Keine andere Schweizer Firma macht mehr Umsatz als Glencore. Weltweit beschäftigt nur Nestlé mehr Mitarbeiter. Und kaum ein anderer Konzern ist umstrittener als der Riese aus dem Kanton Zug.

202 Milliarden Franken Umsatz erwirtschafteten die 146 000 Angestellten des Rohstoffhändlers 2017 weltweit. Gewerkschaften, Menschrechts- und Umweltschutzorganisationen werfen Glencore vor, Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte zu verletzen. Die Zentrale in Baar ZG findet die Anschuldigungen ungerechtfertigt. Menschenrechte hätten für das Unternehmen höchste Priorität. Man sollte aber auch wissen: Der Mammutkonzern gilt als höchst verschwiegen.

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Die Rohstoffhändler am Hauptsitz geben dem Konzern zwar gegenüber seinen Kunden ein Gesicht – auch der heutige Chef Ivan Glasenberg (61) war lange als Händler tätig. Die Öffentlichkeit aber weiss kaum etwas darüber, was die insgesamt rund 900 Mitarbeiter in Baar tun. Nach langen Verhandlungen hat sich nun eine Tür geöffnet.

«SonntagsBlick» konnte als erstes Medium mit einer Rohstoffhändlerin über ihr Geschäft sprechen, der Nickel-Händlerin Vesna Romic Müller (38).

Im Kino hängen Trader immer am Telefon, kaufen und verkaufen unter mörderischem Stress. Wie ist es wirklich?
Vesna Romic Müller: Tatsächlich sind wir meist am Telefon mit unseren Kunden oder auf Reisen, um uns mit ihnen zu treffen.

Wie oft sind Sie unterwegs?
Ein bis zwei Tage pro Woche. Da ich für den europäischen Markt zuständig bin, ist es etwas weniger als bei anderen Händlern, etwa bei jenen, die für Asien zuständig sind.

Wie sieht so ein Reisetag aus?
Ich nehme meist den ersten Flieger, also etwa um sieben oder halb acht Uhr. Von daheim in Zug muss ich also etwa um fünf Uhr morgens los. Am Abend fliege ich wieder zurück und bin dann zwischen acht und zehn Uhr wieder zu Hause.

In diesem Geschäft sind Männer oft unter sich. Wie ist es für Sie als Frau?
Ich denke nicht, dass meinen männlichen Kollegen diese Frage gestellt würde.

Sie aber sind nun einmal in der Minderheit.
Ja, der Rohstoffhandel ist noch immer ein Bereich, wo mehr Männer als Frauen tätig sind. Aber ich bin jetzt zehn Jahre dabei. Ich hatte nie das Gefühl, mehr oder weniger leisten zu müssen als meine männlichen Kollegen.

Ist das auch tatsächlich so?
Einer der persönlichen Gründe, warum ich dieses Interview zugesagt habe, ist, dass ich zeigen will, dass auch Frauen in diesem Geschäft erfolgreich sein können. Der Job ist anspruchsvoll – unabhängig davon, wer ihn ausführt. Ich möchte andere Frauen aber dazu ermutigen, es ebenfalls zu versuchen. Denn der Rohstoffsektor ist unglaublich spannend und vielfältig.

Es kommt auf gute Beziehungen zu den Kunden an, dass man abends auch einmal zusammen etwas trinkt...
Kundenbeziehungen sind sehr wichtig. Aber es geht nicht darum, mit Kunden etwas zu trinken oder mit ihnen in den Ausgang zu gehen. Was zählt, ist Kompetenz. Man muss den Markt kennen, das Produkt, muss wissen, was der Kunde braucht. Nur dann ist die Geschäftsbeziehung auch langfristig. Natürlich braucht ein guter Händler darüber hinaus Persönlichkeit, Geschäftssinn und Sozialkompetenz.

Aber auch Ausdauer. Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie?
Ich arbeite viel, aber ich zähle die Stunden nicht. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht arbeite, egal, ob Wochenende oder Ferien. Aber ich sehe es nicht als Arbeit, schon lange nicht mehr.

Work-Life-Balance ist für Sie kein Thema?
Nein. Meine Arbeit ist meine zweite Natur. Sie ist, wer ich bin.

Haben Sie Hobbys?
Ja, klar.

Welche sind es denn?
Hobbys sind für mich vor allem da, um eine Balance zu finden, gesund und fit zu bleiben, für den Job und für mich selber.

Sagen Sie uns ein Beispiel?
Zum Beispiel Joggen und Pilates.

Wie schwierig war es, in diese Position als Händlerin zu kommen?
Bei Glencore zählt Leistung. Man muss jeden Tag sein Bestes geben.

Es gibt viele, die Ihren Job möchten!
Gut möglich. Wir sind auch immer auf der Suche nach neuen Talenten.

Wann wird es in Ihrem Job hektisch?
Ich erinnere mich daran, als ein Kunde aus Asien anrief und Nickel in einer spezifischen Form und Qualität brauchte, die in einer unserer Raffinerien in Norwegen produziert wird. Dort wird sehr reines Nickel hergestellt. Der Kunde brauchte das Material so dringend, dass wir es per Luftfracht liefern mussten.

Das war aufregend.
Ja, es musste schnell gehen. Sehr vieles musste in sehr kurzer Frist erledigt werden.

Ivan Glasenberg auf dem Weg zur Generalversammlung 2018

Konzernchef Ivan Glasenberg auf dem Weg zur Generalversammlung 2018.

Quelle: Keystone

Kommt so etwas öfter vor?
Natürlich haben wir längerfristige Verträge mit Kunden. Kurzfristige Geschäfte gehören aber zum Alltag. Heute Morgen hatte ich schon vier kurzfristige Anfragen.

Wie läuft das ab?
Der Kunde ruft an. Teilt mir die Nickel-Qualität mit, die er benötigt, die Menge und wohin er die Lieferung haben möchte.

Sie müssen überall Lager haben, damit Sie schnell reagieren können.
Ja, wir nutzen Rotterdam als Hub für Lieferungen in Europa. Ich muss dann schauen, wo wir das Material vorrätig haben, ich muss mit der Logistik-Abteilung koordinieren, ob ein Lastwagen verfügbar ist, ob genügend Leute vor Ort sind, um diesen zu beladen und so weiter.

Im Wesentlichen geht es um Organisatorisches ...
Ja. Erst nachdem ich alle Elemente abgeklärt habe, kann ich dem Kunden sagen, ob, was und in welcher Menge wir liefern können. Anschliessend werden Vertragsdetails besprochen: Preis, Zahlungsmodalitäten und so weiter.

Okay, und dann ist die Aufregung vorbei.
Nicht unbedingt. Wenn es unvorhergesehene Lieferverzögerungen gibt, müssen wir schnell reagieren. Etwa in Fällen, wenn das Wetter plötzlich wechselt.

Wenn eines Ihrer Frachtschiffe wegen Sturm nicht die vorgesehene Route nehmen kann.
Ja, das kann vorkommen. Wenn ich jetzt spontan darüber nachdenke, kommen die meisten «Probleme» freitags.

Wieso?
Vielleicht einfach, weil die Leute freitags früher nach Hause gehen. Wenn es am Dienstag oder Mittwoch zu unvorhergesehenen Änderungen kommt, können wir das immer schnell regeln. Wenn es Freitag ist, dann sind die Leute schon fast im Wochenende. Es dauert dann länger, bis man auf Fragen eine Antwort bekommt.

Freitag ist auch der Tag, an dem das Wochenende beginnt. Wenn Sie privat Freunde von Freunden treffen: Wie reagieren die, wenn sie erfahren, dass Sie für Glencore arbeiten?
Meine Familie und Freunde sind neugierig und fasziniert. Ich bin persönlich ebenfalls tief fasziniert von der Firma. Das war ich schon immer, noch bevor ich begann, für Glencore zu arbeiten. Die Faszination hält selbst nach all diesen Jahren an. Mein privates Umfeld spürt und spiegelt das.

Proteste bei Glencore

Proteste vor der Glencore-Zentrale in Baar gegen die Arbeitsbedingungen im Kongo.

Quelle: Keystone

Also gar keine negativen Reaktionen, auch nicht im erweiterten Freundeskreis?
Nein. Ich kann mich an keine einzige negative Reaktion erinnern.

Alle finden es grossartig, für wen Sie arbeiten.
Ja, sie finden das spannend und wollen mehr über die Firma erfahren.

Andererseits gibt es aber auch viele Menschen, die sagen, dass Glencore Schlechtes tut.
Ich habe das persönlich nie so erlebt.

Demonstrieren nicht manchmal Glencore-Gegner vor dem Hauptsitz hier in Baar?
Ja, das kann es geben. Aber im Privatleben erhalte ich nur Zuspruch.

Was sagen Sie zur Konzernverantwortungs-Initiative, die verlangt, dass Schweizer Gesetze, etwa der Arbeitnehmerschutz, von Schweizer Unternehmen auch im Ausland, etwa im Kongo, beachtet werden müssen?
Ich bin nicht die Richtige, um das zu kommentieren. Aus Sicht von Glencore arbeiten wir bereits nach zahlreichen internationalen Standards und Richtlinien.

Dieser Text erschien zuerst im Wirtschaftsressort vom «Blick» unter der Überschrift «Die Nickel-Königin».