Für den neuen Armasuisse-Chef hagelt es Kritik

Mit viel Selbstvertrauen hat Bundesrätin Viola Amherd den amtierenden Schweiz-CEO des französischen Rüstungskonzerns Thales zum neuen Chef von Armasuisse ernannt: Dieser heisst Urs Loher. Ab dem 1. August 2023 wird er zum obersten Militäreinkäufer des Landes. Deals, für die er sich bei diversen Ausschreibungen des Bundes für Thales ins Zeug legte, soll er bald von der anderen Seite aus betreuen. Dann statt als Bewerber und Bieter eben als Auftraggeber, Abwickler und Einkäufer. Viola Amherd: «Es geht um die Kompetenzen der Person» Selbstbewusst wirkt Amherd bei Lohers Vorstellung in der Öffentlichkeit deshalb, weil sie Fragen zu seinen allfälligen Interessenkonflikten vom Tisch wischt: «Es geht bei solch einer Ernennung um die Kompetenzen der Person, welche die Funktion ausfüllen muss. Und diese hat Herr Loher am besten erfüllt. Und deshalb habe ich ihn dem Bundesrat als neuen Rüstungschef vorgeschlagen.» Punkt, Thema erledigt. Denn: «Der neue Rüstungsdirektor Urs Loher verfügt nicht nur über eine langjährige und breite Erfahrung im VBS (Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport), sondern auch in der privaten Rüstungsindustrie», sagt Amherd. Er sei mit der schweizerischen und internationalen Rüstungsindustrie bestens vertraut und erfülle somit das Anforderungsprofil für die Funktion des Rüstungschefs vollumfänglich. Monika Roth: «Ärmliche Argumentation einer Bundesrätin» Au contraire, findet die Juristin, Richterin und Expertin für Compliance, Monika Roth: «Sich in diesem Zusammenhang ausschliesslich auf die Qualifikation eines Kandidaten zu fokussieren, ist eine ärmliche Argumentation einer Bundesrätin. Zur fachlichen Qualifikation im weiteren Sinne gehört die Integrität und dass keinerlei Interessenkonflikte bestehen.» Gerade im Falle der Waffenindustrie. «Diese hat nicht den besten Ruf, wenn es um Themen wie Korruption, Kickback-Zahlungen und Interessenkonflikte geht. Sie gilt als besonders sensitive Branche. In diesem Bereich müsste man also überkorrekt handeln», sagt Roth. Und legt nach: «Das beschädigt die Integrität der Auswahlverfahren.» Mehrere mögliche Interessenkonflikte Wo mögliche Interessenkonflikte bestehen könnten, zeigt der Blick ins Handelsregister, ins Medienarchiv, ins Offsetregister des Bundes und auf die Karriere von Loher. Er war bereits in den Jahren 2009 bis 2012 Leiter Führungs- und Aufklärungssysteme bei Armasuisse. Dann wechselte er zu Rheinmetall Air Defence, brachte es bis zum CEO der Rheinmetall Defence AG in Zürich. Bis Thales ihn auf die Payroll holte. Seit Januar 2019 – und bis heute – ist er CEO von Thales Schweiz. In seinem Antrittsjahr war Thales in der Schweiz mit einer Offerte für das Schweizer Luftraumüberwachungssystem erfolgreich und wurde für die Beschaffung von militärischen Kommunikationsgeräten honoriert. Das Unternehmen war und ist bis heute in zahlreiche Geschäfte mit dem Bund involviert. Etwa in die Lieferung von Simulatoren und Equipment im Zusammenhang mit Transport- und Schulungshelikoptern. Dieses Offsetgeschäft läuft bis 2028 und ist mit 900’000 Franken bereits übererfüllt. Mit begünstigt in diesem Geschäft ist nicht nur Thales als Gruppe und deren Schweizer Niederlassung, sondern auch der Geschäftsbereich Thales Rail Signalling Solutions, welche im September dieses Jahres in GTS Schweiz AG umbenannt wurde und von welcher Loher nach wie vor Präsident ist. Sein Amt als Chef von Armasuisse tritt er weit vor dem Ablauf dieser Gegengeschäfte an. Es geht um viele Millionen Franken Dann wären da noch Upgrade, Unterhalt, die Zulieferung und der Ersatz der Führungssysteme des Luftraumüberwachungssystems – Laufzeit bis 2027/28. Rund 120 Millionen Franken an Gegengeschäften braucht es in den nächsten Jahren noch, damit der beauftragte Lieferant Thales diese Deals vereinbarungsgemäss erfüllt haben wird. Begünstigte ist auch die Gesellschaft Thales Alenia Space Schweiz, bei der Loher Verwaltungsrat ist. Und noch ein weiteres Geschäft über ein Funkaufklärungs- und Sendesystem zwischen Armasuisse und Thales läuft bis 2024 in der Schweiz. All diese Bestellungen des Bundes in dreistelliger Millionenhöhe fallen in die Zeit von Thales-Schweiz-Chef Urs Loher, welcher ab August die Interessen des VBS, von Armasuisse und letztlich der Schweizer Steuerzahlenden gegenüber seinem derzeit noch aktuellen Arbeitgeber vertreten wird. Auch der Deal zwischen Ruag und Thales bezüglich der Ausbildungseinheit Simulation & Training für Schweizer Soldaten und Soldatinnen fällt in Lohers Zeit als Thales-Schweiz-Chef. Die Ruag hat diese Einheit mit 500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 90 Millionen Euro an Thales verkauft. Mit diesem Zukauf erweitert Thales seinen lokalen Fussabdruck in den Regionen Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, Vereinigten Arabischen Emiraten, Australien – und in der Schweiz. Loher ist seit Mai Präsident dieser Einheit unter dem Dach von Thales. «Die Schweizer Armee wird auch weiterhin ein Kunde dieser Einheit von Thales sein», schreibt das Unternehmen. Die Krux mit der Drehtürpolitik Von Armasuisse zu Rheinmetall, dann zu Thales, um wieder zur Bundesbehörde Armasuisse zurückzukehren, welche mit beiden Unternehmen in einem Auftragsverhältnis steht: «Revolving-Doors-Angelegenheiten sind grundsätzlich bedenklich», findet Compliance-Expertin Roth. («Revolving Doors» oder «Drehtürpolitik» beschreibt den Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft, der für Lobbyismus eingesetzt werden kann.) Wann Loher aus dem Thales-Unternehmen ausscheiden wird, ist nicht zu erfahren. «Über Mitarbeitende geben wir keine Auskunft», sagt ein Sprecher und verweist auf den künftigen neuen Arbeitgeber Armasuisse. Die Rüstungsbehörde äussert sich bis Redaktionsschluss weder zu Fragen möglicher Interessenkonflikte noch zu seinem geplanten Austritt bei Thales. Bis auf Weiteres ist er gemäss Registereinträgen weiterhin in diversen Schweizer Thales-Gesellschaften entweder als CEO, Verwaltungsrat oder Präsident aktiv. Keine Cooling-off-Periode? Auch von einer sogenannten Cooling-off-Periode ist nichts bekannt – also die Zeit zwischen altem und neuem Job, um der Unvereinbarkeit bestimmter Aufgaben vorzubeugen. In der Schweiz ist das ohnehin nicht Usus. Aber: «Nur weil etwas üblich ist, heisst das nicht, dass es richtig und legitim ist», sagt Roth. In der Schweiz gibt es nur vereinzelte Bundesbehörden mit Cooling-off-Vorschriften. Das VBS gehört nicht dazu. Das Verteidigungsdepartement kann danach handeln, muss aber nicht. Was Roth ebenfalls stört: «Dass man sich immer wieder um Best Practices sowohl in der Privatwirtschaft als auch beim Bund foutiert, ist schlechte Governance.»