Es ist, als würde eine Staumauer eingerissen: Bald schon sollen Kunden in der Schweiz 300 Millionen Produkte auf Amazon bestellen können – dank einem Deal mit der Schweizerischen Post. Sie soll Verzollung, Rücksendungen und Bezahlungen regeln.

Wohl auch angesichts der drohenden Amazon-Flut hat Coop die Waffen gestreckt und stellt ihren Online-Marktplatz Siroop Ende Jahr ein. Schon jetzt ist Amazon mit einem geschätzten Umsatz von 600 Millionen Franken dicht hinter Zalando der drittgrösste Online-Shop der Schweiz. Laut Experten dürfte sich dieser Wert innert drei Jahren vervierfachen. Gelingt das, wäre Amazon hierzulande mit Abstand der stärkste Player. Können Schweizer Online-Händler neben dieser Dominanz bestehen?  

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Noch gehört der Thron Digitec Galaxus. Das Unternehmen tut alles, damit das so bleibt. Neu kooperiert es mit Vögele Shoes und dem Online-Shop Surf4shoes und erweitert damit das Schuhsortiment um 11’000 Modelle. Erst Ende März wurde bekannt, dass sämtliche Artikel der Migrostochter Ex Libris auf Galaxus verfügbar sind. Und Anfang Jahr nahm der Marktplatz 24’000 Produkte des Warenhauses Globus ins Sortiment auf.

Galaxus will im Modehandel wachsen

So schnellte das Angebot in kurzer Zeit von unter einer Million Artikeln auf 1,6 Millionen. Bis zum Sommer sollen es mehr als zwei Millionen sein. Wachsen will der Marktplatz besonders im Modebereich: «Wir sehen im Online-Modehandel viel Potenzial. Wir werden deshalb in den kommenden Monaten stark auf Mode setzen und Schlag auf Schlag weitere Händler anbinden», sagt Digitec-Galaxus-Sprecher Alex Hämmerli auf Anfrage.

Wachsen soll vor allem die Plattform Galaxus. 2001 wurde Digitec als Online-Shop für Elektrogeräte gegründet. 2012 kam der Marktplatz Galaxus dazu – um unter neutralerem Name alle möglichen Produkte anzubieten. Zwar ist Digitec noch die stärkere Marke, erwirtschaftet sie doch 80 Prozent des Gesamtumsatzes von 861 Millionen Franken. Doch der Markt mit Elektronik-Artikel ist gesätigt. Galaxus wachse schneller, bestätigt Hämmerli.

Fokus auf den Marktplatz

Das Unternehmen dürfte künftig wohl stärker auf die Marke Galaxus setzen. Schon jetzt können sämtliche Digitec-Artikel auf Galaxus gekauft werden, nicht aber umgekehrt. Digitec bliebe dann zwar der starke Online-Shop für Elektroartikel – Galaxus aber soll zum Marktplatz wachsen, der auch künftig neben Amazon bestehen kann. «Das Konzept des Online-Warenhauses gibt uns die Möglichkeit, mit zusätzlichen Produktsegmenten neue Kundengruppen anzusprechen, etwa mit Delikatessen, mit Haustierfutter oder mit Fashion», sagt Hämmerli. Ziel sei es, fast alles für fast jeden anbieten zu können.  

Es ist derselbe Leitspruch, den sich Amazon auf die Fahne geschrieben hat. Dass der Schweizer Händler vor dem US-Giganten nicht zurückschreckt zeigt die Tatsache, dass noch dieses Jahr in Deutschland das Portal «Galaxus.de» an den Start gehen soll. Funktioniert das, will Galaxus in andere europäische Länder expandieren. Kürzlich wurde im süddeutschen Weil am Rhein ein Logistikzentrum in Betrieb genommen. Damit wird der grenzüberschreitende Warenverkehr geregelt.

Preise sollen sinken

«Dank unserem EU-Hub können wir Händler aus Deutschland und anderen EU-Ländern anbinden, auch wenn diese in der Schweiz keine Logistik-Infrastruktur haben», sagt Hämmerli. Lieferungen aus der EU landen somit schneller beim Kunden. Zudem muss sich dieser nicht mehr mit Verzollung und Mehrwertsteuer herumschlagen.

Statt vor Amazon in Deckung zu gehen, schaltet Galaxus auf Angriff. Zum Amazon-Deal mit der Post sagt Hämmerli: «Wir gehen nicht davon aus, dass die schnellere Verzollung von Amazon-Lieferungen unserem Geschäft schaden wird.» Er sieht sogar Vorteile. Denn die verstärkte Präsenz von Amazon in der Schweiz helfe, bessere Einkaufspreise durchzusetzen. Allfällige Preisdifferenzen etwa zu Deutschland kämen nicht aufgrund höherer Margen zustande, sondern wegen höherer Einkaufspreise bei den Importeuren und Herstellern.

Mit besserem Service punkten

Galaxus will die Preise im Schweizer Onlinehandel an das deutsche Niveau angleichen. Das ist zwingend, um langfristig mit Amazon mithalten zu können. Es gibt aber noch andere Gründe, weshalb Hämmerli den grossen Konkurrenten nicht fürchtet: «Wir bieten Leistungen, die Amazon auch mit einer 24-Stunden-Lieferung nicht bietet.» Er nennt etwa den Schweizer Kundendienst oder die zehn stationären Shops und die PickMup-Standorten der Migros, bei denen Kunden ihre Bestellungen abholen können – knapp ein Drittel aller Bestellungen würden abgeholt. Einfacher sei auch die Abwicklung von Retouren, die nicht über die Grenze verschickt werden müssten. Zudem akzeptiere Digitec Galaxus Schweizer Zahlungsmittel wie Postfinance oder Twint.

Amazon
Quelle: Statista

Die Chancen stehen auch aus einem einfachen Grund nicht schlecht. Zwar ist die Schweiz für E-Commerce ein interessanter Markt. Doch Amazon betreibt hierzulande weder einen Sitz noch einen Kundendienst oder Logistikzentrum. Bisher gibt es keine Anzeichen, als wollte Amazon in der Schweiz richtig heimisch werden. International gesehen ist die Eidgenossenschaft kaum ein Faktor für den Giganten. Letztes Jahr erzielte der Konzern weltweit einen Umsatz von mehr als 177 Milliarden US-Dollar. Allein in Deutschland setzte Amazon fast 17 Milliarden Dollar um. Zur Erinnerung: In der Schweiz sind es geschätzt gerade mal 600 Millionen Franken.

Hiesige Online-Händler können sich somit einen Vorteil verschaffen. Zumindest wenn sie speziell auf die Bedürfnisse von Schweizer Kunden eingehen und einen besseren Service bieten.