Sonja Wunsch ahnte Schlimmes, als sie nach vier Wochen Ferien den Computer das erste Mal aufstartete. Und tatsächlich: Die Mailbox der Chefredaktorin der Computerzeitung «PC Tipp» war zum Bersten gefüllt mit Werbemails. Total 9000 E-Botschaften kamen in ihrer Abwesenheit angeschwemmt, 6000 davon wurden bereits beim Server ausgefiltert. In Wunschs Inbox befand sich immer noch die ungeheuerliche Summe von 3000 Mails. 2000 davon waren ebenfalls Spam. Ähnlich ergeht es Stefan Howeg, Pressesprecher bei Cablecom. Er ärgert sich täglich über unerwünschte Mails. Seit Howeg diesen Sommer bei der britischen «Financial Times» einen Newsletter bestellt hat, überfluten Spam-Mails seinen Briefkasten. 70 Spam-Mails landen täglich trotz Einsatz von Filtern in seiner Box. Interventionen beim britischen Finanzblatt fruchteten bisher nichts.

Wunsch und Howeg sind keine Einzelfälle. Die elektronischen Briefkästen quillen über. Und es wird immer schlimmer.

*Sex und schnelles Geld*

Die Spamflut nimmt weiter zu. Gemäss dem Filteranbieter Brightmail waren im Dezember 58% aller versandten Mails Müll. Anfang 2002 lag die Rate noch unter 20% (siehe Grafik). Produkte-Werbung, Sex und schnelles Geld sind dabei die Renner (siehe Grafik). Bluewin, der grösste Schweizer E-Mail-Anbieter, fischt heute täglich mehrere Mio Spam-Mails aus dem Netz. 40% der täglich rund 30 Mio Mails, die über seine Server laufen, seien Müll, sagt eine Pressesprecherin. Wer dabei einen exponierten Job hat wie Wunsch und Howeg, folglich seine E-Mail-Anschrift offen im Internet publiziert hat, ist dabei besonders anfällig. Ihre Adressen gehen leicht in die Fänge eines Spammers, das Bombardement beginnt.

Die unerwünschte Werbeflut verursacht inzwischen horrende Kosten. Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung schätzt sie weltweit auf 27 Mrd Fr. Auf die Schweiz dürften laut Swiss Internet User Group knapp 300 Mio Fr. entfallen. Die Kosten tragen dabei die Empfänger und Internetanbieter. Denn Spams ziehen Investitionen in die Infrastruktur (Netze, Speicher, Server) nach sich. Ausserdem muss neue Software (Filter) angeschafft werden. Die meisten Kosten dürften heute Wartung und Support verschlingen. Grosse Provider wie Bluewin haben ihre Teams 2003 entsprechend ausgebaut. 15 Personen beschäftigen sich bei Bluewin heute mit Spam. Die jährlichen Kosten belaufen sich auf mehrere Mio Fr. Sunrise und Cablecom reden ebenfalls von einem beträchtlichen Mehraufwand. Diesen verzeichnen nicht nur Internet-Anbieter, sondern alle Schweizer Unternehmen. «Es ist ärgerlich, wir mussten in Software investieren, nur damit man etwas nicht mehr bekommt, was wir ohnehin nicht wolllen», sagt Martin Oser, Informatikchef der im Büro- und Papeteriegeschäft tätigen Waser-Gruppe. Weil die Werbeflut immer unerträglicher wurde, installierte auch die Lenzburger Softwarefirma Finova eine Filtersoftware, für deren Pflege Informatikleiter Peter Stalder mindestens einen Tag pro Monat aufwenden muss.

Rund 90% des Werbemülls kann Stalder so abfangen. Damit verfügt sein Unternehmen über eine sehr hohe Trefferquote. Wesentlich tiefer ist sie bei Bluewin, wo 70% der Spams erwischt werden. Am höchsten ist die Fangquote heute bei spezialisierten Anbietern wie etwa der Winterthurer Cleanmail, die 98% der unerwünschten Mails herauszufiltern verspricht. Anwender müssen abwägen: Je feiner der Spamfilter, desto höher die Chance, dass auch erwünschte Post im Filter hängen bleibt.

Selbst die beste Filtersoftware kann nicht verhindern, dass weiter gespamt wird. Je besser die Software-Filter werden, desto trickreicher werden die Spammer. Doch auch Anfänger kommen schnell zum Ziel. Millionen von Mailadressen sind im Internet offen zugänglich. Und wem die Sucherei zu viel ist, der kauft sie ein. 1 Mio E-Mail-Adressen sind gemäss AOL-Sprecher Jens Nordlohe für weniger als 500 Dollar zu haben. Die Rechnung der Spammer ist einfach: Steigt einer von 1000 Kunden aufs Angebot ein, hat der Spammer seine Ausgaben bereits wettgemacht. Laut Branchenkennern ist die Reaktionsquote aber deutlich höher. Die Zeitschrift «Wired» berichtete letzten August von der Firma Amazing Internet Products. Sie hat via unerlaubte E-Mails potenzsteigernde Mittel beworben und so innert vier Wochen 6000 Bestellungen zu 100 Dollar bekommen.

Der Gesetzgeber steht dem Treiben ziemlich machtlos gegenüber. In Deutschland ist Spam bereits verboten, die restlichen EU-Länder müssen gleichenziehen. Weiter sind die USA, wo seit Anfang Jahr ein Gesetz gegen Spam in Kraft ist. Kalifornien droht Spammern mit drakonische Bussen bis 1,3 Mio Dollar. In Virginia schnappte die Polizei zu und verhaftete noch im Dezember zwei mutmassliche Täter. Auch in der Schweiz soll mit dem Inkrafttreten des revidierten Fernmeldegesetzes im Jahr 2005 Spamming strafbar werden.

*Erwischt werden Spammer nur selten*

Der Spamflut wird dies keinen Abbruch tun. Denn Spammer agieren längst international und werden nur selten erwischt. Spammerhochburg Nummer eins sind mit einem Anteil von über 50% die USA, das Land mit den strengsten Anti-Spam-Gesetzen. Auf dem Vormarsch sind laut Alex Broens vom Filterdienst Cleanmail Länder wie China, wo es kaum Kontrollen gibt.

Den wirksamsten Schutz gegen Spam bietet nebst Softwarefiltern immer noch das korrekte Verhalten der Empfänger. Hält man sich an einige wichtige Regeln (siehe Kasten), dann wird man nicht so schnell Opfer unerwünschter Massensendungen. Das hat auch die schweizerische Post erkannt und betreibt aus diesem Grund seit längerem eigentliche Aufklärungskampagnen im Unternehmen, auf Flugblättern und im Intranet.

Sollte die Flut in gleichen Mass weiter zunehmen, droht dem E-Mail als Kommunikationstool der Kollaps. Spätestens dann, wenn Mitarbeiter wichtige Geschäftspost wegen überfüllter Mail-Boxen übersehen, drängen sich Alternativen auf. Technisch könnte dies in Form eines neuen Mail-Protokolls auf die Wege geschoben werden. Bis es so weit ist, wird Sonja Wunsch am Mail keine Freude mehr haben: «Die Spammer haben mir die Freude am Verschicken von E-Mails vergällt», sagt sie.

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