Interview mit Eat.ch-Chef Dominic Millioud

Wo kriegt man in der Stadt Zürich eine richtig gute Pizza? Dominic Millioud: In Alt-Wiedikon, 8045, bestelle ich gerne meine Pizza Calabrese mit scharfer Salami und Oliven. Sie funktionieren nach Postleitzahlen? Eine Delivery-Déformation professionelle? Kann man so sagen. Muss der Pizzaboden dünn und knusprig oder dick und fluffig sein? Das ist die gleiche Gretchenfrage wie bei den Pommes frites (lacht). Für mich muss er dünn sein. Ich bin ein Fan der klassischen neapolitanischen Pizza. Essen Sie als Delivery-König überhaupt auswärts oder lassen Sie sich alles nach Hause liefern? Ich bestelle viel, aber ich mag es genauso gerne, zu kochen oder auswärts essen zu gehen. Ich lege Wert auf das Ambiente. Oder der Anlass entscheidet. Man kann sich Essen bequem nach Hause liefern lassen. Aber die meisten Menschen vermissen die Bars und Restaurants. Geht es Ihnen auch so? Natürlich. Für Ihr Geschäft ist die Situation mit dem Lockdown doch grossartig. Für unser Geschäft ja. Wenn ich die Eat.ch- Mütze anziehe, dann schlägt mein Herz höher. Aber als Privatperson finde ich die Situation mit den geschlossenen Bars und Restaurants hart. Das Feierabendbier, der soziale Austausch, zusammen nett essen gehen am Wochenende ... Wenn Sie die Eat.ch-Mütze wieder aufsetzen, dann könnte es doch ewig so weitergehen … Nein, wohlwissend, dass es nicht nachhaltig ist. Diese Situation ist nicht gesund für unsere Gesellschaft. Wir können als Unternehmen von dieser Situation profitieren. Aber die Misere ist gross. Wie lief 2020 für Eat.ch? Wir haben ein turbulentes Jahr hinter uns. Als der Lockdown ausgerufen wurde, verzwei- oder verdreifachte sich der Umsatz. Das war eine Herausforderung für uns. Wir mussten massiv Leute im Backoffice in Zürich anstellen und die Fahrer aufstocken. Wir mussten Personal finden und schulen. Wie hat sich 2020 die Anzahl der Restaurants auf der Plattform verändert? Wir sind bestimmt um über 50 Prozent gewachsen und sind jetzt bei 3500 Restaurants in der ganzen Schweiz. Was bedeutet das für den Umsatz? Das kommunizieren wir nicht. Aber wir können sagen, dass wir in der Weihnachtszeit dreimal so viel Umsatz gemacht haben wie im Vorjahr. Können Sie etwas zu der Anzahl ausgelieferter Mahlzeiten sagen? Wir haben im Januar 2020 kommuniziert, dass wir in einem Monat mehr als 500'000 Bestellungen gemacht haben. Gab es seither einen Monat, der unter dieser Zahl lag? Nein, wir lagen immer darüber. Unser Geschäftsjahr ist stark saisonal geprägt. Im Sommer ist etwas Flaute, aber nach den Herbstferien geht es wieder steil aufwärts.Dominic Millioud Funktion: Geschäftsführer Eat.ch Alter: 42 Familie: zwei Kinder Ausbildung: Diplom-Betriebswirt und PR-Referent Karriere: Oktober 2004 bis September 2007: Junior Key Account Manager LVMH Fragrance Brands Oktober 2007 bis Dezember 2010: Key Account Manager Royal Canin Mai 2011 bis Dezember 2015: Head of Sales, Eat.ch seit Januar 2016: Geschäftsführer Eat.ch Nun sind die Restaurants geschlossen. Das müsste zur besten Zeit Ihrer Geschichte führen. Ja, es lief noch nie so gut. Reden wir dabei vom Mittag- oder Abendgeschäft? Traditionell bestellen die Leute am Abend. Aber gerade im Lockdown, da viele Leute im Homeoffice sitzen, hat auch das Geschäft am Mittag sehr angezogen. Die Leute bestellen schon um acht Uhr morgens ihr Mittagessen. Restaurants, die bei Ihnen angeschlossen sind, müssen eine Kommission entrichten. Wie hoch ist diese? Wir unterteilen in zwei Segmente. Erstens: der Marktplatz. Dort geht es darum, dass das Restaurant selber ausliefert. Dann gibt es den Bereich Delivery, wo wir bei McDonald’s oder traditionellen Restaurants das Essen abholen und ausliefern. Das sind unsere Fahrer. Der Marketplace hat den grösseren Anteil, Delivery gibt es in den zehn grössten Städten der Schweiz. Wir decken aber 80 Prozent der Schweizer Postleitzahlen mit unserem Angebot ab. Wie hoch ist die Kommission bei Marketplace und Delivery? Je nach Segment variiert dies zwischen einem niedrigen zweistelligen Bereich bis zu rund einem Drittel. Ist es für alle Restaurants gleich viel? Für die kleinen wie für die grossen? Es ist für alle gleich viel. Wir wollen alle Restaurants gleich behandeln. Nur weil einer drängt, muss er nicht weniger bezahlen. Es ist aber so, dass, wenn ein Anbieter ein gewisses Volumen liefert, die Kosten sinken und sich das auf den Preis auswirkt. Haben sich die Kommissionen seit Corona erhöht? Nein, die Kommissionen sind seit Jahren gleich. In der Pandemie sind sie sogar gesunken. Früher haben wir eine Sign-up-Gebühr im dreistelligen Bereich verlangt. Um das Menu auf der Seite zu übernehmen, dort zu platzieren und so weiter. Eine Eintrittsgebühr – wie bei einem Tennisclub? Nur einmalig. Aber diese Gebühr haben wir Anfang 2020 abgeschafft. Zusätzlich haben wir im Laufe des letzten Jahres ein Restaurant-Support-Package lanciert, bei welchem in den ersten dreissig Tagen die Kommission entfällt. Dieses Package läuft weiterhin. Zahlen Restaurants für ein besseres Ranking? Wer ist oben gelistet, wer nicht? Es gibt drei Parameter: Nähe zum Kunden oder zur Kundin, Bestellvolumina, Bewertung. Je näher das Restaurant beim Kunden ist, desto besser. Dann kommt die Lieferung schnell. Das schätzt die Kundschaft. Wenn viel bestellt wird, dann heisst das auch, dass viele Kundinnen und Kunden wiederkehren. Und das dritte ist die Bewertung. Sind die Leute zufrieden oder nicht. Kann sich ein Restaurant auf Eat.ch gegen Extrabezahlung ein besseres Ranking kaufen? Das ist möglich. Der Algorithmus, der im Hintergrund rechnet, verteilt Punkte an die Restaurants. Diese Punkte bestimmen das Ranking. Und diese Punkte kann sich ein Restaurant auch in einem gewissen Umfang kaufen. Das ist dann aber nicht mehr objektiv. Ich würde eher sagen, es bietet eine Chance für die Restaurants. Denn das zweite Kriterium ist das Umsatzvolumen. Um dieses zu steigern, muss man beim Ranking auch weiter hinaufkommen. Das benötigt Werbung. Der Gastronomie geht es schlecht. Geht Ihnen das nahe oder sagen Sie: Hauptsache, Delivery läuft? Ich leide zu 100 Prozent mit. Ohne Restaurants sind wir nichts. Ich habe selber sieben Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Es ist ein hartes Geschäft, aber auch ein schönes. Ich bin sehr froh, immer noch mit der Gastronomie zusammenarbeiten zu dürfen. Den Restaurants geht es mies. Sie könnten doch helfen, indem Sie für die Zeit des Lockdowns die Kommission halbieren. Das wäre doch eine feine Aktion. Aufs erste Hinhören mag das nach einer guten Aktion klingen. Aber: Auch wir haben unseren Aufwand und verfolgen unser Geschäftsmodell. Zugeständnisse haben wir auch schon gemacht. Alles in allem denke ich, dass wir faire Konditionen anbieten.Der Delivery-Pionier Eat.ch Eat.ch wurde 2007 von drei HSG-Studenten in einer Zürcher WG gegründet. Heute beschäftigt Eat.ch über hundert Mitarbeitende und gehört zum niederländischen E-Food-Giganten Just Eat Takeaway. Eat.ch gibt keine Umsatzzahlen bekannt. Am Schweizer Online-Mahlzeiten-Markt, der jährlich 700 Millionen Franken umsetzen dürfte, hält Marktführer Eat.ch gemäss Schätzungen 80 Prozent. Aktuell arbeitet Eat.ch mit 3500 Restaurants zusammen. Während in der Plattformökonomie der westlichen Welt meist US-Firmen die Nase vorn haben, ist das Delivery-Geschäft europäisch geprägt. Führende Rollen nehmen in diesem Sektor die profitabel arbeitende Eat.ch-Mutter Just Eat Takeaway sowie das deutsche DAX- Unternehmen Delivery Hero ein. Die Restaurants haben doch gar keine Wahl mehr jetzt in der Pandemie. Ohne Eat.ch bräuchten sie gar nicht mehr zu kochen. Ich denke nicht, dass sie abhängig sind. Viele Gastronominnen und Gastronomen haben Take-away schon vor der Pandemie selbst ausprobiert, aber wieder aufgehört. Das kann man nicht einfach plötzlich von heute auf morgen anfangen. Das klingt so, als seien die Wirte ein Stück weit selber schuld? Delivery ist seit vielen Jahren ein Trend, der lange ignoriert wurde. Wir haben unseren Anteil gemacht und auf diesen gesellschaftlichen Wandel hingewiesen. Wir haben oft mit den Gastronominnen und Gastronomen diskutiert. Viele haben immer gesagt: «Wir wollen die Leute hier im Lokal haben, dann trinken sie noch ihren Kaffee hier.» Die Leute würden auch wegen der Gastronomen selbst kommen. Aber die Gesellschaft hat sich verändert. Sie haben einst selber in der Gastronomie gearbeitet. Dann wissen Sie ja, dass die Margen in der Gastronomie extrem dünn sind. Wenn die Wirte dann noch 30 Prozent abgeben müssen ... Wir können einem Restaurant einen zusätzlichen Umsatz bieten. Wenn ein Restaurant, sagen wirs als Index, 100 Umsatz macht, sind Miete, Mitarbeitende, all das bereits gedeckt. Wenn ich jetzt von den 100 noch 20 bis 30 Prozent dazulegen kann, dann ist das on top und es entstehen mehrheitlich variable Kosten. Die Fixkosten hat ein Restaurant sowieso schon. Delivery boomt wie nie zuvor, aber niemand verdient etwas dabei. Die Fahrer werden ausgenutzt, der Wirt legt drauf, die Plattform legt auch noch drauf. Das stimmt nicht. Unsere Fahrerinnen und Fahrer sind mit Stundenlohn fest angestellt, werden über dem Mindestlohn bezahlt, profitieren von Sozialleistungen und sind versichert. Für die Restaurants ist es, wie schon erwähnt, ein lukrativer Absatzkanal. Und zu uns: Wir sind seit 14 Jahren auf dem Markt, wir legen nicht drauf. Es ist ein Kampf. Die Investoren pumpen Geld in den Markt, es kommt zu Übernahmen. Irgendwann ist nur noch ein Anbieter da, der die Preise bestimmt. The winner eats it all … Wir sind profitabel. Andere Anbieter fahren eine andere Strategie. Der Wirt verliert Geld … Nochmals: Es ist ein Zusatzgeschäft. Überlegen Sie sich: Sie haben eine Pizzeria – was müssen Sie für Neukunden investieren? Marketingmassnahmen wie Flyer, Anzeigen oder Social Media, Aufschalten und Betreiben des Online-Shops, Abrechnungen und so weiter. Die Umsatzbeteiligung an uns ist das Ticket in die Digitalisierung. Wer ist der grössere Konkurrent von Eat.ch? Uber Eats oder die Impfung? Weder noch. Das Telefon ist unser grösster Feind. Mehr als die Hälfte bestellen in der Schweiz immer noch direkt per Telefon. Diese Bestellungen gehen an uns vorbei. Wenn jemand neu bei uns bestellt, dann ist es entweder eine junge Person oder eine ehemalige Telefonkundin. Pizza, Kebab, Chicken Wings: Schweizer Gastronominnen und Gastronomen titulieren Eat.ch manchmal als «RTL zwei des Abendessens». Eine Beleidigung? Unsere Anfänge liegen im Fastfood, viel Pizza und Kebab. Das wurde schon immer geliefert. Das sind auch die Wurzeln von Eat.ch. Aber über die Jahre hinweg haben wir uns auf über fünfzig Küchentypen erweitert. Wie hoch fällt die durchschnittliche Bestellung bei Eat.ch aus? Wie liefern im Schnitt für knapp zwei Personen aus. In Franken? Das kann ich nicht sagen. Gibt es einen Pizzagraben in der Schweiz? In der Westschweiz wird viel mehr Sushi, Poulet und Meeresfrüchte bestellt. Und dann auch diese Tacos. Das sind eingerollte Sandwiches, wie ein Art Baguette aus dem Toaster. Welche Stadt oder welcher Kanton liefert am meisten Umsatz? Das können wir so direkt nicht sagen. Wir sind ursprünglich in St. Gallen gestartet. Da waren wir schon vor allen anderen. Die Postleitzahl 9000 läuft immer gut. Gibt es auch Restaurants, die Eat.ch wieder verlassen? Eigentlich nur, wenn sie pleitegehen. Eat.ch ist der orange Riese des Schweizer E-Food. Doch da stehen zwei Elefanten im Raum: Was, wenn die orangen Riesen Coop und Migros plötzlich beschliessen sollten, mit eigenen Plattformen ins Delivery-Business einzusteigen? Der Markt ist grundsätzlich gross genug. Wir rechnen damit, dass in Zukunft auch neue Anbieter auf den Markt kommen. Dies bestätigt uns ja letztlich, dass wir seit 14 Jahren vieles richtig machen. Haben Sie selber auch schon Essen ausgeliefert? Ich mache das immer mal wieder. Damit ich aus erster Hand sehe, was funktioniert und was nicht. Sind sie fit genug? Wenn man das nicht ist, dann ist der Stundenlohn für einen Kurier nicht gerade gut. Wir haben Elektrovelos, also ist die Fitness nicht das Entscheidende. Zweitens zahlen wir nicht per Drop-off, sondern pro Stunde. Wie viel zahlen Sie pro Stunde? Der Stundenlohn unserer Kuriere liegt über dem gesetzlichen Mindestlohn im Kanton Genf, der 23 Franken beträgt. Wir bezahlen diesen Lohn auch in allen anderen Schweizer Kantonen, selbst wenn der Mindestlohn dort tiefer angesetzt wäre. Unsere Kuriere sind angestellte Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer und profitieren zudem von Sozialleistungen und Versicherungsschutz, also Kranken- und Unfallversicherung. On top kommen Ferien- und Feiertagsentschädigung und natürlich das Trinkgeld.

Interview mit Eat.ch-Chef Dominic Millioud

Eat.ch-Chef: «Es lief noch nie so gut»