Der teuerste Angestellte geht: Rieter-Chef Hartmut Reuter hat das Unternehmen am Dienstag per sofort verlassen (siehe auch rechts) – und Rieter kann bald mächtig Geld sparen. Im vergangenen Jahr verdiente Reuter 775 000 Fr. Wie viel Lohn er für das angebrochene Jahr erhält, kommentiert Rieter nicht.



Auch die verbleibenden Rieter-Angestellten sind zum Sparen angehalten: Auf einen Zehntel ihres

Gehalts sollen sie verzichten. Allerdings freiwillig und nur, wenn sie nicht schon kurz arbeiten oder der niedrigsten Lohnklasse angehören.

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Einbussen auch bei OC Oerlikon

Mit dieser Massnahme, die Rieter seinen Mitarbeitern am vergangenen Freitag per Rundschreiben unterbreitete, will das Unternehmen die drohende Massenentlassung abwenden. Auch beim angeschlagenen Technologiekonzern OC Oerlikon wurde in verschiedenen Divisionen und Ländern bereits auf Gehalt verzichtet, wie auf Anfrage erklärt wurde. Beim geschwächten Grosszulieferer Georg Fischer kappte das Top-Management seine Löhne um 25%, die zweite Reihe – rund 250 Angestellte – strich 10%.



«Eine gute Idee, wenn damit Massenentlassungen verhindert werden können», sagt Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle Kof der ETH Zürich. Noch bremst die weit verbreitete Kurzarbeit den erwarteten Stellenabbau, doch Experten rechnen bereits im Herbst mit einer spürbar steigenden Arbeitslosigkeit. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei es deshalb zu begrüssen, wenn die Flexibilität der Löhne weiter wachse, sagt Sturm.



Allerdings können tiefere Saläre den Privatkonsum belasten – im schlimmsten Fall rutscht die

Schweizer Volkswirtschaft in eine Deflation, weil mit der Nachfrage auch die Preise fallen. «Das ist möglich», räumt Sturm ein. «Aber höchstwahrscheinlich konsumieren Arbeitslose immer noch weniger als Angestellte mit gekapptem Gehalt.»



Janwillem Acket, Chefökonom der Privatbank Julius Bär, geht einen Schritt weiter. «An oberster

Stelle muss die Überlebensfähigkeit des Unternehmens stehen», fordert er. «Sind Lohnkürzungen

nur eine weitere, zeitschindende Verlegenheitslösung, dann bringen sie letzten Endes sehr wenig.»



Stehe ein Unternehmen am Abgrund, gelte es, so rasch wie möglich zu restrukturieren – auch

wenn damit Entlassungen im grossen Stil verbunden seien. Denn langfristig richte der Untergang

eines bedeutenden Unternehmens schlimmere volkswirtschaftliche Schäden an als eine Massenentlassung.



Sinnvoll ist der Lohnverzicht Acket zufolge nur, wenn bereits neue Aufträge in Sicht seien, das

Unternehmen aber noch in der Krise stecke und diese Durststrecke überwinden müsse.



Dass Angestellte mit tieferem Gehalt mehr konsumieren als Arbeitslose, bezweifelt Acket. «Wenn

die Konsumenten Angst haben, sparen sie. Sogar wenn sie eine Lohnerhöhung bekommen.»

Arbeitgeberverband skeptisch

Thomas Daum, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, urteilt ähnlich. «Wir müssen hier und heute die Arbeitsplätze sichern, das hat oberste Priorität», sagt er. Aber dieses Ziel könne nicht über einen flächendeckenden, branchenübergreifenden Lohnverzicht erreicht werden.

«Solche Massnahmen sind im konkreten Einzelfall zu prüfen. Die Schweizer Unternehmen sind längst nicht alle in derselben Lage wie Rieter – es gibt noch eine Reihe weiterer Massnahmen, mit denen Entlassungen verhindert werden können», mahnt Daum – etwa Kurzarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle.



Was Daum auch sagen will: Wenn Vereinbarungen auf Branchenebene getroffen werden sollen, müssen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften einigen – die Arbeitnehmerseite wird einen breiten Lohnverzicht nur akzeptieren, wenn die Firmen Zugeständnisse machen. Wie das enden kann, zeigt das Beispiel der Niederlande. In der Wirtschaftskrise zu Beginn der 80er-Jahre schlossen die Sozialpartner einen Vertrag: Die Gewerkschaften stimmten zu, ihre Gehaltsforderungen zu mässigen, und akzeptierten dezentrale Lohnverhandlungen – was ihre Machtposition schwächte. Dafür verpflichteten sich die Unternehmen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen.



In den ersten Jahren wuchs die holländische Wirtschaft rasant – der Plan schien aufzugehen. Doch dann offenbarten sich die Schattenseiten: Die Firmen vertrauten im internationalen Wettbewerb ganz auf ihre tiefen Löhne – und vernachlässigten ihre Forschung und Entwicklung.



Zudem liess der Druck, die Produktion effizienter zu organisieren, deutlich nach. Wegen der tieferen Personalkosten sahen viele Unternehmen davon ab, in neue Maschinen zu investieren, die weniger Personal benötigten.



Als zur Jahrtausendwende die nächste Krise die Weltwirtschaft ereilte, zeigte sich: Holland wurde härter als alle anderen Volkswirtschaften Europas getroffen.

Lohnverzicht hat keine Tradition

In der Schweiz wurde der Lohnverzicht noch nie flächendeckend eingesetzt. Das hängt vor allem

mit der stark dezentral organisierten Sozialpartnerschaft zusammen. In Einzelfällen aber wurde

das Instrument bereits angewandt. So mussten die Angestellten der Stadt Winterthur vor vier Jahren wegen der finanziellen Schieflage eine Gehaltskürzung um 3% hinnehmen. Die Gehälter der Swissair- und später der Swiss-Piloten wurden gleich mehrmals gekappt, um den Gewinn zu schonen. Auch Profisportler mussten unten durch: Der FC St. Gallen bat seine Spieler 2002, einen Drittel des August-Salärs zu streichen.