Der letzte Coup: Wie Ivan Glasenberg mit Kohle sehr viel Kohle machen will

Fast könnte man meinen, der Mann wolle seinen Gegnern ein letztes Mal zuwinken: Environment? Social? Governance? Ihr könnt mich mal. Wenn ein Produkt im Jahr 2021 des Teufels ist – für viele wohl mehr als Kokain –, dann ist es die Steinkohle. Und wenn in einer Kohlemine politischer Zunder steckt, dann ist es El Cerrejón, gelegen in der mausarmen Provinz La Guajira im Nordosten von Kolumbien. Letztes Jahr lag das Bergwerk 91 Tage lang wegen Streiks darnieder, in diesem Jahr lief wieder wochenlang nichts, weil protestierende Indios oder protestierende Angestellte die Zugschienen blockierten, auf denen die Kohle an den Karibik-Hafen Puerto Bolívar verfrachtet wird. Aber aus Sicht von Ivan Glasenberg ist El Cerrejón ein Abschiedsgeschenk. Nach fast zwei Jahrzehnten an der Spitze von Glencore räumt er in dieser Woche sein Büro in der Konzernzentrale in Baar. Zuvor aber unterzeichnete er noch rasch einen Vertrag, welcher dem Minen- und Rohstoffriesen die volle Kontrolle über die grösste Kohlemine Lateinamerikas verschafft. Für maximal 588 Millionen Dollar übernimmt Glencore die Anteile von BHP, dem britisch-australischen Bergbaukonzern, und von Anglo American, dem britisch-südafrikanischen Minenriesen. Zu dritt hatten sich die Konzerne jahrzehntelang die Ausbeutung von El Cerrejón geteilt, doch die Angelsachsen hatten verkündet, aus dem Kohlebusiness aussteigen zu wollen: Nun ist mehr Nachhaltigkeit angesagt. Für Anglo American stellte der Kolumbien-Deal sogar Historisches dar: Es sei «unser letzter Schritt aus dem Kohlegeschäft», so Anglo-Konzernchef Mark Cutifani. So sieht es jetzt also aus: Zwei Bergbaufirmen geben dem Druck der Aktionäre, der Banken und einer kritischen Öffentlichkeit nach – und verscherbeln ihre Anteile an einer der grössten CO₂-Schleudern der Erde an eine dritte Bergbaufirma: Glencore from Switzerland. Der Konzern, der sich noch nie übermässig ums Image scherte und keinen Konflikt scheute. Die Kompanie von Ivan Glasenberg. Der gebürtige Südafrikaner hatte seine Karriere 1984 als Kohle-Trader begonnen, 1991 übernahm er die Leitung des weltweiten Kohle-Business von Glencore – und wenig später tat er einen waghalsigen Schritt: 1995, noch während Kolumbien im brutalen Dauerkrieg mit Farc-Guerillas und Kokain-Kartellen steckte, übernahm er die Abbaurechte an der gewaltigen Lagerstätte im Norden des Landes und gründete die Carbones del Cerrejón S.A. Der alte Kohlehändler habe eine gefühlsmässige Verbindung zu diesem Investment aus der Frühzeit seiner Karriere, sagen Leute, die Ivan Glasenberg kennen. Gut möglich, dass er mit dem Abschlussdeal seinem Nachfolger Gary Nagle – auch der ein Kohlemann – ein Erinnerungsstück mit auf den Weg geben wollte. Doch vor allem ist Glasenberg bekannt dafür, ein eiskalter Rechner zu sein. Und wenn man es kühl betrachtet, ist die Steinkohle bei aller Erderwärmung ein Geschäft mit strahlender Zukunft. Die Menschheit verschleudert mehr schwarze Energie denn je, weltweit wurden letztes Jahr neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von über 50'000 Megawatt ans Netz gelassen: Nichts da von Abbau – die Klima-Kampagnen von San Francisco bis St. Gallen tragen höchstens ein bisschen dazu bei, dass der Zuwachs etwas kleiner wird. Und so erwarten Experten, dass der Tonnenpreis in diesem Jahr einen neuen Rekord hinlegen könnte – nachdem er wegen der weltweiten Lockdowns im letzten Jahr massiv unter Druck geraten war. Ivan Glasenberg packte also in einem Augenblick zu, wo BHP und Anglo American der dreckigen Sache in Südamerika überdrüssig sein mussten, nicht nur wegen Image-Problemen, nicht nur wegen der Investoren, nicht nur wegen des Wunschs, sich frischer aufzustellen. Eine Goldgrube ist El Cerrejón ohnehin nie gewesen, und im letzten Jahr hat die Anlage gar happige Verluste eingefahren. Das Bergwerk im Umfang des Fürstentums Liechtenstein wird 2021 zum Schnäppchen für Glasenberg. Im Communiqué zum Deal rechnet Glencore vor, dass die Kaufsumme innert weniger als zweier Jahre nach dem Closing wieder hereingespielt sein dürfte. Ausbauen und dann runterfahren Eben: Ivan Glasenberg, der Rohstoffhändler und Minenbetreiber, kann rechnen. Und er setzt, wie immer, auf Angriff – und auf Risiko. Wenn er jetzt die umstrittene Mega-Mine zum Ausverkaufspreis eintütet, dann tut er es, weil er sich einen satten Gewinn verspricht: ein Finale Furioso zum Abschied. In der Mine wird nun optimiert, geölt und der Diskurs mit den Kritikern gesucht. Dann wird die Produktion massiv erhöht und im besten Fall die Marge ums Zwei- bis Dreifache ausgeweitet. Bis exakt Ende 2030, das ist Glasenbergs Plan, soll es noch richtig klimpern, denn die Kohlenachfrage gerade aus Asien ist ungebrochen. Und weil die Konkurrenz längst kalte Füsse hat, profitiert Glencore erst recht.Glencore: Mini-Ivan folgt auf Big Ivan Mit der Wahl seines Nachfolgers sichert sich Langzeit-Chef Ivan Glasenberg Einfluss. Die Analyse. Daran ändern auch die Proteste der Klimaaktivisten von Greenpeace bis Public Eye nichts. Diese werden von Glasenberg mit einem fein verpackten Goodie bedient. Denn ab 2034 läuft die Abbaulizenz El Cerrejón aus und darf, so bläut Glasenberg seinem Nachfolger Gary Nagle ein, auf keinen Fall erneuert werden. Dieser Schnitt wird sich eindrücklich in der Ökobilanz der Firma niederschlagen: Gary Nagle wird dann einen massiven Rückgang beim Emissionsausstoss verkünden dürfen, und er kann Bilder um die Welt schicken, auf denen die Begrünung des Minengeländes zu bewundern ist. Schliesslich hat Glencore in seinen ambitiösen Umweltzielen versprochen, die Gesamtemissionen bis 2035 um 50 Prozent zu senken. Die Marschrichtung Glasenbergs ist beim Publikum angekommen. Der Aktienkurs hat trotz Ausbau des Kohlegeschäfts nicht gelitten, ganz im Gegenteil. Mr. Coal hat es in seinen letzten Arbeitsstunden mit diesem Deal nochmals allen gezeigt – Konkurrenz und Kritikern.