EU will Verbrenner verbannen: Schweizer Autozulieferern droht der Kahlschlag

Schweizer Autozulieferer sind mehr denn je unter Druck, denn die grossen Automobilproduzenten in Europa haben mächtig Gegenwind von der Europäischen Union (EU): Ab dem Jahr 2035 sollen keine Neufahrzeuge mit Verbrenner mehr erlaubt sein. Viele Bauteile für Fahrzeuge, die auch in der Schweiz hergestellt werden, braucht es dann nicht mehr. Bislang war das Zulieferbusiness ein gutes Geschäft. Und wichtig für den Industriestandort. Die hiesige Branche ist Arbeitgeber für 34’000 Menschen und gehört zu den grössten Industrien des Landes. Mehr als 540 Firmen setzen gut 12 Milliarden Franken pro Jahr um. Mit viel Know-how und weltweit gefragten Spezialkomponenten. Ein Verbrennungsmotor ist kompliziert aufgebaut, es braucht viele Spezialteile dafür. Ein Elektromotor braucht ebenfalls spezielle Einzelteile, aber deutlich weniger. Auch was Ersatzteile für Reparatur und Wartung betrifft, werden bisherige Komponenten künftig weniger gefragt sein. Für Schweizer Zulieferer wird es also deutlich schwieriger. Denn nicht alle können sich so rasch auf das Diktat aus Brüssel einstellen. Um Bauteile für ein E-Auto zu liefern, braucht es mehr von anderen Rohstoffen, Maschinen und Know-how. All das zeitgerecht für die neue Welt der Elektromobilität parat zu haben, ist mehr als eine Herausforderung für das Gros der Zulieferer hierzulande, die selten grösser als ein KMU sind. Viele Zulieferer sind nicht mehr gefragt Besonders betroffen sind Firmen, die Teile für den Motor und den Antriebsstrang zuliefern. Und darunter vor allem die Erstausrüster, sogenannte Tier-1-Lieferanten. Diese haben ein Problem, wenn ihre Bauteile für den Verbrennungsmotor unmittelbar nicht mehr gefragt sind. Aber es betrifft auch die nachgelagerten Zulieferer, in der Fachsprache Tier 2 und Tier 3 genannt. Das sind jene Firmen, die Ersatzteile liefern oder keine zwingenden Exklusivteile für den Export von ihrer Fabrik bis aufs Produktionsband des Autoherstellers. «Für diese Lieferanten, die nicht so gross sind wie etwa eine Bosch oder ZF in Deutschland, und für jene, die einen deutlich höheren Geschäftsanteil im Bereich des Verbrennersegments haben, wird es problematisch», sagt Automotive-Experte Felix Kuhnert von PwC Deutschland. Sein Team hat eine Studie für den europäischen Autozulieferverband Clepa erarbeitet, dem der Verband der Automobilzulieferer in Deutschland vollumfänglich zustimmt. Das Fazit: Durch die rasche Umstellung von Verbrenner- auf E-Motoren sind rund eine halbe Millionen Jobs europaweit gefährdet. Es werde Aufgabe der Politik sein, die Beschäftigung dieser Lieferanten im Auge zu haben, so Kuhnert. Starke Abhängigkeit von grossen Automobilherstellern Um es für die Schweiz anschaulich zu machen, soll das Unternehmen Famag in Burgdorf BE als Beispiel für die neuen Herausforderungen der Zulieferbranche dienen. Die Firma stellt Gelenk und Kardanwellen sowie Gelenkwellenstränge her. «Die Mehrheit unserer Produkte geht in die Automobilindustrie», sagt Geschäftsleiter Tino Küng. Aber Famag produziert nicht nur für diese Industrie; die Produkte kommen etwa auch in Papierdruckmaschinen oder zur Entleerung der Behälter von Müllwagen zum Einsatz. Mit dem Produktportfolio also breiter aufgestellt zu sein – das hilft, um mögliche Auftragsausfälle der Automobilhersteller teilweise zu kompensieren. Ausserdem ist Famag auch stark in der Herstellung und Belieferung von Ersatzteilen. Küng sieht die Zukunft deshalb nicht ganz so schwarz. «Die Wartung der bis 2035 produzierten und verkauften Autos wird voraussichtlich weit über den von der EU beschlossenen Verbrennerstopp für die Automobilhersteller hinausgehen», sagt Küng. Denn die Gelenkwelle eines PKW hält bis zu zwanzig Jahre und über mehr als 250’000 Kilometer und kann gewartet werden. «Auch wenn keine neuen Verbrenner mehr produziert werden, braucht es Firmen, welche die Wartung oder eine Umrüstung der bestehenden Fahrzeuge übernehmen sowie Ersatzteile produzieren.» Auch das gehöre zum Geschäft der Zulieferindustrie. «Wenn wir einen grossen Einbruch spüren, dann nicht plötzlich 2035, sondern danach und kontinuierlich», sagt Küng. Strom für Elektroautos aus Dieselmotoren Kommt hinzu, dass Dieselmotoren, die nicht mehr im Auto landen, dafür über 2035 hinaus für Stromgeneratoren gebraucht werden. Denn diese Generatoren produzieren den Strom, welcher der stark steigenden Zahl an E-Autos und aufgrund mangelnder Ladenetze fehlen werde – «summa summarum: 2035 wurde jetzt mal am Tisch in Brüssel beschlossen, aber wir werden sehen, ob das dann genau so umsetzbar sein wird», sagt Küng. Nun soll jedoch auch der Strom grüner werden, was Europa zwar den Klimazielen näherbringt, aber den Druck auf die Infrastruktur und die Zulieferer noch einmal erhöht. Ein geringerer CO2-Aufwand in der Produktion, beispielsweise durch die Verwendung von grünem Strom, und ein höherer Anteil umweltfreundlicher Faktoren in der Lieferkette wird zu einem entscheidenden Faktor für die Zulieferer bei den Ausschreibungen der Automobilproduzenten werden. Investoren verlieren Interesse Was können die Zulieferer also tun? Erste Trends, wie die Firmen damit umgehen, zeichnen sich ab und sind weniger produktbezogen: «Es gibt ein verstärktes Zusammengehen kleiner Zulieferer mit grossen Partnern, Firmenverkäufe und M&A-Aktivitäten», erklärt Automotive-Experte Kuhnert. Wobei der Appetit auf die Firmen, die mit der Umstellung ein Problem haben, seitens Private-Equity-Firmen und ausländischer Investoren aus dem Autoumfeld nicht allzu gross ist. Und jene Unternehmen, die sich die Mühe gemacht haben, rasch und radikal auf neue und gefragtere Produkte für Batteriefahrzeuge umzustellen, warten nun erpicht auf Grossaufträge. «So gesehen können diese Unternehmen durch die neue EU-Vorgabe sogar profitieren», sagt Kuhnert. Diesen Unternehmen kann es nicht schnell genug gehen: «Wenn sich die Umstellung weg von Verbrennungsmotoren hin zu Batteriefahrzeugen zu langsam vollzieht, dann warten diese Unternehmen vergebens auf dringend benötigte Aufträge.» Neuausrichtung: Vom Verbrennungsmotor zu Bahntechnik und Windräder Verkaufen, fusionieren und auf Batteriefahrzeuge umstellen sind aber nicht die einzigen Lösungen. Die vierte ist die der Neuausrichtung auf andere Branchen. Hat ein Autozulieferer bisher ausschliesslich Komponenten an VW, Daimler und BMW geschickt, könnten neue, adaptierte Produkte mit dem vorhandenen Know-how in Zukunft Eingang in die Bahntechnik, in die Luftfahrt und in den Bereich Windräder finden. Etwa mit Gummibauteilen für Schienenräder oder Schwingungssensoren, die für die Automobilindustrie ebenso geeignet sind wie für Windkrafträder. Entscheidend wird sein, wie flott sich die Unternehmen umstellen. Denn die Fokussierung auf neue Branchen und Abnehmer bedeutet für die Automobilzulieferer auch, dass man neuen Markt- und Konkurrenzverhältnissen gegenübersteht. Was im alten (Automobilindustrie-)Markt galt, gilt im Bahn- oder Energiesektor so nicht mehr. Plötzlich ist das Schweizer Unternehmen, das bislang Marktführer oder Exklusivlieferant war, nicht mehr im Pool der Industrieperlen. «Dadurch wird der Preisdruck höher, Marktanteile schrumpfen – und Umsatz und Gewinn werden darunter leiden», befürchtet Famag-Chef Küng. Je früher man in einen neuen Markt einsteigt, desto besser.