Bis Ende Jahr können Versicherte ihre obligatorische Krankenkasse wechseln – und die Kassen buhlen um neue Kunden. Bei diesem Wettbewerb um Marktanteile schnitten die grossen Anbieter letztes Jahr gut ab, wie eine Umfrage der «Handelszeitung» zeigt.

Sechs der elf angefragten Kassen konnten in der Grundversicherung Kunden gewinnen, eine konnte die Kundenzahl halten. Helsana, Sanitas und Swica melden besonders grosse Zugewinne. Grösster Anbieter bleibt die CSS – doch die Helsana konnte den Abstand zum Marktführer deutlich verringern. Nur 15'000 Versicherte trennen die Zürcher Verfolger von der Luzerner Kasse mit ihren rund 1,4 Millionen Kunden in der Grundversicherung. Atupri meldet als einzige der Kassen Abgänge. Die Berner Anbieterin führt die Verluste unter anderem auf die hohen Jugendrabatte der Konkurrenten zurück.

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Nur einer kleiner Teil der Versicherten wechselt die Kasse. Dieser Anteil dürfte letztes Jahr noch tiefer gewesen sein als üblich. Denn wer wechselt, tut dies meistens wegen einer Prämienerhöhung. Die Policen steigen 2019 deutlich weniger stark als in den letzten Jahren, als viele Schweizer sich wegen den beträchtlichen Aufschlägen eine neue Grundversicherung suchten.

Vor zwanzig Jahren boten noch fast 150 Unternehmen eine obligatorische Krankenversicherung an. Davon sind noch gut fünfzig übriggeblieben. Es ist ein Konzentrationsprozess im Gang, der gemäss unserer Umfrage anhält. Der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher hält diesen Trend nach Grösse für gesund –  sofern die grossen Anbieter ihre Marktmacht benutzen, um das Wachstum der stetig steigenden Gesundheitskosten zu bremsen. Wenn sich die Versicherer hingegen nur gegenseitig mit tiefen Prämien Kunden abjagen, gibt Locher einer neuen Initiative nach einer Einheitskrankenkasse gute Chancen.

HeinzLocherGesundheitsexperte

*Der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher verfügt über lange Erfahrung als Berater im Gesundheitswesen. Er ist ehemaliger Präsident des Vorstands der Allianz Schweizer Krankenversicherer (heute curafutura).

Quelle: ZVG

Die Mehrheit der grossen Grundversicherer ist 2018 gewachsen. Ist es in dem Geschäft ein Vorteil, gross zu sein?
Heinz Locher*: Es gibt natürlich Skaleneffekte. Die Grösse ist ein Vorteil, wenn man sie sich zunutze macht und nicht zu bürokratisch wird. Die grossen Versicherer konnten zulegen, weil sie eine gute Mischung von Preis und Leistung anbieten.

Spielt der Markt?
Dass die grossen gewachsen sind, ist positiv. Es muss genügend Anbieter haben, um Wettbewerb sicherzustellen. Es muss Platz übrig bleiben für kleine, innovative Versicherungen. Im Idealfall sollte es nicht weniger als zehn, zwölf Anbieter haben – und von dieser Grenze sind wir weit entfernt.

Versicherte scheuen den Wechsel

Nur ein kleiner Teil der Versicherten wechselt den Anbieter: 2017 machten lediglich 7,9 Prozent der obligatorisch Versicherten von der Möglichkeit Gebrauch, wie eine Umfrage des Vergleichsdiensts Comparis zeigte. Fast ein Viertel hat demnach noch nie die Versicherung gewechselt. Ein beschränktes Interesse zeigt die Bevölkerung auch an alternativen Behandlungsmodellen wie Telmed-, Hausarzt- oder HMO: 2017 nahmen nur 4,5 Prozent der Versicherten einen Wechsel zu einem solchen günstigeren Modell vor.
Wie viele Versicherte letztes Jahr den Anbieter wechselten, wird Comparis wegen der neuen Messmethode nicht erheben. Die Quote wäre aber voraussichtlich wiederum tief gewesen, weil der Aufschlag 2019 gering ausfällt: Steigende Prämien sind für Versicherte der wichtigste Grund, die Kasse zu wechseln.

 

Wieso ist gross gut?
Gross ist gut, weil grosse Anbieter eine gewisse Marktmacht haben. Sie könnten über das Versicherungsgeschäft auf das Gesundheitswesen einwirken, was wünschenswert wäre. Heute haben sich die Krankenversicherer von ihrer gesundheitspolitischen Verantwortung zurückgezogen. Sie betreiben Prämienwettbewerb und Risikoselektion. Von Gesetzes wegen sind sie ja Vertragspartner der Leistungserbringer. Sie müssten eine Vorstellung davon haben, wie eine gute Versorgung funktionieren sollte. Grosse Anbieter haben das Know-how und die Mittel, das Gesundheitswesen im Interesse ihrer Versicherten zu gestalten und Einfluss zu nehmen.

Sollten die grossen Anbieter also grösser werden – und vielleicht fusionieren?
Nein, es braucht innovative Versicherer, die Verantwortung übernehmen. Eine CSS, eine Helsana oder eine Groupe Mutuel sind gross genug, dies zu tun.

Ist die Grundversicherung ein interessantes Geschäft für die Versicherer?
Die Grundversicherung hilft, die Fixkosten abzudecken. Und die Grundversicherung verschafft den Unternehmen Zugang zu Daten. Diese Informationen können sie dann verwenden, um Zusatzversicherungen zu verkaufen. Wenn sie nur eine Zusatzversicherung anbieten möchten, hätten sie Mühe, an die Adressen zu kommen. Letztlich gibt es zwei Gründe, wieso die Unternehmen Grundversicherungen anbieten. Es ist in ihrer DNA und der Zweck der Gesellschaft – beispielsweise bei der Helsana, die mehrheitlich von einer Stiftung getragen wird. Oder es bietet ihnen Zugang zum Markt. Die Kombination von der Grund- und Zusatzversicherung ist interessant für die Anbieter.

2019 fällt der Prämienschock für einmal aus

Dieses Jahr steigen die Prämien voraussichtlich so schwach wie seit zehn Jahren nicht mehr: Die Grundversicherung dürfte schweizweit im Mittel um 1,2 Prozent aufschlagen. Junge Versicherte können sogar mit einer Prämienverbilligung rechnen. Dass der Aufschlag so tief ausfällt, liegt auch an einer neuen Messmethode: Neu wird das Kostenwachstum mit einer mittleren Prämie statt mit einer Standardprämie abgebildet. Doch auch wenn diese Änderung berücksichtigt wird, fällt das Wachstum 2019 tief aus (Jährlicher Zuwachs mittlere Prämie seit 2008: +3,5 Prozent).

Schauen Kunden nur auf den Preis, wenn sie die Kasse wechseln?
Der Preis ist sicher das wichtigste Kriterium. Kunden sollten aber im Minimum sowohl den Preis wie auch die Servicequalität berücksichtigen. Ich rate allen, das Rating der Kassen zu beachten. Um herauszufinden, ob die Anbieter beispielsweise sehr günstig sind, aber vielleicht gewisse Leistungen verweigern.

Nur eine Minderheit der Versicherten wechselt die Kasse. Wieso halten so viele an ihrem Anbieter fest?
Je besser jemand informiert ist, desto eher wechselt sie oder er. Viele sind auch mit dem Angebot zufrieden. Oder sie scheuen vor einem Wechsel zurück, weil sie ihn für kompliziert halten. Dies sind für mich die drei Gründe für die kleine Wechselbereitschaft.

Wie wird sich das Geschäft in der Grundversicherung in den nächsten Jahren verändern?
Der Konzentrationsprozess wird weitergehen. Die Versicherungen müssen innovative Modelle entwickeln und gesundheitspolitische Verantwortung übernehmen. Nur wenn sie das tun, haben sie eine gute Zukunft. Wenn sich die Krankenversicherer nur durch die Prämie differenzieren oder durch eine Risikoselektion, hätte eine erneute Initiative für eine Einheitskrankenkasse eine Chance.