Gut gealtert: Vintage-Handtaschen erreichen Rekordpreise

Grosse, runde Knopfaugen, markante Augenbrauen, zwei kurze Arme und schwarze Füsse, dazu ein spitzbübisches Schmunzeln: Das ist die Quelle Idole Kelly Doll Bag, oder kurz die Kelly Doll aus dem Luxushaus Hermès. Sie wurde an der Sotheby’s-Auktion in Genf für stolze 47’880 Franken versteigert – 15 Prozent über dem erwarteten Betrag. Vintage-Taschen steigerten sich innert kurzer Zeit zu einem der am schnellsten wachsenden Segmente von Sotheby’s. Erst kürzlich konnte gar ein Rekord beim Verkauf einer Chanel-Tasche aufgestellt werden: Eine schwarze, geprägte Lammfell-Tasche aus dem Jahr 2010 – ein Privatstück der Modeikone Karl Lagerfeld – wechselte im Dezember 2021 für 94’500 Euro den Besitzer. Kelly und Birkin, zwei Taschen der Superlative Chanel rangiert jedoch nur an zweiter Stelle der teuersten Vintage-Handtaschen-Marken. Zuoberst auf dem Siegertreppchen steht unangefochten Hermès mit den beiden ikonischen Modellen Birkin und Kelly. Zwei Namen, hinter denen starke Frauen stehen. Bei der Birkin wollte es der Zufall, dass die Schauspielerin Jane Birkin im Flugzeug den Inhalt ihrer Tasche verschüttete. Sie enervierte sich, dass es keine gescheite Handtasche gibt, in der alle Gegenstände verstaut werden können. Ihr Sitznachbar und überdies Chef von Hermès, Jean-Louis Dumas, kreierte daraufhin gemeinsam mit der Namensvetterin die erste Birkin-Tasche – und legte den Stein zum Erfolg. Auch das Modell Kelly hat eine berühmte «Taschen-Mama», nämlich die Schauspielerin und Stilikone Grace Kelly, die Fürstin von Monaco. Die Tasche erlangte durch einen Schnappschuss Berühmtheit, auf dem die Fürstin die Tasche vor ihren Schwangerschaftsbauch hält. Bis zu diesem Zeitpunkt hiess die Tasche Sac à Dépêches, doch auf die nicht abflauen wollende Berichterstattung über ebendiese Tasche hin benannte Hermès sie kurzerhand in Kelly Bag um. Durch geschicktes Marketing und limitierte Anzahl steigerte sich über die Jahre die Nachfrage nach Kelly oder Birkin Bags gewaltig. Wer heute eines dieser zwei Produkte erlangen möchte, wartet bis zu mehrere Jahre auf das gewünschte Modell. Entsprechend gewachsen ist der Markt für gebrauchte Taschen, was Wiederverkäufer auf den Plan lockte und Hermès dazu brachte, die Stückzahl der verkauften Taschen pro Person und Jahr auf zwei zu limitieren. Der Sekundärmarkt profitierte von diesen Massnahmen und befindet sich aktuell auf einem Allzeithoch, wie das Auktionshaus Sotheby’s schreibt: Es verzeichnete einen Anstieg von 242 Prozent der Auktionsverkäufe seit 2019. Das Jahr 2021 toppte dabei alle Ergebnisse: 70 Prozent der Lose wurden zu höheren Preisen als dem Schätzwert verkauft. Der Durchschnittswert der verkauften Stücke stieg um 84 Prozent und die Zahl der Bietenden, die sich um Handtaschen im Wert von 100’000 bis 1 Million Dollar bewarben, hat sich mehr als verdoppelt. Crazy Rich Asians sind verrückt nach Birkins und Kellys Doch wer bezahlt 47’880 Franken für eine Kelly mit Gesicht? Oder gar bis zu 500’000 Dollar für eine Hermès Birkin, Modell Himalaya, bestehend aus perlmuttfarbenem Krokodilleder mit diamantbesetzten Metallteilen aus 18-karätigem Gold? Laut Sotheby’s veränderte sich die Kundschaft stark. Gerade die Auktionen rund um Vintage-Handtaschen zögen eine neue Generation von Sammlerinnen und Sammlern aus der ganzen Welt an. Entsprechend war mehr als ein Drittel der Handtaschenkäuferinnen und -käufer neu. Das Pikante dabei: Die Bietenden werden immer jünger. 67 Prozent sind unter vierzig Jahren, dabei stieg die Zahl der Bietenden unter zwanzig Jahren um 50 Prozent. Doch nicht nur werden die Bietenden jünger, sie kommen auch zunehmend aus dem asiatischen Raum: Rund 40 Prozent des Wertes aller Handtaschenauktionen gelangte in asiatische Hände und die Anzahl bietender Asiatinnen und Asiaten stieg zum Vorjahr um knapp 50 Prozent. Jung, asiatisch und reich genug, um sich Vintage-Handtaschen von mehreren zehntausend oder gar Hunderttausenden von Franken zu leisten, das ist die neue Kundschaft von Sotheby’s. Die Aussagen erinnern an den Film «Crazy Rich Asians», der im Jahr 2018 erschien und das Leben einer steinreichen Singapurer Familie imitiert. Die Realität ist gemäss Berichten nicht weit entfernt vom Film: Singapur verzeichnete vor Corona eine schnell wachsende Anzahl Milliardäre und die Neureichen wollen zeigen, was sie besitzen. Entsprechend gehört auch eine Kelly oder Birkin Bag in den begehbaren Kleiderschrank der jungen, reichen Asiatinnen. Das schmunzelnde Gesicht der roten Kelly Doll, der teuersten Tasche dieser Sotheby’s-Auktion, freut sich denn mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein neues Leben im asiatischen Raum. Statt aber in der Öffentlichkeit getragen zu werden, wird die freundlich lächelnde Kelly Bag vermutlich gepflegt im Kleiderschrank oder gar in einem Banksafe liegen, bis sie in einigen Jahren für einen noch stattlicheren Erlös wieder einer Auktion beiwohnen darf.