Zur Freude der Konsumenten übertrumpfen sich die Anbieter mit Senkungs-Runden: Denner hat Anfang Juni bei 130 Artikeln die Preise um bis zu 30% herabgesetzt, Pick Pay um 5 bis 10% aufs ganze Sortiment, wenn auch vorderhand nur in drei Testläden. Die Migros baut die Günstiglinie M-Budget weiter aus, und Coop kurbelt die Aktionen zusätzlich an und will Effizienzgewinne über permanente Abschläge sofort seinen Kunden weitergeben. Carrefour rühmt sich, innerhalb von drei Jahren die Preise bereits um 8% reduziert zu haben und erstattet Kunden, die bei der Konkurrenz ein Produkt günstiger kaufen, die Differenz zehnfach zurück.

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Mehrumsatz gegen Margenschwund

Gezwungenermassen machen beim aktuellen Preisrennen alle mit. Ein Hochpreis-Image kann sich im Zeitalter des geilen Geizes schlicht niemand leisten. Fragt sich nur, wer dabei am meisten bluten muss. Die Ausgangslage für Preissenkungen ist für jeden Anbieter anders, und wirklich in die Karten gucken lässt sich natürlich niemand. «Wir können als weltweit zweitgrösster Detailhändler beim Einkauf unsere Muskeln spielen lassen», erklärt Carrefour-Sprecher Michel Donath, ohne aber Details über die Margen zu verraten. «Die Margen sind eben bei allen ein bestens gehütetes Geheimnis», betont Thomas Hochreutener von der IHA-GfK. «Die Gewinne der grossen Detailhändler liegen in der Schweiz bei unterdurchschnittlichen 1 bis 2% des Umsatzes», lässt Migros-Sprecherin Monika Weibel immerhin durchblicken.

Auf die konkrete Frage, wer denn jene 8 bis 20% bezahlt, um die Markenartikel von der Nivea-Handcrème (8%) über Nutella (16%), Red Bull (17%), Knorr Beutelsuppe (18%) bis Kelloggs Frosties (20%) bei Denner günstiger sind als bei Migros und Coop, lässt Denner-Sprecherin Eva-Maria Bauder verlauten: «Wir nehmen bewusst Margenreduktionen in Kauf, die wir mit steigenden Umsätzen wettmachen». Auch Pick Pay behauptet, die Margeneinbussen über Mehrumsätze zu kompensieren.

Kleine Discounter könnten so rechnen, aber für die grossen Anbieter lägen zweistellige Umsatzgewinne nicht mehr drin, wird diese Strategie bei der Migros kommentiert. Dass Denner die Preisreduktionen gänzlich aus der eigenen Tasche bezahlt, will aber in Branchenkreisen niemand so richtig glauben. «Nach unserer Einschätzung geschieht das kaum ohne entsprechende Forderungen gegenüber der Industrie», sagt John Peter Strebel, Präsident des Markenartikelverbandes Promarca. Bei Coop vermutet man, dass die Lieferanten zu Konzessionen gezwungen worden sind. Bei Herstellern und Importeuren wie Beiersdorf, Kellogg''s oder Unilever Bestfoods sind darüber allerdings keine Details zu erfahren. Die Preisgestaltung sei ausschliesslich Sache des Handels, heisst es.

«Die Margensituation ist im Schweizer Detailhandel viel zu angespannt, als dass Einbussen einfach so in Kauf genommen werden könnten», sagt Coop-Sprecher Jörg Birnstiel. Durchaus Preissenkungspotenzial sieht er hingegen in der Lebensmittelindustrie. «Dort liegen die Gewinnspannen bei rund 15%.» Deswegen will sich Coop selber in den nächsten Wochen jene Lieferanten vorknöpfen, deren Produkte Denner jüngst verbilligt hat. Wenn schon Preise gesenkt werden, dann sollen auch die vorgelagerten Stufen ihren Beitrag leisten.

Wenig begeistert darüber ist Strebel, denn auch in der Industrie könnten Preis- nicht mehr länger mit Kostensenkungen aufgefangen werden. «Die Schmerzgrenze für die Industrie ist mehr als erreicht», argumentiert er. Konsequenz der Preisabwärtsspirale könnten am Ende Produktionsverlagerungen ins Ausland sein.

«Über kurz oder lang werden alle Federn lassen müssen», ist Detailhandelsexperte Gotthard F. Wangler überzeugt. Jeder werde versuchen, seine Marge zu behalten und den Verlust abzuwälzen nach dem Prinzip, dass den letzten die Hunde beissen. Für internationale Konzerne, die bisher in der Schweiz gut verdient hätten, werde eine geringere Marge kaum entscheidend sein. Kritisch könnte es für kleinere Schweizer Anbieter werden.

All diese Spekulationen, wo denn letztlich der schwarze Peter landen wird, lassen Denner kalt. Der Discounter behauptet munter, dass der Spielraum für Preissenkungen noch längst nicht ausgeschöpft sei. «Alle Schweizer Marktteilnehmer entlang der Wertschöpfungskette haben in den letzten Jahren gut verdient: Lieferanten, Produzenten, Händler und Fachhändler und nicht zuletzt auch der Staat», so Bauder.

Es droht minderwertige Mayonnaise

Die Schmerzgrenze für die Einsparungen hängt laut Hochreutener letztlich auch vom Konsumenten ab. Ist er allenfalls bereit, Qualitätseinbussen hinzunehmen? Wird er zum Beispiel die kargeren Läden von Aldi und Lidl goutieren? Die Konsumenten hätten es in der Hand zu entscheiden, dass ihnen nicht nur der Preis, sondern auch Kriterien wie Arbeitsbedingungen in der Herstellung oder Tierhaltung wichtig seien, mahnt Weibel.

Was im Moment an der Preisfront passiert, könnte erst ein Vorgeplänkel sein. Die Stunde der Wahrheit schlägt in vier Jahren, wenn die Landwirtschaftszölle abgeschafft werden und Fleisch, Molkerei- und Frischprodukte unter Druck geraten. Dann könnten die Preise wirklich auf europäisches Niveau purzeln. Allerdings mit dem Risiko eines ruinösen Wettbewerbes, bei dem am Schluss keiner mehr etwas verdient und die Mayonnaise, die aus der Thomy-Tube quillt, nur noch aus minderwertigen Ingredienzien besteht.

Aldi und Lidl sorgen für Nervosität: Sie wollen um 50 Prozent billiger sein

Angeheizt wird der unerbittliche Preiskrieg im Detailhandel vordergründig durch Preisvergleiche in den Medien. Je nach Warenkorb kommt es dabei zu anderen Resultaten. Ein Test im «K-Tipp» Anfang März ergab eine Zweiklassengesellschaft: Einerseits die Günstigen wie Carrefour, Denner und Migros, anderseits die Teuren wie Coop, Spar, Pick Pay und Volg. Die Preisunterschiede betrugen bis zu 30%. Bei einem kürzlichen Preisvergleich mit Markenartikeln im «Blick» waren die Unterschiede geringer: Denner war im Schnitt 13 und 16% billiger als Migros und Coop. Doch obwohl hier nicht Äpfel mit Birnen, sondern identische Markenprodukte verglichen wurden, brachte auch dieser Test nicht die letzte Wahrheit ans Tageslicht. «Wir führen über 40000 Artikel im dichtesten Verkaufsstellennetz, während Denner lediglich 800 Artikel anbietet», reklamiert Coop-Sprecher Jörg Birnstiel. Wer also vergleichen wolle, der solle bitte das ganze Sortiment unter die Lupe nehmen und nicht einfach einzelne Produkte herauspicken.

Die Preisabwärtsspirale, an der alle munter schrauben, hat einen tieferen Grund als blosse Warenkorb-Vergleiche in den Medien. Die Statistik der EU bestätigt, dass die Schweiz ein Hochpreisproblem hat. Lebensmittel kosten bei uns 51% mehr als im Durchschnitt der EU-Länder. Die beiden deutschen Discounter Aldi und Lidl wollen das ändern und den Schweizer Detailhandel mit bis zu 50% günstigeren Preisen neu aufmischen. Zwar dürften sie sich auf der Suche nach jenen 50 bis 100 Standorten, die sie zur Flächenabdeckung mindestens brauchen, noch die Zähne ausbeissen. Doch schon ihre Ankündigungen eines Markteintritts haben genügt, um Migros, Coop und Konsorten nervös zu machen.