Eine Villa an bevorzugter Lage im Hamburger Nobelstadtteil Rotherbaum. Rosafarbener Sandstein, Spitzbogenfenster wie in einer Kathedrale, gegenüber das Generalkonsulat von Venezuela. Die Villa, erbaut in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, diente einst als Gästehaus der Banquiersfamilie Rothschild. Heute zieht von hier aus eine andere Unternehmerfamilie ihre Fäden, eine, die die Schweizer Firmenlandschaft über Jahrzente geprägt hat wie keine andere: die Jacobs. «Das Haus ist architektonisch hochinteressant», sagt Eigentümer Andreas Jacobs (50), der von seinem Büro im dritten Stock aus die Milliardenbeteiligungen der Familie managt. «Aus dem ganzen Land kommen die Leute und schauen es sich an.» Eine Plakette prangt am Eingang – «Hamburgs schönste Fassade 2010». Die Villa steht unter Denkmalschutz.

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Was das Unternehmerische angeht, wollen die Jacobs von Denkmalschutz nichts wissen. Gerade erst haben sie ihre Milliardenbeteiligung am Zeitarbeitskonzern Adecco losgeschlagen. Ein Erdbeben. Ein Bruch mit der Familientradition. Ein Sakrileg. Und ein Teilrückzug aus der Schweiz. «Wir haben uns das lange überlegt und ausführlich diskutiert in der Familie», sagt Andreas Jacobs in seiner bedächtigen Art.

Kerninvestment

Denn Adecco, der weltgrösste Zeitarbeitskonzern mit Sitz in Glattbrugg ZH, war nicht nur finanziell, sondern auch emotional lange das Ankerinvestment des Clans. Klaus J. Jacobs, 2008 verstorben, hatte im Jahr 1990 sein Kaffee- und Schokoladenimperium Jacobs Suchard («Toblerone», «Jacobs Krönung») an die amerikanische Kraft Foods (heute Mondelez) verkauft. Ein Jahr später wagte er den Neuanfang. Aus der Konkursmasse des gescheiterten Financiers Werner K. Rey übernahm er die Zeitarbeitsfirma Adia. Vier weitere Jahre später verheiratete er sie mit dem französischen Rivalen Ecco zum Weltmarktführer Adecco. Eine Zweckehe, keine Liebeshochzeit: Hinter den Kulissen lieferte sich Jacobs mit dem anderen Grossaktionär, Ecco-Gründer Philippe Foriel-Destezet, epische Schlachten um die Kontrolle des Konzerns. Zweimal gar musste Jacobs aus dem Ruhestand ins Tagesgeschäft zurückkehren, bis er schliesslich die Alleinherrschaft erlangen und die Firma nach seinen Vorstellungen gestalten konnte. Bald zog er Sohn Andreas in den VR nach. Der kündigte noch vor 18 Monaten in einem Interview an: «Wir können uns auch gut vorstellen, unsere Kernbeteiligungen zu erhöhen. Warum nicht dort investieren, wo wir uns gut auskennen?»

Und nun, vor wenigen Wochen, der Ausstieg. Er spülte 2,16 Milliarden Franken in die Kasse. Aber jetzt kontrolliert die Familie statt 18,4 nur noch rund 2,5 Prozent, ist hinter der Beteiligungsgesellschaft BlackRock und Foriel-Destezet nur noch der drittgrösste Aktionär. Einfluss ausüben kann Andreas Jacobs jetzt einzig über das Amt des Vizepräsidenten, das er behalten wird.

Wieso tut er das? «Adecco hat sich sehr schön entwickelt und eine tolle Performance in den letzten Jahren hingelegt», sagt Jacobs. Nun liegt Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters, und eine nüchterne Betrachtung zeigt: In den letzten zehn Jahren stieg der Adecco-Kurs um rund 15 Prozent, während der SMI 42 Prozent zulegte. Auch über die letzten drei Jahre bleibt die Aktie deutlich hinter dem Börsenindex zurück. Zweiter Versuch: «Die Aktie ist zu volatil, gegenüber der Stiftung sind wir zu einem stabilen Portfolio verpflichtet», begründet Andreas Jacobs den Verkauf. Die Familienstiftung, vor 25 Jahren vom Vater gegründet, soll Kinder und Jugendliche fördern. Doch dazu braucht sie nicht die Adecco-Aktien, sondern deren Dividende. Und die war über die letzten zehn Jahre mindestens stabil und mit Ausnahme der Finanzkrisenjahre sogar stetig wachsend.

Andere Prioritäten

Der wahre Grund für die Kehrtwende liegt woanders. Knapp sechs Jahre nach dem Tod von Klaus J. Jacobs emanzipiert sich die Familie definitiv vom Übervater. Der Prozess hatte bereits 2006 begonnen, als Andreas in den Adecco-VR gewählt wurde. Der Vater, Visionär, Bauchmensch, hatte in 16 Jahren Adecco mit über hundert Akquisitionen grossgekauft. Der Sohn, Ex-Berater, Kopfmensch, setzte die Prioritäten anders. Er optimierte die Abläufe, steigerte die Effizienz, konzentrierte sich auf die Ertragskraft. Feinarbeit statt Paukenschlag. «Mein Vater wollte das grösste Unternehmen der Zeitarbeitsbranche machen. Wir wollen das beste Unternehmen der Zeitarbeitsbranche machen», sagte Andreas Jacobs einmal. Adecco wurde vom Wachstums- zum Dividendentitel.

Auf der Strecke blieb bei der Gewinnoptimierung das zweite grosse Ziel, das Klaus J. Jacobs mit der Zeitarbeit erreichen wollte, jenes, das er sogar als wichtiger denn die Rendite bezeichnete: durch Weiterbildung die Situation minderqualifizierter Arbeitnehmer zu verbessern. Auch deshalb gründete Jacobs an der nach ihm benannten Bremer Universität ein Forschungsinstitut für lebenslanges Lernen und holte den früheren deutschen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement an Bord. Zwar lautet der Adecco-Slogan noch immer: «Better work, better life». Aber die Vision kam nie richtig zum Fliegen. Stattdessen zeigten sich in den Krisenjahren ab 2007 die Schattenseiten der Temporärbranche, als viele Firmen Zeitarbeiter zum stillen Personalabbau nutzten und sich die Arbeitsbedingungen massiv verschlechterten. «Zeitarbeit macht krank», warnen seither Krankenkassen und Gewerkschaften.

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