Wenn man sich heute Unternehmen anschaut, dann kann man interessante Parallelen entdecken», sagt Günter Müller-Stewens, Ökonomieprofessor an der Universität St.Gallen. «Es geht um China, die Unternehmen wollen wachsen, Kosten sparen, und sie wollen näher an den Kunden heran gehen.» An dem, was eine Strategie ist oder ausmacht, habe sich über die Jahre nichts geändert, so Müller-Stewens. «Es geht darum, eine langfristige Perspektive für ein Unternehmen zu definieren, ein eigenständiges Profil zu erarbeiten und sich von Wettbewerbern zu differenzieren.»

Doch genau dieses wird heute sehr oft vernachlässigt. Stattdessen streben alle inhaltlich in die gleiche Richtung, und dann kommen die Firmen in die Situation, dass sie ständig ihre Strategie wechseln oder bei ihnen ein Kostensenkungsprogramm das andere jagt. Müller-Stewens: «Dabei entfällt das eigentlich Zentrale einer Strategie: Eine Einzigartigkeit herausarbeiten, die ein Unternehmen anschliessend über lange Jahre verfolgt.»

«Die Zeiten haben sich geändert», hält dagegen Josef Ming, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Bain&Company Switzerland, fest. «Der Wettbewerb nimmt stetig zu. So läuft alles schneller ab, was auch auf die Strategie zutrifft.» Immer mehr gelte das Prinzip «The winner takes all», und wer nicht über die Ressourcen verfüge, da mitzuhalten, der habe das Nachsehen. Gemein ist den drei Firmen SIG, Forbo und Unaxis, dass bei allen Willy Kissling im Verwaltungsgremium sitzt oder sass.

*Nur die Hälfte hat den Namen «Strategie» verdient*

Unternehmen, sagt Ming, seien primär von der Frage getrieben, wo ihr Wachstumspotenzial liegt. Es komme zu einem Expansionsschritt, was meist über Akquisitionen geschehe. Doch das Neue richtig abzuschätzen, sei nicht immer ganz einfach. Habe sich das Management zu viel aufgehalst, komme es zu Fehlleistungen. Marktanteile gingen verloren, und bald liesse sich ausrechnen, dass all dies in eine Sackgasse führe. Was dann sehr häufig noch dazu komme, so Ming weiter, sei der zunehmende Druck von Analystenseite. «Wenn das Management diesem Druck erliegt, werden am meisten Fehler gemacht.»

Doch was ist an alledem noch strategisch? «Strategie hört sich einfach an. Kennt jeder, entwirft jeder, verfolgt jeder», sagt Carsten Henkel, Chef der internationalen Beratungsgesellschaft Monitor in der Schweiz. Dabei gebe es kaum einen Begriff, der so häufig missbräuchlich verwendet werde wie dieser. Auf den Punkt gebracht hat es Michael E. Porter, Monitor-Gründer, in seinem Artikel «What is Strategy?», in dem er schreibt, dass die Hauptfalle des konventionellen Denkens und Handelns in vielen Unternehmen darin liege, dass strategisches Denken durch die Verfolgung von Effizienzsteigerungsmassnahmen ersetzt werde.

Dazu Carsten Henkel: «Es ist leicht, eine weitere Kostensenkungsinitiative, ein zusätzliches Sourcingprogramm und ein neues Reingineering-Projekt aufzusetzen und sie anschliessend alle mit dem Zusatz ‹strategisch› auszustatten.» Jedoch hat all dies mit «echter» Strategie wenig bis gar nichts zu tun.

Das ständige Gerede von Strategie alles nur ein Etikettenschwindel? «Das, wovon in Unternehmen meist unter dem Stichwort ‹Strategie› geredet wird, ist nur eine Hälfte von dem, was zum Thema ‹Strategie› gehört, nämlich der Strategie-Inhalt», erklärt dazu Müller-Stewens von der Universität St.Gallen. Zum Beispiel wenn es um den Eintritt in einen neuen Markt geht, eine grössere Diversifikation oder die Verengung eines Portfolios ansteht. Mindestens genau so wichtig jedoch ist gemäss Müller-Stewens auch die zweite Hälfte, die oft vergessen oder unterbewertet werde: Was genau so zur Strategie gehört, sind die strategischen Prozesse.

Damit ist die Frage gemeint, wie bekommt man das, was man vor hat, überhaupt «aufgegleist». Es könne ja durchaus sein, dass ein Unternehmen eine Strategie entwickelt habe, im Sinne von «die Inhalte sind vorhanden», so Müller-Stewens. «Doch das heisst noch lange nicht, dass die Firma auch die Fähigkeit besitzt, diese Inhalte umzusetzen.» Die Frage der Umsetzbarkeit gehöre nun einfach einmal zur Strategie. «Wenn man die Fähigkeit nicht besitzt, dann kommt es schnell wieder zu einem Loslassen.»

*Prozesse nicht richtig durchdacht*

Etwas überspitzt formuliert es Müller-Stewens so: «Man sollte immer von den Fähigkeiten ausgehen und nicht von Sandkastenspielen des Portfolio-Managements. So kommt es oft zu Zukäufen, die dann nicht passen, oder zu Markterweiterungen, bei denen dann nicht klar ist, wo die Leute dafür herkommen sollen, um diesen Markt kompetent zu bearbeiten.» Oft scheitern Unternehmen daran, dass die Prozesse einfach nicht richtig durchdacht wurden, ob man sich das, was man plant, überhaupt leisten kann. Leisten weniger im finanziellen als im Sinne von Fähigkeiten. Wie oft die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten zu wenig berücksichtigt oder ganz ausser acht gelassen wird, zeigen auch Studien, die besagen, dass 70% der weltweit getätigten Akquisitionen in einem Misserfolg enden.

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Literaturhinweis:

Günter Müller-Stewens/Christoph Lechner: «Strategisches Management - Wie strategische Initiativen zum Wandel führen»; 2003, 784 Seiten, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage; gebunden; Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart; ISBN 379102051X; 80 Fr.