Twitter kriegt schlagkräftige Konkurrenz. Statt Vögelchen könnten viele Nutzer bald ein Mammut sehen – das Logo des Open-Source-Netzwerks Mastodon.social. Zuletzt war dieses innerhalb von 48 Stunden um 73 Prozent auf 41'703 Mitglieder gewachsen. «All die coolen Kinder migrieren zu Mastodon», titelt das US-Magazin Mashable. Das ging so weit, dass Mastodon-Gründer Eugen Rochko am Dienstag vorübergehend den Zugang für neue Anmeldungen sperrte.

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Grund für die Migration war laut dem US-Portal Verge für viele Nutzer eine Änderung in den Twitter-Nutzerbedingungen. Das in der Krise steckende Netzwerk hatte letzte Woche eine weitere Lockerung der Zeichenanzahl verkündet. Der Nutzername, der bisher mit einem @ am Anfang einer Antwort stand, werde in Zukunft über der Nachricht erscheinen und damit nicht in das 140-Zeichen-Limit einfliessen. Viele Nutzer fanden das verwirrend. Ausserdem denkt das Netzwerk über die Einführung von kostenpflichtigen Diensten nach.

Wikipedia-Prinzip

Auch Mastodon-Gründer Eugen Rochko, ein 24-jähriger Deutscher, ist seit längerem genervt von den Änderungen bei Twitter. Vor allem, nachdem bekannt wurde, dass Twitter wie Facebook mit einem Algorithmus seine Nachrichten sortiert. «Ich habe alle meine Freunde zu Twitter gebracht», sagt Rochko gegenüber Verge.com. «Aber das Netzwerk hat immer wieder Entscheidungen getroffen, die ich nicht mochte.» Er fing an, Mastodon aufzubauen.

Das Netzwerk funktioniert nach dem Open-Source-Prinzip, ähnlich wie Wikipedia. Mastodon gehört nicht einer Person sondern allen Nutzern. Jeder kann seinen eigenen Server, auch Instanz genannt, aufsetzen. Den Code dafür gibt es gratis. Die Nutzer könnten über ihre eigenen Instanzen untereinander kommunizieren und bestimmen, ob die Timeline öffentlich oder privat sein soll. Rochko vergleicht das dezentrale Prinzip hinter seinem Netzwerk mit jenem hinter E-Mails. So können Gmail-Nutzer Personen mit einem Yahoo-Account E-Mails schreiben, auch wenn die Accounts auf verschiedenen Servern gehostet sind.

«Toots» statt «Tweets»

Wie bei Twitter können Nutzer anderen folgen und Status-Updates namens «Toots» posten, ein «Retweet» ist hier ein «Boost». Einzelne Posts können ähnlich wie bei Facebook als privat markiert werden. Bei Twitter ist das nicht möglich. Die Zeichen-Obergrenze liegt bei Mastodon bei 500 anstatt 140 Zeichen. Und es gelten strikte Regeln: Nazi-Symbole, genauso wie rassistischer oder sexistischer Content, übermässiges Werben, Fake News und Gewaltdarstellungen sind nicht erwünscht. Unklar ist, wie die Einhaltung dieser bei wachsenden Nutzerzahlen sichergestellt werden soll.

Gründer Rochko will sich an dem System nach eigenen Angaben nicht bereichern und hat kein Interesse an Investoren, wie er auf der Software-Development-Plattform GitHub schreibt. Seine Lebenskosten sowie die Kosten für die Entwicklung seiner Plattform deckt er über ein Crowdfunding ab. Über die Plattform «Patreon» hat er sich bislang rund 1000 Dollar pro Monat gesichert. Die Betreibungskosten für Mastodon belaufen sich für ihn derzeit auf rund 100 Dollar. Durch die dezentrale Organisation des Netzwerks sollen die Nutzer die Kosten für den Betrieb künftig mittragen – da jeder seinen eigenen Server betreut.

Wenig benutzerfreundlich

Rochkos Versuch ist nicht der erste, eine Alternative zu Twitter zu bieten. 2012 gründete der Software-Developer Dalton Caldwell App.net, einen Twitter-Klon der über Crowdfunding finanziert werden sollte. Caldwell sammelte zwar 500'000 Dollar von unzufriedenen Twitter-Nutzern ein, sein Netzwerk wuchs aber nicht genug und musste schliessen. Diaspora, ein Facebook-Klon mit Fokus auf Privatsphäre versuchte ebenfalls, sich als Open-Source-Netzwerk zu etablieren. Eingeschlagen hat es beim Nutzer nicht.

Auch Mastodon rechnen gewisse Stimmen keine grossen Chancen zu. Das Digitalportal t3n schreibt: «Aufgrund der quasi nicht vorhandenen Benutzerfreundlichkeit wird Mastodon nicht das Tool für die Massen sein, das die Kehrtwende weg von Twitter, hin zu dezentralen Strukturen einleitet», heisst es dort. Das System sei eher für jene geeignet, die bereits bei anderen dezentralen Strukturen unterwegs seien.

Kritik am Netzwerk kommt derweil auch von den eigenen Nutzern. Einige beschweren sich, dass die «Techies» das Netzwerk für sich entdeckt haben und überfluten. Auch Grosskonzerne wittern das nächste grosse Ding. Walmart etwa hat bereits ein Profile erstellt. Ob Mastodon tatsächlich das «neue Twitter» wird oder ob dem Ur-Tier dasselbe Schicksal wie den anderen Herausforderern der etablierten Netzwerke blüht, wird sich zeigen.

 

Redaktorin Caroline Freigang
Caroline Freigangschreibt seit 2019 für den Beobachter – am liebsten über Nachhaltigkeit, Greenwashing und Konsumthemen.Mehr erfahren