Kaum etwas wird beim Luzerner Familienunternehmen Gübelin so grossgeschrieben wie Tradition. Seit 1854 am Markt, verkaufen die Gübelins mittlerweile in sechster Generation feine Uhren und wertvollen Schmuck.

Und doch ist es ausgerechnet das Unternehmen mit grosser Vergangenheit, das den Schweizer Uhren-Detailhandel in die Zukunft führt. Diese Woche eröffnet Gübelin einen Online-Shop für Uhren. Und zwar nicht für irgendwelche Günstig-Zeitmesser. Sondern für edle Schweizer Armbanduhren der Luxusklasse.

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Monatelange Verhandlungen

Das ist ein Paukenschlag. Eine Revolution. Eine Zeitenwende in einer Branche, die sich dem E-Commerce viel zu lange verschlossen hat. Im irrigen Glauben, dass Kundinnen und Kunden ihre Preziosen auch im 21. Jahrhundert am liebsten im edlen Ambiente eines stationären Ladens an teuerster Lage kaufen wollen. Cüpli statt Päcklipost war die Devise.

Damit macht Gübelin nun Schluss. Bereits diese Woche geht der Shop online, wie Firmensprecherin Anne Gorgerat Kall «Handelszeitung»-Recherchen bestätigt. Details will sie nicht preisgeben. Klar aber ist: Der Gübelin-Online-Shop ist Chefsache. Mastermind hinter der neuen Strategie ist Raphael Gübelin, seit 2007 gemeinsam mit seiner älteren Schwester Sara Gübelin Mittelmann im Verwaltungsrat der Gruppe und seit 2011 auch Chef des Unternehmens.

Monatelang hat er dem Vernehmen nach mit Uhrenmarken wie IWC, Jaeger-LeCoultre oder Glashütte Original verhandelt, um den ersten Schweizer Multimarken-Online-Shop zu realisieren. Es ist dem 39-Jährigen, der bei Novartis in Boston als Controller arbeitete und erst danach bei der Familienfirma einstieg, gelungen.

Uhren bis zu 10'000 Franken

Und zwar richtig: Der neue Online-Shop wird nicht blosses «Click & Collect» bieten, wie es die meisten Uhrenmarken in wenig überzeugenden Online-Shopping-Testballons realisierten. Gübelin liefert die Uhren direkt zum Kunden. Laut Eingeweihten wird auch das Sortiment ziemlich umfassend sein. Rund 15 Marken wird Gübelin online verkaufen.

Darunter klingende Namen wie Zenith, Piaget, Chanel, TAG Heuer, IWC, Jaeger-LeCoultre oder Ulysse Nardin. Von den ganz grossen Brands soll einzig die Genfer Manufaktur Patek Philippe, die Gübelin in den stationären Läden seit Jahren verkauft, nicht dabei sein. Das dürfte damit zusammenhängen, dass Gübelin nur Uhren bis zu einem Preis von 10'000 Franken online anbietet. Und die Preise für die meisten Patek-Modelle liegen klar oberhalb dieser Grenze.

Vorerst wohl nur in der Schweiz erhältlich

Gübelin, mit einem geschätzten Umsatz von rund 200 Millionen Franken hinter Bucherer und Kirchhofer der drittgrösste Uhrenhändler der Schweiz, hat auch ein starkes Standbein im Schmuckgeschäft. In einem zweiten Schritt will Gübelin auch diese meist im firmeneigenen Atelier designten Kollektionen online verkaufen.

Welche Länder Gübelin mit seinem Online-Shop abdeckt, will das Unternehmen erst nächste Woche verraten. Wahrscheinlich ist, dass zunächst nur Kunden in der Schweiz den Shop nutzen können. Dies nicht, weil Gübelin nicht international liefern will. Sondern deshalb, weil Uhrenmarken ihre nationale und internationale Distribution eng kontrollieren. Je nach Land arbeiten sie – ausserhalb der eigenen Marken-Shops – mit sorgfältig selektierten Händlern zusammen, denen sie vertragliche Exklusivität zusichern und im Gegenzug Einfluss auf deren Sortiment nehmen.

Abpsrachen mit Uhrenherstellern

Gübelin müsste also bereits Markt für Markt Absprachen mit den Uhrenherstellern getroffen haben. Das ist nicht anzunehmen. Vielmehr dürfte der Schweizer Retailer versuchen, das Liefergebiet seines E-Commerce-Angebots Schritt für Schritt über die Schweiz hinaus auszudehnen. Internationale Erfahrung hätte das Unternehmen bereits. Es führt in Hongkong und Kuala Lumpur je eine Schmuck-Boutique. Im Uhrengeschäft allerdings ist Gübelin ausschliesslich in der Schweiz tätig – mit sieben Geschäften.

Gübelins Online-Shop ist für die Branche eine Pionierleistung. Und sie ist für das Unternehmen bitter notwendig, waren die Zeiten im Uhrenhandel allgemein und bei Gübelin im Speziellen doch schon deutlich rosiger. Das weiss auch Firmenchef Raphael Gübelin. «Wir können nur bestehen, wenn wir uns weiterentwickeln und verbessern», sagte er kürzlich in einem Interview mit der «Weltwoche».

Tipping Point

Gübelin leidet – wie die ganze Branche vom Zulieferer über die Hersteller bis zu den Wiederverkäufern – seit Monaten unter einer Nachfragekrise. Erschwerend kommt hinzu, dass in letzter Zeit deutlich weniger kaufkräftige Touristen in die Schweiz kommen. Damit bleibt auch weniger Geld in den Kassen der noblen Geschäfte in Genf, Gstaad, Luzern, Zürich oder St. Moritz hängen. Allerdings meldete Gübelin-Sprecherin Gorgerat Kall kürzlich, dass das Weihnachtsgeschäft gut gelaufen sei. Die Umsätze zeigen also wieder in die richtige Richtung.

Für Gübelin ist das dringend notwendig. Das Unternehmen erholt sich noch immer vom Schock, dass es von sieben Marken der Swatch Group seit 2015 nicht mehr beliefert wird. Gübelin muss seither unter anderem ohne die nachfragestarken Uhren von Omega, Tissot und Longines auskommen. E-Commerce-Experten sehen in der Lancierung des Online-Shops von Gübelin einen Tipping Point. «Viele Multimarken-Retailer haben bereits fertige Online-Shops in der Schublade», sagt ein Kenner der Szene. «Sie wissen, was die Kunden wollen, müssen aber (noch) Rücksicht auf die Hersteller nehmen.» Damit dürfte nun Schluss sein. Die Konkurrenten werden «innert Monaten» mit eigenen Shops am Start sein, so der Experte.