Frachtpreise spielen weltweit verrückt: Die Gründe

Zwölf Kilo pro Kopf: So viele Bananen kaufen Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten jährlich ein. Cordula Furrer langt da etwas heftiger zu: 40’000 Tonnen per annum ordert sie. Oder genauer: Sie bucht jährlich 41’600 Paletten, vor allem aus Kolumbien und Ecuador. Aber nicht für sich selbst. Sondern für die ganze Migros. Als Leistungseinkäuferin für internationale Transporte verhandelt Furrer für die Migros Frachtraten weltweit und ist zuständig für den Warentransport. Nicht nur für Food wie Bananen, sondern auch für Nearfood und Nonfood-Waren, also für Gartenmöbel aus Vietnam ebenso wie für Trauben aus Indien, Thunfisch- und Ananaskonserven aus Thailand und Indonesien oder für Staubsauger, Pfannen, Unterhaltungselektronik und Masken aus China. Furrers Migros-Gesamtcharge pro Jahr: Rund 7000 Container auf dem See- und Landweg. Jedes globale Problem schlägt sofort auf ihre Arbeit durch. Wirbelte die Pandemie vor allem den Seetransport und seine Kosten durcheinander, schafft nun der Ukraine-Krieg neue Probleme an Land. Mehr Schiffe, tiefere Preise Während der Corona-Zeiten kam es auf den Weltmeeren zu Preisausschlägen, wie man es in der Logistikbranche noch nie gesehen hatte. In ihrer Funktion erlebte Furrer die Verwerfungen der Transportkosten hautnah: verstopfte Häfen, fehlende Container und hochschiessende Seefrachtraten. «In den Corona-Jahren haben sich die Frachtpreise vervier- und verfünffacht, bis hoch zu 15’000 Dollar pro 40-Fuss-Container ab Asien nach Europa», erzählt sie. Die Fahrt auf der Tarif-Achterbahn für den Seetransport per Container, so Furrer, gehe weiter – aber nun in die andere Richtung: «Seit August sind die Preise stark gesunken und die Spotpreise liegen um die 2000 Dollar oder gar tiefer», je nach Abgangsort und Destination. Der Tarif-Taucher, so die Migros-Managerin, erkläre sich aus einer komplett unterschiedlichen Entwicklung von Angebot und Nachfrage: «Die Schifffahrtsreedereien haben ihre Milliardengewinne in ultramoderne und grössere Containerschiffe investiert, welche eine viel höhere Transportkapazität haben. Gleichzeitig aber hat die Nachfrage aufgrund der unsicheren Konsumentenstimmung abgenommen. Das hat die Preise talwärts geschickt.» Supply Chain funktioniert wieder besser Zitterten Händler, Konsumentinnen und Konsumenten zu Weihnachten 2021 noch um die rechtzeitige Ankunft der begehrten Güter, so habe sich das im vergangenen Jahr zum Guten gewendet, sagt Furrer: «Die Supply Chain funktioniert wieder besser.» Auch deshalb, weil viele Händler ihre Bestellphase vorgezogen hätten. Fracht-Cracks wie Furrer lenken das Geschäftsjahr in zwei Wellen: Januar und Februar sind die Spitzenzeiten für den Eingang der Bestellungen für das Frühlingsgeschäft; im August und September ist die Hochsaison für das Weihnachtsgeschäft. 2022 seien die Händler früher als gewohnt eingestiegen: «Alle Player, auch wir, bestellten 2022 zwei bis vier Wochen früher als üblich, um allfälligen Fahrplanunsicherheiten vorzubeugen», erklärt sie. Transsib-Wegfall und Chauffeur-Misere Während sich die Lage auf den Weltmeeren verbessert hat, drückt der Schuh nun aber anderswo: «In der Corona-Zeit plagte mich der Seeweg, jetzt plagt mich der Landweg», berichtet Furrer. Zum einen, weil ein bewährtes und schnelles Frachttransportmittel nicht mehr beansprucht werden kann: Die Transsibirische Eisenbahn, mit der Güter in 21 Tagen von Schanghai ins Migros-Verteillager nach Neuendorf SO transportiert werden konnten: «Die Transsib», sagt Furrer, «ist bezüglich Schnelligkeit unschlagbar. Leider können wir sie seit Kriegsausbruch nicht mehr benützen, weil das Kriegsrisiko nicht versichert ist.» Über den Seeweg seien die Kosten zwar deutlich niedriger, dafür betrage die Lieferzeit 50 Tage – also mehr als doppelt so lang. Der Krieg in der Ukraine sorge für eine weitere Problematik auf dem Landweg in Europa, sagt Furrer: «Früher waren ukrainische Lastwagenfahrer stark für polnische, litauische, aber auch deutsche Unternehmungen tätig.» Nun seien die ukrainischen Chauffeure «aber entweder im Krieg – oder nach England abgewandert, wo sie mehr verdienen. Es fehlen europaweit bis zu 100’000 Fahrer», klagt sie. Dieser Fahrermangel multipliziere sich noch mit anderen aktuellen Pain Points: «Steigende Lohnkosten, Inflation und höhere Preise für Energie, Ersatzteile und Beschaffung der Lkw treiben auch die Transportkosten im 2023 massiv rauf», sagt Furrer, «das ist ein echtes Problem.» Migros mit Sourcing in Hongkong und Indien präsent Die Migros-Frachtfachfrau, die auf eine dreissigjährige Karriere auf diesem Feld zurückblickt, wird auch diese Krise meistern. Als «Prozessleiterin Customer Service und Leistungseinkauf», so ihr offizieller Titel, führt Furrer ein dreiköpfiges Team. Um die Beschaffung direkt bei Produzenten kümmert sich das Sourcing-Büro Migros (Hong Kong) Limited, wo über achtzig Menschen arbeiten; bei der Migros India Private Limited in Delhi sind es rund dreissig Angestellte. Nearshoring – ein Traum fern der Wirklichkeit Ein Traum, der sich in der Corona-Zeit allenthalben regte, werde sich in naher Zukunft kaum erfüllen, sagt Furrer: der Wunsch nach dem «Nearshoring», dass also Güter vermehrt in der Nähe produziert würden statt auf den fernöstlichen Weltwerkbänken. Gartenmöbel aus dem Vorarlberg statt aus Vietnam, Staubsauger und Pfannen aus Skopje statt Schanghai – das wird so wohl nicht kommen: «Realistischerweise wird dies eher nicht oder nur sehr vereinzelt geschehen. Was wir sehen, ist eher, dass die Produktion aus Kostengründen zwar aus China abwandert – aber nicht nach Europa, sondern in günstigere asiatische Länder wie etwa Vietnam.» Der Grund liege nicht nur bei den Kosten, sondern auch beim Produktionswissen, sagt Furrer: «Oft ist das industrielle Know-how in Europa für die Produktion gar nicht mehr da, es ist längst nach Fernost abgewandert.» Die Migros-Transportspezialistin wird also weiterhin Tausende Container pro Jahr rund um den Globus bewegen, damit die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten ihre Produkte wie Bananen pünktlich in den Regalen finden.

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Warum die Migros die Transsibirische Eisenbahn vermisst