Elektroauto: Jim Rowan über den Volvo EX90

Jim Rowan steht im gewöhnlichen Zipper-Pulli und mit schwarzen Sneakers auf der Bühne in Stockholm. Aber der Volvo-Chef verspricht nichts Geringeres als «eine neue Ära». Er, ein Schotte und ehemaliger Chef des Staubsaugerproduzenten Dyson, präsentiert das neue Flaggschiff der Schweden: den Volvo EX90. Listenpreis: fast 107’000 Franken. Der 7-Sitzer kommt im minimalistischen Design, skandinavisch kühl, innen aufgeräumt. Augenfällig sind die Scheinwerfer, die an den Hammer der nordischen Gottheit Thor erinnern sollen, aber eher die Erinnerung an ein sich öffnendes Gebiss wecken. Bis zu 517 Pferdestärken bringt der Elektroantrieb auf die Achsen. Er beschleunigt in weniger als fünf Sekunden von null auf 100 und bietet eine Reichweite von bis zu 600 Kilometern pro Akkuladung. Innert 30 Minuten sind die Batterien von 10 auf 80 Prozent geladen. Im Notfall funktioniert das Auto dank dem bi-direktionalen Ladesystem auch als Ladestation für andere Autos und als Stromlieferant für die eigenen vier Wände. «Der Volvo EX90 ist ein Statement dafür, wo wir stehen und wohin wir gehen», sagt der 57-jährige Rowan. Und der Weg geht bei den Schweden eindeutig zu den Stromern. Volvo war der erste konventionelle Autohersteller, der sich zum Ziel gesetzt hat, nur noch elektrische Autos zu produzieren. Keinen Diesel, keinen Benziner, keinen Hybrid: Per 2030 wollen die Schweden nur noch reine Elektroautos herstellen. Per 2030 soll auch die Hälfte aller Verkäufe nur noch online passieren und die Ebit-Marge soll bei 8 bis 10 Prozent liegen. China als wichtigster Markt Aktuell ist Rowan kilometerweit von diesen Zielen entfernt. Die Ebit-Marge lag im letzten Quartal unter 3 Prozent, steigende Rohstoffkosten drückten auf das Ergebnis. Die Zahl der verkauften Neuwagen sank im Vergleich zum Vorjahr in fast allen Top-Ten-Märkten. Nur in China, dem grössten Einzelmarkt, stieg die Zahl der verkauften Neuwagen im dritten Quartal. Aufs Jahr hochgerechnet, und das ist die wichtige Zahl, bleibt trotzdem ein Minus. Von Januar bis September 2022 verkaufte Volvo in China knapp 118’000 Autos. Das sind 11 Prozent weniger als in der gleichen Zeit im Vorjahr. Noch schlimmer läuft es in den USA: Im Heimmarkt von Ford, Chrysler und Tesla sank die Zahl der neu verkauften Volvo-Wagen in den ersten neun Monaten des Jahres um 24 Prozent auf 72’200. Immerhin: Der Umsatz liegt über Vorjahr, sowohl in den USA als auch in China. Das liegt aber teilweise an Umrechnungseffekten, wenngleich Volvo es geschafft hat, den Durchschnittspreis eines Neuwagens etwas in die Höhe zu treiben und einen Teil des Preisdrucks weiterzugeben. Der XC60 ist, weltweit gesehen, das bestverkaufte Modell der Schweden – vor dem XC40 und dem XC90. Das Kräfteverhältnis gilt auch in der Schweiz. 1716 XC60 wurden hierzulande nach Angaben des Bundesamts für Strassen in den ersten zehn Monaten neu zugelassen. Das Modell schafft es damit in die Hitparade der dreissig beliebtesten Fahrzeuge, etwa gleichauf mit dem BMW X5 und dem Hyundai Tucson. Im Ranking der beliebtesten Marken schafft es Volvo mit einem Marktanteil von knapp über 3 Prozent auf Rang elf. Ungebremst ist die Nachfrage nach Elektroautos, in der Schweiz und auf globaler Ebene. Das ist denn auch entscheidend für Volvo-Chef Rowan. Der Schotte lässt keinen Zweifel daran, dass er an der vor knapp über einem Jahr definierten Konzernstrategie festhält. Er rückt keinen Meter davon ab und sagt: «Am Ende dieses Jahrzehnts werden wir eine reine Elektroautofirma sein. Jede Entscheidung, die wir treffen, zielt in diese Richtung.» Elektrovision braucht Personal Weder die aufziehende Rezession noch die sinkende Konsumentenstimmung sorgen für eine Abkehr von der Vision. Im Gegenteil: Volvo baut aus und stellt ein. Die Zahl der Angestellten nahm zu. 42’300 Vollzeitstellen weist das Unternehmen per Ende September 2022 aus. Vor Jahresfrist waren es 40’440. Gleiches Bild bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Sie lagen zuletzt 20 Prozent über Vorjahr. «Der Elektroantrieb setzt sich durch», ist Rowan überzeugt. «Am Ende siegt immer die Technik.» Einwände lässt er nicht gelten. Elektroautos seien leiser, produzierten weniger Vibrationen, hätten ein besseres Fahrgefühl, null CO2-Emissionen und effizientere Motoren. «Der Wechsel zum reinen Elektroauto wird passieren, definitiv.» Rowan, der vier Kinder im Alter zwischen 18 und 28 Jahren hat, setzt dabei auch auf das wachsende Umweltbewusstsein unter den Jüngeren. «Sie kümmern sich wirklich um das Wohlergehen des Planeten», sagt er. Dieses Sentiment werde künftig nur noch stärker werden. Entsprechend selbstbewusst pusht der Schotte die Elektrostrategie und verspricht: «Wir werden in den nächsten vier bis fünf Jahren jedes Jahr ein neues Elektroauto präsentieren.» Der XC40 war der erste reine Stromer im Sortiment von Volvo. Er wurde 2020 vorgestellt. 2021 folgte der C40. 2022 ist das Jahr des EX90, des grössten aller Volvo-Autos. Er ist über fünf Meter lang und knapp zwei Meter breit – ohne Seitenspiegel zumindest. Mit ausgeklappten Spiegeln bringt es das neue Elektro-SUV auf stolze 211 Zentimeter. Das macht das Parkieren nicht immer einfach. Gemäss Schweizer Normen sollte ein Parkfeld mindestens 2,35 Meter breit sein, in einem öffentlichen Parkhaus sind es mindestens 2,50 Meter. Gemessen an diesen Mindeststandards bleiben nicht einmal 20 Zentimeter auf jeder Seite beim Aussteigen. Schwergewicht EX90 Ganze 2,8 Tonnen bringt der neue Volvo auf die Waage. Der 7-Sitzer ist ein Schwergewicht im wahrsten Sinne des Wortes. Er wiegt damit fast fünfmal so viel wie eine ausgewachsene Kuh und nahezu das Doppelte eines männlichen Nilpferds. Das Volvo-SUV übertrifft auch die Konkurrenz deutlich. Das Leergewicht eines Tesla Model S liegt bei knapp über 2 Tonnen, das Model X schafft es auf rund 2,4 Tonnen und der Audi Q8 e-tron wiegt 2,6 Tonnen. Das Gewicht steht dabei im Gegensatz zum leichten Design. Volvo hat das Fahrercockpit auf das Nötigste reduziert. Im Zentrum: ein 14,5-Zoll-Touchscreen. Er bietet Zugang zum Infotainmentsystem. Das Betriebssystem: Android Automotive. Es integriert verschiedene Google-Dienste wie Google Maps und den Google-eigenen Sprachassistenten. Über den Play Store können weitere Apps heruntergeladen werden. Aussen fällt auf, dass Volvo den Kühlergrill gestrichen und einen neuen Lichtsensor in die Dachlinie integriert hat. Dieser beobachtet die vorausliegende Strasse bei Tag und Nacht. Er soll einen Fussgänger selbst bei schlechten Verhältnissen auf eine Distanz von bis zu 250 Metern erkennen und im Notfall einen Unfall verhindern helfen. Volvo-Chef Rowan lobt die Neuentwicklung und bezeichnet den Wagen unter anderem deshalb als den «sichersten Volvo, der je produziert wurde». Volvo kontrolliert den Fahrer Im Innenraum kommt erstmals ein selbst entwickeltes Fahrerkontrollsystem zum Einsatz: Spezielle Sensoren und Kameras erkennen, wenn der Fahrer abgelenkt, schläfrig oder anderweitig unaufmerksam ist. Die Technik konzentriert sich insbesondere auf die Augen und die Bewegungen der Pupillen. Registriert das System Ungewöhnliches, schlägt es akustisch Alarm, zunächst eher niederschwellig, dann eindringlicher und lauter, wie man es vom Gurtkontrollsystem kennt. Reagiert der Fahrer immer noch nicht, weil er etwa eingeschlafen oder ohnmächtig ist, fährt der Volvo selbstständig an den Strassenrand, setzt die Warnblinkanlage und alarmiert Hilfe. «Das System ist optional», sagt Rowan. Es gebe die Möglichkeit, das Fahrerkontrollsystem auszuschalten. So stelle Volvo sicher, dass immer noch der Lenker das Fahrzeug kontrolliere und nicht umgekehrt. Vom Band rollen wird das Auto zunächst in den USA, wo die Schweden eines von weltweit sechs Produktionszentren haben. Zum Marktstart wird nur eine Allradversion angeboten, die mit Elektromotoren an beiden Achsen 910 Nanometer Drehmoment entwickelt. Zu einem späteren Zeitpunkt folgt auch eine Version mit nur einem Elektromotor und Hinterradantrieb. Für den chinesischen Markt will Volvo, das mehrheitlich im Besitz des chinesischen Geely-Konglomerats ist, in einem seiner drei chinesischen Werke produzieren lassen.

Elektroauto: Jim Rowan über den Volvo EX90

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