Galaxus: Warum die Migros-Tochter in Deutschland Millionen verbrennt

Hamburg-Ottensen: Aus dem Stadtquartier, wo einst Schiffsschrauben, Krane und Bagger montiert wurden, ist eine beliebte Ausgehmeile geworden. Wovon kaum ein Szenegänger beim Nippen seiner Disko-Schorle (Wodka, Mate, Cranberry) Notiz nimmt: ein schmuckloses Bürohaus abseits vom Party-Perimeter – die Zentrale der Migros-Tochter Galaxus.de. Im Ottenser Outback wird seit Ende 2018 auf ein grosses Ziel hingearbeitet. Nachdem Digitec Galaxus zu Hause in der Schweiz längst Marktführer ist, hat sich das Unternehmen auch fürs Ausland fast schon unschweizerisch ambitionierte Ziele gesetzt: «Wir wollen auf mittlere Frist zu den relevantesten Playern in Europa gehören», sagt Galaxus-Chef Florian Teuteberg. Bisher über 70 Millionen Euro verbrannt Wie teuer dieses Ziel erkauft werden muss, zeigt der Geschäftsbericht der Galaxus Deutschland GmbH, welcher der «Handelszeitung» vorliegt. Wie üblich für ein E-Commerce-Unternehmen, das in einem neuen Markt zunächst einmal Lieferanten anbinden, ein Lager aufbauen und Bekanntheit schaffen muss, ist zu Beginn mit Verlusten zu rechnen. So fielen auch bei Galaxus.de die Kosten in den ersten zwei Jahren, verglichen mit dem noch kleinen Umsatz, verhältnismässig hoch aus. Resultat: Im ersten vollen Geschäftsjahr 2019 resultierte bei der Galaxus Deutschland GmbH ein Jahresfehlbetrag von 5,8 Millionen Euro, gefolgt von 11,2 Millionen Euro im Jahr darauf. Im Geschäftsjahr 2021 kam Galaxus.de auf ein Minus von 20,8 Millionen Euro, was die Verluste seit Start Ende 2018 bereits auf 38 Millionen Euro bringt. Und es wird noch mehr, schreibt das Unternehmen: «Die Gesellschaft erwartet im Prognosezeitraum weitere negative operative Cashflows, welche eine fortgesetzte Zufuhr von liquiden Mitteln erfordern.» Im laufenden Jahr 2022 werde die Firma ein negatives Ergebnis von 35 bis 45 Millionen Euro schreiben. Galaxus.de wächst zwar beim Umsatz, aber die Fehlbeträge wachsen proportional zur Verkaufsgrösse. Über 70 Millionen Euro dürften seit dem Start Ende 2018 schon verbrannt worden sein. Das Mutterhaus Digitec Galaxus in der Schweiz hält Galaxus Deutschland mit einem nachrangigen Darlehen über Wasser. Ende 2021 wurde dieses mit 42,5 Millionen Euro in Anspruch genommen. Im Sommer 2022 erhöhte das Mutterhaus die Kreditlinie auf bis zu 145 Millionen Franken. Das Eigenkapital der Galaxus Deutschland indes ist längst negativ. Ende 2021 betrug es minus 38 Millionen Euro. Zu den bisher angefallenen Fehlbeträgen und den prognostizierten weiteren Verlusten von Galaxus.de sagt Teuteberg: «Das ist zugegebenermassen viel Geld, aber in Relation zu dem, was wir anstreben, macht es in einem Wachstumsmodell Sinn.» Tatsächlich zeigen andere Beispiele aus der Dot-com-Welt wie etwa Amazon, dass der Weg zum Erfolg auf diesem Feld lange ist und teuer erkauft werden muss. Fortschritte beim Umsatz Der Umsatz, im ersten vollen Geschäftsjahr 2019 noch bei 14,3 Millionen Euro, hat seither stark zugenommen. Zwar ist Galaxus.de immer noch weit entfernt vom selber gesteckten Ziel, dereinst zu den Top-Five-Playern im deutschen E-Commerce zu gehören. Aber immerhin gelang es 2021, erstmals die Schwelle von 100 Millionen Euro zu überschreiten. Für 2022, heisst es im Geschäftsbericht 2021, wird mit einer «annähernden Verdopplung des Umsatzes auf zirka 200 Millionen Euro» gerechnet. Wenn das so eintrifft, dürfte Galaxus.de in die Top 70 der deutschen E-Commerce-Landschaft vorstossen. Die «Handelszeitung» hat die Galaxus.de-Zahlen zwei Profis vorgelegt, die sich mit Eckwerten und Bedingungen in E-Commerce-Wachstumsstrategien auskennen. Beide befinden, dass sich die Zahlen im Rahmen dessen bewegten, was es brauche, um in neuen Märkten auf eine gewisse Flughöhe zu kommen. Zu bedenken sei aber auch, dass das Gedeihen von Galaxus.de vom Mehrheitsaktionär Migros abhänge: «Wenn die Mutterfirma nicht weiter investieren kann oder will, wird es ein grösseres Problem geben.» Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Genossenschaft Migros Zürich erst kürzlich Schlagzeilen generierte mit einem dreistelligen Millionenverlust, der beim Verkauf des europäischen Fitness-Geschäfts entstanden sein soll. An der Heimatfront muss sich die Migros in ihrem Supermarkt-Kerngeschäft gegen die erstarkende Discount-Konkurrenz wehren und dort um jeden Rappen Preisvorteil kämpfen. Wenn im Frühling 2023 eine neue Migros-Chefin oder ein neuer Migros-Chef das Amt von Fabrice Zumbrunnen – er ist Mitglied im Verwaltungsrat der Digitec Galaxus – übernimmt, ist es ungewiss, wie sie oder er die Prioritäten legen und welchen Platz dabei eine naturgemäss kostspielige Auslandexpansion einnehmen wird. Hilfe aus der Schweiz wird es aber auf jeden Fall brauchen, damit Galaxus im Ausland seinen geplanten Feldzug weiter durchführen kann. Abhängig vom Mutterhaus Für sich alleine scheint so Galaxus im Ausland nicht überlebensfähig zu sein, wird im Geschäftsbericht 2021 in aller Deutlichkeit vermerkt: «Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit und damit die Fortführung der Unternehmenstätigkeit der Gesellschaft ist somit auch über den Prognosezeitraum hinaus von der finanziellen Unterstützung der Digitec Galaxus AG, Zürich, Schweiz, abhängig.» Teuteberg hält dagegen: «Mit Digitec Galaxus arbeiten wir profitabel in der Schweiz. In Deutschland liegt der Anteil der wiederkehrenden Kunden in signifikanter Höhe; wir wachsen dort schneller und mit tieferen Verlusten als geplant.» Dass die Kreditlinie im Sommer 2022 erhöht wurde, sieht ein Sprecher von Digitec Galaxus in Zürich als positives Zeichen: «Die Kreditzusagen werden bei Bedarf fortlaufend erhöht, wenn der Erfolg die Investitionen rechtfertigt. Die Erhöhung entspricht unserem Plan.» Frankreich als nächster Auslandmarkt Derweil setzt der Auslandarm von Galaxus, bisher in Deutschland und Österreich präsent, auf weitere Expansion. Im Jahr 2022, heisst es im Geschäftsbericht, werden «voraussichtlich vier weitere europäische Länder folgen». Dazu ist es nicht gekommen. Nicht aus Spargründen, heisst es bei Digitec Galaxus in Zürich, sondern weil man einen neuen Zahlungsdienstleister angebunden habe, mit dem man schneller auf lokale Präferenzen bezüglich Zahlungsmittel reagieren könne. Und zweitens, «weil sich die rechtlichen Rahmenbedingungen zwischen den EU-Ländern stärker als erwartet unterscheiden». Klar aber sei, sagt ein Sprecher in Zürich, dass die Expansion fortschreite. «Frankreich wird unser nächster Ländermarkt sein. Es werden weitere Länder folgen.» Aus Deutschland könne man ohne grosse Zusatzkosten weitere Länder beliefern. Mit dem Start in Frankreich sei im ersten Quartal 2023 zu rechnen. Wann mit dem Moment zu rechnen ist, da Galaxus.de seine Umsätze und Kosten in ein positives Verhältnis bringen kann, will das Unternehmen nicht sagen: «Den Break-even der Galaxus Deutschland GmbH sehen wir am Horizont, genauere Prognosen teilen wir aus Konkurrenzgründen nicht mit der Presse», sagt ein Firmensprecher in Zürich. «Deutschland erobern» Auch wenn es nächstes Jahr für Galaxus also in Frankreich losgeht – eine entsprechende Website meldet: «Galaxus sera bientôt aussi disponible en France!» –, wird Deutschland aber vorderhand der wichtigste Auslandmarkt bleiben. Mit seinen mittlerweile 218 Vollzeitstellen – der Grossteil davon in der Logistik in Krefeld nahe Düsseldorf – will Galaxus.de zu einem der wichtigsten Anbieter in Deutschland werden. Davon zeugt auch ein Abschnitt im Geschäftsbericht. Unter den strategischen Prioritäten wie etwa «nachhaltig wachsen» oder «Verlust verringern» findet sich auch jener Schlachtruf, der in Hamburg-Ottensen in der Luft liegt: «Deutschland erobern.»

Galaxus: Warum die Migros-Tochter in Deutschland Millionen verbrennt

Galaxus verbrennt 70 Millionen Euro für Deutschland-Abenteuer