Sie forschen an autonomen Robotern. Worum geht es genau?
Marco Hutter: Wir bauen Maschinen mit Armen und Beinen, die im Prinzip überall eingesetzt werden können – also auch an Orten, wo klassische Rad- oder Raupenfahrzeuge nicht hinkommen. Unsere Roboter sind fähig, über Hindernisse hinwegzuklettern oder mit ihren Armen verschiedenste Objekte zu manipulieren.

Ihr Schmuckstück ist Anymal. Was macht ihn so besonders?
Anymal ist ein vierbeiniger, hundeähnlicher Roboter der selbstständig in unwegsamem Gelände navigieren kann. Er ist mit diversen Sensoren ausgestattet, mit denen er die Umgebung wahrnehmen kann. Er hat einen Lasersensor sowie Stereokameras, mit denen er die Umgebung dreidimensional sehen kann. Damit kann er sich im Raum orientieren und die Umgebung kartographieren. Zudem ist Anymal unglaublich mobil. Unsere Forschung befasst sich primär mit der der Maschine zugrunde liegenden Regelungstechnik. 

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Was kann Anymal sonst noch?
Unsere Algorithmen machen es möglich, dass der Roboter so viele Informationen in Echtzeit verarbeiten kann, dass er Aufgaben wie zum Beispiel das Öffnen einer Tür gezielt in Angriff nehmen kann. Also: Wo ist der Türgriff? Wo muss ich mich hinstellen, damit ich die Türe öffnen kann? Wie viele Schritte sind es bis zur Türe und welche Hindernisse gibt es auf dem Weg dorthin, die ich umgehen muss? Wie muss ich mich hinstellen, damit ich stabil bin und nicht umfalle, und wie mache ich die Türe auf? 

Die Robotik hat gewaltige Fortschritte gemacht. Wie wurde das möglich?
Die Rechenleistung ist exponentiell angestiegen. Dadurch können viel mehr Daten viel effizienter verarbeitet werden. Wir können heute umfangreiche Optimierungsprobleme in Echtzeit auf dem Laptop lösen. Auch bei der Dateninterpretation ist viel passiert – also bei der Frage, wie wir aus den Daten lernen, die wir sammeln. Die Systeme sind heute viel besser in der Lage, Sensordaten zu interpretieren und aus ihnen zu lernen. Dazu kommt, dass die Sensorik viel besser und billiger geworden ist. Wir haben heute Lasersensoren, die Millionen von Messungen pro Sekunden vornehmen und selbst ein guter Lasersensor kostet heute noch ein paar Tausend Franken. 

Wir kennen alle den Industrieroboter, der – geschützt durch einen Käfig – Autos zusammenbaut. Was ist bei Ihren Robotern anders?
Wir arbeiten an autonomen robotischen Systemen, die in der Lage sind, auf ihre Umgebung zu reagieren und somit sicher mit dem Menschen zusammenarbeiten können. Unsere Roboter sind nicht starr, sondern sie haben elastische Elemente in ihren Gelenken. So können sie besser mit Unsicherheiten in der Umgebung umgehen und gehen auch nicht kaputt, wenn sie mit etwas kollidieren. 

In der Diskussion um Robotik gibt es häufig ein grosses Missverständnis: Es geht nicht darum, eine Funktionalität eins zu eins zu ersetzen, sondern vielmehr darum, neue Möglichkeiten zu schaffen.

Wo kommen diese Roboter zum Einsatz?
Überall dort, wo Maschinen heute schlecht hinkommen und wo man noch immer Menschen oder Hunde einsetzen muss, obwohl es eigentlich viel zu gefährlich ist. Wir haben Forschungsrojekte im Bereich Suche und Rettung, ein Projekt im Bereich Inspektion von Kanalisationsanlagen und Minen, das wir zusammen mit der Stadt Zürich, beziehungsweise einem polnischen Kupferminenbetreiber machen; wir haben Kooperationen mit Off-Shore-Gesellschaften zur Überwachung von Anlagen, sowie Forschungsprojekte zu potentiellen Applikationen unserer Roboter für den Mars oder Mond.
Im Katastrophenschutz kommen heute vor allem Hunde zum Einsatz. Und Hunde haben vor allem eines: eine gute Nase. Wird der Roboter je in der Lage sein, den Hund zu ersetzen?
Davon sind wir noch meilenweit entfernt und das ist auch nicht das Ziel. In der Diskussion um Robotik und um neue Technologien im Allgemeinen gibt es häufig ein grosses Missverständnis: Es geht nicht darum, eine Funktionalität eins zu eins zu ersetzen, sondern vielmehr darum, durch Robotertechnologien neue Möglichkeiten zu schaffen. Es gibt Einsatzorte, wo ich einen Hund oder einen Menschen nie hinschicken würde, weil es viel zu gefährlich ist. Aber eine Maschine, das geht. Im schlimmsten Fall ist ein Roboter verloren, was solls? Eine Maschine kann man ersetzen. Das ist bei einem Hund anders und erst recht bei einem Menschen. 

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Wenn es nicht darum geht, den Menschen zu ersetzen – worum geht es dann?
Technologie führt immer zu neuen Prozessen und somit auch zu neuen Produkten, die vorher nie in diesem Umfang oder in dieser Qualität produziert werden konnten. Selbst bei den Industrierobotern war es nicht so, dass man früher eine bestimmte Anzahl von Autos durch Menschen von Hand zusammenbaute und das heute 1:1 mit dem Roboter macht. Die Volumina und die Qualität, mit denen heute produziert wird, wären mit menschlichen Händen gar nicht mehr zu schaffen. 

Die Robotik – eine Technologie wie jede andere?
Unbedingt. Die Robotik ist der natürliche nächste Schritt der Industrialisierung. Wir hatten die Automatisierung, jetzt kommt die zunehmende Autonomie der Systeme. Früher musste man die Maschinen intensiv überwachen und kontrollieren, heute tun sie das weitgehend selber – und in Zukunft werden sie noch viel mehr Arbeiten für und mit uns ausführen können. 

Und wie werden die Roboter in unser Leben kommen?
Das wird kein disruptiver Prozess werden, sondern schleichend kommen. Ein Beispiel, von dem viel die Rede ist, ist das autonome Fahren. Am Anfang stand der einfache Tempomat, dann kamen die Einparkhilfen und die Assistenzsysteme, welche die Linie halten oder die Distanz zu anderen Fahrzeugen anzeigen oder gar autonom regulieren. Da ist es nur natürlich, dass die Autos irgendwann selbst fahren werden. Doch das alles passiert nicht von heute auf morgen, sondern sukzessive. 

Die Robotik ist eine Riesenchance und wenn wir sie nicht als das wahrnehmen, dann verpassen wir wirklich etwas. Wir können von Glück reden in der Schweiz, dass wir all diese neuen Technologien zur Verfügung haben und dass verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen wird. 

Was ist der Treiber der Entwicklung bei den Robotern? Die zivile oder die militärische Nutzung?
Es ist wie bei jeder Technologie: Man kann sie für Gutes oder für Schlechtes verwenden. Für uns ist der Treiber ausschliesslich die zivile Nutzung. Wir schauen, mit wem wir zusammenarbeiten und dass wir uns an ethische Grundsätze halten. Wir arbeiten auch mit dem Schweizer Militär zusammen, wobei es dabei immer um zivile Anwendungen im Bereich Suche und Rettung geht. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit setzen wir uns dafür ein, dass Robotertechnologien nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit möglichst aus der von militärischen Nutzung verbannt wird. 

Boston Dynamics, ein der japanischen Softbank gehörendes, führendes Robotikunternehmen, baut androide Roboter, die Saltos rückwärts machen können. Wie weit ist es da noch bis zum Kampfroboter?
Den wird es womöglich schon irgendwann geben – wobei:  Da gibt es Technologien, von denen ich mehr Angst habe als von einem Roboter, der Saltos macht. Eines der wohl gefährlichsten und bereits am meisten genutzen Systeme sind Drohnen, mit denen sich vergleichsweise einfach Bomben platzieren lassen.

Keine Angst, dass sich der autonome Roboter dereinst gegen den Menschen richten wird?
Wie stellen Sie sich das denn vor?

Sie kennen sicher den Film ExMacchina.
Wichtig ist: Es sind immer Menschen, die hinter diesen Technologien stehen. Wir programmieren diesen Robotor mit einem bestimmten Ziel – damit er eine bestimmte Aufgabe erfüllen kann. Warum sollte man eine Maschine programmieren, die sich am Schluss gegen den Menschen richtet? Das macht keinen Sinn.

Also alles Panikmache?
Missbrauch wird es immer geben, das ist leider nicht zu verhindern. Aber deswegen eine Technologie zu verbieten? Ich meine Nein, ganz abgesehen, dass die Vergangenheit zeigt, dass das nicht funktioniert. Wichtig ist, dass man sich bewusst ist, was diese Technologien bringen und dass man sie kontrolliert einsetzt. Wir müssen sicherstellen, dass sie wirklich im Dienste des Menschen stehen. Robotor sind Maschinen. Da ist nichts Magisches daran. Die Leute interpretieren da viel zu viel hinein.

Der Roboter – eine Chance?
Unbedingt. Die Robotik ist eine Riesenchance und wenn wir sie nicht als das wahrnehmen, dann verpassen wir wirklich etwas. Wir können von Glück reden in der Schweiz, dass wir all diese neuen Technologien zur Verfügung haben und dass verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen wird. Wichtig ist, dass wir flexibel bleiben und uns ständig weiterbilden, damit wir von den Neuerungen profitieren können und mit den Veränderungen, die sie mitbringen, umgehen können. 

Die ETH gilt als Silicon Valley der Robotik. Wie kommt das? 
Zürich hat sich zum Tech-Hub entwickelt, mittlerweile sind alle grossen Tech-Unternehmen – Apple, Google und Facebook – hier präsent. Dazu kommen eine grosse Anzahl hoch-spezialisierter KMUs und Startups, von denen viele in ihren jeweiligen Bereichen Marktführer sind. In Kombination mit der ETH macht das uns zu einem weltweit führenden Robotik-Cluster.

Wie gut sind Sie in Ihrem Labor dotiert?
Unsere Mittel sind vergleichbar mit denjenigen der amerikanischen Top-Universitäten. Speziell im Bereich der Robotik kommt mittlerweile ein grosser Teil der Finanzierung von Seiten der Industrie.

Welche Rolle spielt China in der Robotik?
China wächst sehr schnell, die Investitionen sind enorm. Ein paar der florierendsten Robotikzentren befinden sich in China, zu Beispiel in Shenzhen. Auch die ETH ist in Asien, namentlich in Singapur präsent. 

Wo liegt der Schwerpunkt ihrer Kollaborationen?
Wir arbeiten weltweit mit anderen Labors und Unternehmen zusammen. Ein Grossteil der geförderten internationalen Kollaborationsprojekte laufen unter dem Forschungsprogramm Horizon 2020, so dass der Fokus auf Europa liegt.

Was muss ein guter Robotikforscher mitbringen?
Ein Robotikforscher muss Kenntnisse in Mathematik, Informatik, Ingenieurwesen und Elektrotechnik haben. Dazu braucht es  eine gute Portion Kreativität und Innovationsfähigkeit. 

Woher rekrutieren Sie hauptsächlich ihre Leute?
Einige der besten Studenten kommen von der ETH, die Ausbildung hier ist absolut top. Aber wir rekrutieren natürlich auch von anderen Hochschulen.

Wie steht es mit weiblichen Studentinnen?
Wir haben leider nur eine weibliche Mitarbeiterin. Wir setzen alles daran, mehr Frauen einzubeziehen. Aber es ist nicht ganz einfach, da auch bei den Studierenden in unserem Fachbereich die Frauenzahlen nur langsam am Wachsen sind.

Wie sind Sie zur Robotik gekommen?
Technik hat mich schon immer fasziniert. Zudem arbeite ich gerne an physischen Systemen. Ich wollte etwas machen, das handfest es, keine Arbeit, die nicht nur am PC stattfindet. Mit Robotik habe ich den richtigen Mix gefunden. 

Robotik – eine Spielerei? 
Gewissermassen. Wobei ich das nie so sagen würde. Was wir hier tun, ist sauberes Engineering. 

An was arbeiten Sie in fünf Jahren?
Die Forschungsprogramme, an denen wir heute arbeiten, gehen oft über fünf Jahre hinaus. In der Baurobotik zum Bespiel stehen wir erst am Anfang. Wir schaffen es ja erst, dass die Roboter nicht umfallen, wenn es etwas uneben wird. Da muss noch viel mehr kommen, damit unsere Maschinen in unserer extrem komplexen Welt zurechtkommen. 

Wo sehen Sie weitere Anwendungen? 
Unsere Forschung zielt auf sehr breite Anwendungsmöglichkeiten ab. Ich persönlich wünsche mir, dass in einige Jahren Roboter fähig sind, vermehrt Arbeiten an Orten übernehmen, an denen meiner Meinung nach keine Menschen arbeiten sollten. Nehmen wir unser Projekt in einer Kupfermine in Polen. Die Arbeitsbedingungen in vielen Minen sind noch immer sehr schlecht. Die Arbeiter fahren täglich mehr als 1000 Meter in die Tiefe und verrichten dort schwerste Arbeit. Die Arbeit ist gesundheitlich belastend. Zudem kann es gefährlich sein. Es kann durchaus vorkommen, dass es brennt oder dass die künstliche Sauerstoffversorgung versagt. Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren nur noch Maschinen in diese Minen schicken müssen. Auch auf den Offshore-Anlagen im Meer gibt es viele Aufgaben, die von Maschinen übernehmen werden könnten. Auch hier sind wir erste Installationen am Testen und erhoffen uns, dass man viele dieser Anlagen zukünftig komplett unbemannt betreiben kann.

Wie steht es mit der Säuberung der Meere von Plastik oder des Weltalls?
Auch das ist denkbar. Roboter können für viele der Probleme, die wir heute haben, eine Lösung sein.