Fusion von DSM und Firmenich: Ein ungleiches Paar hat sich gefunden

Es muss nicht immer Genf oder Basel sein. Auch die Provinz kann Grossfusion. Der neue Multimilliardenkonzern DSM-Firmenich, der heute seinen ersten Schultag hat, hat seinen Hauptsitz in Kaiseraugst AG – ein 5536-Seelen-Dorf im Dunstkreis der Basler Big Pharma, dort, von wo aus einst die Römer über den Juranordfuss regierten und wo die Basler Chemie kein Roche-Turm und kein Novartis-Campus ist, sondern noch gute alte Produktion. Vor einem Jahr gaben der niederländische Chemiekonzern DSM und der Genfer Duft- und Aromenhersteller Firmenich ihre Fusion bekannt. Nun sind alle Hürden aus dem Weg geschafft, das Abenteuer kann beginnen. Eine Fusion, die niemand auf dem Schirm hatte Die Dimensionen sind enorm: 30’000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, 12 Milliarden Euro Umsatz, Börsenwert 30 Milliarden Euro – das ist die Grössenordnung von Givaudan. Auch bei der Forschung und Entwicklung bringt der neue Koloss einige Pfunde auf die Waage: 700 Millionen Euro will man sich das Austüfteln neuer Düfte, Texturen und Aromen in Genf, Kaiseraugst und in Heerlen in der niederländischen Provinz Limburg kosten lassen – ein Spitzenwert im Industrievergleich. Es war ein Zusammenschluss, den so niemand auf dem Schirm hatte. Und viele reiben sich auch heute noch die Augen: hier die feinen Duftnasen von Firmenich, mit ihrer Nähe zum französischen «Luxe»; das noble Familienunternehmen im Umfeld des Pariser Chics mit Chanel, Christian Dior, Yves Saint Laurent oder Givenchy. Dort der niederländische Breitbandanbieter mit seinen Wurzeln im Bergbau, der von Vitaminen über Verdickungsmittel und Süssstoffen bis hin zu Futtermittelzusätzen für Kühe gegen das Absondern klimaschädlicher Methangase fast alles im Sortiment hat, was Nestlé, Unilever und Danone für die Produkte brauchen. Ein ungleiches Paar Die Unterschiede sind enorm. Genfer Noblesse versus niederländischer Pragmatismus, fast 130 Jahre Tradition und Beständigkeit beim noblen Familienunternehmen aus Genf versus Dauertransformation auf der Achse Heerlen–Kaiseraugst. Unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Kundschaft und als Ergebnis der Fusion eine hochkomplexe Organisation mit nun drei Gravitationszentren, davon zwei Hauptsitze in den Niederlanden und in der Schweiz: Ob das gut geht? Allein die Lohndisparitäten sind eine Herausforderung: Bei den Holländern liegen die Kaderlöhne am unteren Ende dessen, was hierzulande üblich ist. Die beiden Co-CEO Dimitri de Vreeze und Geraldine Matchett verdienen bei DSM 3,4 Millionen Euro. Der Chef von Sulzer macht 5 Millionen, bei den Chefs von Big Pharma im nahen Basel sind Gagen von 6 bis 10 Millionen und mehr die Norm. Auch der aktuelle DSM-Präsident liegt mit seinen umgerechnet 130’000 Franken unter dem Niveau eines globalen Milliardenkonzerns; in der Schweiz sind bei solchen Jobs eher 400’000 Franken üblich, und das erst noch bei viel tieferen Steuersätzen. Ob es gelingt, die beiden Kulturen zu matchen? Schon manche Fusion ist an der Kultur gescheitert. Das weiss auch das Führungsduo de Vreeze und Matchett – und agiert entsprechend. Der Holländer redet vom familiären Groove bei DSM und von der persönlichen Kultur im Grosskonzern. «Von daher sind die kulturellen Unterschiede zu DSM womöglich kleiner, als man vermuten würde». Und: «Wichtig ist, dass wir eine transparente Kultur haben.» Zwei Hauptsitze, einer in Kaiseraugst und einer in den Niederlanden, wo das Unternehmen an der Euronext kotiert ist. 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Schweiz, 2000 in den Niederlanden. Und fast drei Viertel des Geschäfts, das mit den beiden Divisionen Animal Nutrition & Health und Health, Nutrition & Care in Kaiseraugst und mit Perfumery, Beauty & Health in Genf aus der Schweiz gemacht wird. Da passt es schlecht, dass Geraldine Matchett das Unternehmen per September verlassen wird. Die schweizerisch-britisch-französische Dreifachbürgerin kennt die Schweiz, hat 25 Jahre ihres Berufslebens hier verbracht, unter anderem bei Deloitte und beim Genfer Warenprüfkonzern SGS. Genf verliert, Basel gewinnt Beim neuen Grosskonzern haben die Holländer das Sagen, auch wenn die DSM-Oberen gerne von einem «Merger of Equals» sprechen. Sie stellen den CEO und den Präsidenten, und sie halten im Verwaltungsrat eine Mehrheit. Steuerlich aber steht die Schweiz auf der Gewinnerseite. Die Holding wird ihren Sitz in Kaiseraugst haben. Der fusionierte Konzern wird global rund 400 Millionen an Steuern abdrücken, davon dürften 200 Millionen hierzulande hängen bleiben, vor allem im Aargau. Die Region Nordwestschweiz wird aufgewertet und macht Punkte gut gegenüber dem Finanzzentrum Zürich, das mit dem Niedergang der Credit-Suisse-Grossbank an Bedeutung verliert. Bitter ist das Ganze für Genf, wo man sich die Wunden leckt. Die Rhonestadt verliert einmal mehr ein bedeutendes Unternehmen und damit an internationaler Strahlkraft. Das war schon beim Verkauf des Biotech-Unternehmens Serono an die deutsche Merck so. Ob die Rechnung aufgeht? Ob die Rechnung am Schluss aufgeht? Für ein Urteil ist es noch früh. Die neuen Chefs zeichnen das Bild einer Wachstumsstory, die Synergien schöpft und in der Forschung und Entwicklung noch stärker vorlegen kann. Zu den Optimisten gehört natürlich auch der neue VR-Vizepräsident Patrick Firmenich, dessen Clan mit der faktischen Übernahme 3,5 Milliarden Euro Cash kassierte. Er schwärmt von der «wissenschaftlichen Basis und den kombinierten Kapazitäten». Angestrebt wird auch ein Wachstum von 5 bis 7 Prozent und eine bereinigte Betriebsmarge von 23 Prozent – alles ambitionierte Ziel, die einige Beobachter und Beobachterinnen als zu hoch angesetzt sehen. Zweifellos gibt es riesige exekutive Herausforderungen, welche das Management in den nächsten Jahren in Beschlag nehmen wird. Das könnte Konkurrenten wie Givaudan, Symrise oder der amerikanischen IFF in die Hände spielen. Die Industrie, die die Big Animals der Konsumgüterindustrie mit Zutaten versorgt, ist stark konsolidiert und hoch kompetitiv, da bleiben frei werdende Opportunitäten nicht lange ungenutzt. Wird die Duft-Division wieder abgespaltet? Es gibt deshalb auch kritischere Stimmen, die vor einem schwer führbaren Konglomerat reden und die zweifeln, ob der neue Gigant zusätzliche Werte schaffen kann. «Grosse Fusionen sind in dieser Industrie nur selten erfolgreich, das zeigt die Geschichte», sagt Arben Hasanaj, Analyst bei Vontobel. IFF sei hier schon zweimal eher negativ aufgefallen, zunächst mit der Akquisition von Frutarom, und zuletzt habe auch der Merger mit Dupont Nutrition & Biosciences die Erwartungen nicht erfüllt. Einige glauben deshalb, dass es alles andere als gesetzt ist, dass der fusionierte Konzern in seiner heutigen Form mittelfristig Bestand haben wird. So gibt es die Meinung, dass das attraktive Duftstoffgeschäft, das Firmenich einbringt, dereinst abgespalten werden könnte. «Bei den Duftstoffen gibt es wenig Synergien zwischen den beiden Unternehmen», sagt Arben Hasanaj. Er gehe deshalb davon aus, «dass bei den Düften alle Optionen offen sind». Der Vontobel-Analyst hält einen Verkauf der Sparte an einen Konkurrenten für denkbar, allerdings könnte ein solcher wegen der bereits weit fortgeschrittenen Konsolidierung der Branche wettbewerbsrechtliche Probleme mit sich bringen. «Eine Alternative wäre ein Börsengang mit Kotierung in der Schweiz oder ein Verkauf an Private Equity.» DSM-Firmenich geht an den Start. Doch damit hat die Geschichte womöglich erst gerade begonnen.

Fusion von DSM und Firmenich: Ein ungleiches Paar hat sich gefunden

DSM-Firmenich – ein ungleiches Paar hat sich gefunden