundgesetz widersprechen. Selbstverständlich arbeiten wir parallel auf politischer Ebene weiter. Inzwischen hat sich auch Abbvie Ihrer Klage angeschlossen. Werden weitere Unternehmen dazukommen? Das müssen Sie die anderen Unternehmen fragen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir in sehr intensivem Kontakt mit anderen Unternehmen sind, und auch mit dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller. Wir waren die Ersten, und jetzt warten wir mal ab, was noch passiert. Unser Appell und unsere Hoffnung ist, dass die eingeführten Belastungen rückgängig gemacht werden und wir gemeinsam das Gesundheitssystem fit für die Zukunft machen.

Der Chef von Roche Deutschland Hagen Pfundner nimmt Stellung zur Verfassungsklage gegen den deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach

Warum sich Roche mit Deutschland anlegt