Es ist der Zusammenschluss zweier Unternehmen, die sich nicht zu verstecken brauchen: DSM, weltweit führender Anbieter von Nahrungsmittelzusätzen aus dem niederländischen Heerlen und dem aargauischen Kaiseraugst, und Firmenich, Familienunternehmen aus Genf, Schwergewicht in der leichten Welt der Düfte und Aromen, gehen zusammen

Eine Fusion, die so kaum jemand auf dem Radar hatte. Was es mit dem jüngsten Mega-Merger mit Schweizer Beteiligung auf sich hat – hier in vier Punkten.

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1. Warum gehen die beiden Unternehmen zusammen?

Auf den ersten Blick haben es die beiden Unternehmen ja nicht nötig. Die einst mit Kohleminen gross gewordene DSM hat sich seit der Übernahme des Vitamingeschäfts von Roche vor zwanzig Jahren vom Anbieter simpler Petro- und Basischemie zu einem führenden Player auf dem boomenden Markt von Nahrungsmittelzusätzen gemausert. Nun bedient man aus Kaiseraugst, von wo aus der Konzern mittlerweile stark operiert, klingende Namen wie Nestlé und Danone.

Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren in einem hoch kompetitiven Geschäft Wachstumsraten von 5 und mehr Prozent hingelegt und macht mittlerweile 7,3 Milliarden Euro Umsatz. Die Ebitda-Marge lag bei 19 Prozent. Das sind Zahlen, von denen die meisten Weltkonzerne nur träumen können.

Doch auch das Genfer Traditionshaus der Firmenichs brillierte mit Wachstumsraten von 5 Prozent, einem Umsatz von zuletzt umgerechnet 4,2 Milliarden Euro und einer Ebitda-Marge von 20 Prozent.

Firmenich hat 4000 Patente angemeldet. Kein anderes Unternehmen seiner Industrie, selbst die umsatzmässig stärkere Givaudan, bringt bei Forschung und Entwicklung (R&D) so viel PS auf den Boden. Firmenich steckte zuletzt 9,3 Prozent des Umsatzes in R&D, bei Givaudan waren es 8,4 Prozent. Ganz zu schweigen von der amerikanischen IFF und der deutschen Symrise, bei denen die R&D-Ausgaben bei gerade mal 6 Prozent lagen.

Nun hofft man, gemeinsam noch schneller zu wachsen. «Das ist eine Wachstumsgeschichte», sagt Geraldine Matchett, aktuell Co-CEO von DSM und designierte Co-CEO des neuen Unternehmens. Die Aktionäre und Aktionärinnen dürfen sich künftig auf Wachstumsraten von 5 bis 7 Prozent freuen. Und auch bei der Ebitda-Marge soll nochmals nachgelegt werden. Sie soll auf 22 bis 23 Prozent steigen. Nicht morgen, aber in «drei oder vier Jahren», sagte die Co-Chefin.

Synergien hingegen spielen nur am Rande eine Rolle. Sie werden auf 350 Millionen Euro beziffert. Gewiss, in den übergeordneten Konzernfunktionen wird es Doppelspurigkeiten geben. Aber ein grosser Stellenabbau ist nicht zu erwarten. Zudem bringt das neue Unternehmen mehr Gewicht auf die Waage, wenn es um den Kauf von Rohstoffen geht.

Ausserdem: Die Geschäftsfelder von Firmenich und DSM sind komplementär.  Auch das spricht dafür, dass es bei diesem Zusammenschluss nicht darum geht, Kosten zusammenzustreichen, sondern die nächste Stufe zu zünden.

2. Warum gibt Firmenich die Unabhängigkeit auf?

Eigenständigkeit und Kontrolle durch die Familie waren die DNA von Firmenich. «Die Firma Firmenich schätzt ihre Unabhängigkeit und ihren langfristigen Ansatz», schreibt Familienpatron Patrick Firmenich auf der Webseite. Über 127 Jahre lang war die Familie am Drücker, hat über ein Dutzend Übernahmen in den vergangenen fünf Jahren klaglos mitgetragen.

Doch jetzt ist Schluss. In der neuen Konstellation mit DSM werden die Familienmitglieder zum Juniorpartner mit einem Anteil von 34,5 Prozent. Ein Schritt, der ihnen mit einer Barzahlung von 3,5 Milliarden Euro versüsst wird. Obendrein werden sie schon bald fürs aktuelle Geschäftsjahr eine Dividendenzahlung von 250 Millionen Franken einfahren dürfen. Und falls die Fusion alle behördlichen und wettbewerbsrechtlichen Hindernisse nimmt und von den Aktionären und Aktionärinnen abgesegnet wird, dürften noch einmal 200 Millionen Franken auf die Konten der Familienmitglieder fliessen. 

Es gehe darum, sich für ein neues Kapital zu öffnen, sagt Noch-Firmenich-CEO Gilbert Ghostine. Auch ein Börsengang sei geprüft worden, sagt der CEO, der vor acht Jahren als erster Externer an die Spitze berufen worden war. Doch dann sei man zum Schluss gekommen, dass der Schulterschluss mit DSM für das künftige Geschäft besser sei. 

Das lässt vermuten, dass es den Milliardären aus Genf – die Bilanz schätzt das Vermögen der mittlerweile 45 Mitglieder zählenden Firmenich-Familie auf 9,5 Milliarden Franken – wohl doch etwas mulmig wurde angesichts der schnell fortschreitenden Konsolidierung ihrer Branche. Mit einem Marktanteil von 10 Prozent bringt Firmenich zwar einiges auf die Waage. Das Unternehmen spielt, zusammen mit Givaudan, IFF und Synrise, in der ersten Gewichtsklasse. Doch die vier Grossen beherrschen noch immer nur knapp die Hälfte des Marktes. Und das grosse Fressen und Gefressenwerden hat erst begonnen, die Branche befindet sich mitten im rasanten Konsolidierungsprozess. Gut möglich, dass die Familie einsehen musste, dass sie dafür nicht richtig aufgestellt ist und dass sich die Zukunft des Geschäfts nur mit einem transformativen Deal sichern lässt.

Probleme mit oder in der Familie sollen jedenfalls nicht der Grund sein für die Aufgabe der Eigenständigkeit. Ein Problem mit der Nachfolge habe es nicht gegeben, sagt CEO Gilbert Ghostine. 

3. Wer hat das Sagen beim neuen Unternehmen?

Es handle sich um einen «wirklichen Merger of Equals», hiess es heute. Doch die Kräfteverhältnisse sprechen eine andere Sprache: Das Sagen haben künftig Leute von DSM. Geraldine Matchett und Dimitri de Vreeze, beide aktuell Co-CEO von DSM, werden die Chefs der neuen Firma. Die beiden übernehmen zudem die Schlüsselressorts Finanzen und Operatives. Matchett wird CFO, de Vreeze COO. Von Firmenich kommt bis jetzt erst der Chief Integrating Officer, eine Funktion, die für die Zeit der Zusammenführung geschaffen wurde. Die anderen Topshots werden später nominiert. Die Geschäftsleitung werde ausgewogen zusammengesetzt sein, sagte Geraldine Matchett. Dass das gelingt, wird entscheidend sein. Denn klar ist: Diese Operation gelingt nur, wenn es den Niederländern gelingt, die Leute von Firmenich mit ihrem Wissen und Können bei der Stange zu halten.

Auch beim Verwaltungsrat ist klar, wohin der Wind weht. Präsident wird Thomas Leysen, aktuell Präsident von DSM. Patrick Firmenich, Präsident von Firmenich, wird hinter Leysen Vizepräsident. Er muss seine Rolle finden: vom Unternehmer zum Vizepräsidenten. Der Verwaltungsrat des neuen Unternehmens wird vier Mitglieder haben, die von Firmenich kommen, sieben Mitglieder – also die Mehrheit – werden DSM-Leute sein.

4. Wer gewinnt, wer verliert?

Grösster Verlierer ist Genf. Das neue Unternehmen wird seinen juristischen Hauptsitz in Kaiseraugst AG haben. Die operativen Zentren sind in den Niederlanden, Genf steigt zum Standort ab. Das Downgrading ist ein Schlag für die Rhonestadt, vergleichbar mit dem Verkauf der Biotech-Firma Serono an die deutsche Merck. Dafür darf der Kanton Aargau auf zusätzliche Steuererträge hoffen. Der Kanton beziehungsweise das an Basel angrenzenden Fricktal profitiert einmal mehr von seiner Nähe zum Life-Science-Standort Basel.

Gemischt ist die Bilanz aus Sicht der Niederländer. Der neue Milliardenkonzern ist zwar an der Euronext in Amsterdam gelistet. Dafür hat DSM zeitgleich mit der Ankündigung des Zusammenschlusses heute auch den Verkauf der letzten Assets bekannt gegeben, die noch an die alten Zeiten von Kohle und Petrochemie erinnern. Die Sparten mit den Engineering Materials wurde für knapp 4 Milliarden Euro weiterverkauft. Der Verkaufspreis wird nun in den Aufbau des neuen Champions für Schönheit, Wohlbefinden und Gesundheit investiert.

Ebenfalls auf der Gewinnerseite: die aktuellen Aktionäre und Aktionärinnen von DSM. Der Kurs von DSM legte heute um 8,7 Prozent zu.

Dafür ist der heutige Tag schmerzlich für jene, die an die Zukunft von Familienunternehmen glauben. Dieser Zirkel ist heute um eines ihrer erfolgreichsten Mitglieder kleiner geworden. Und in Genf geht heute eine Epoche zu Ende.